Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Astronomie

Spirale frisst Zwerg – Umrankte Galaxien liefern neue Informationen über die Entwicklung von Spiralgalaxien

Autoren
Martínez-Delgado, David*
Abteilungen
Abteilung Galaxien und Kosmologie (Hans-Walter Rix)
Zusammenfassung
Spiralgalaxien wie unsere Milchstraße können wachsen, indem sie sich kleinere Zwerggalaxien einverleiben. Dabei werden die Zwerggalaxien durch Gravitationskräfte zerissen und um die Spiralgalaxie herum entstehen surreal anmutende Ranken und Sternströme. Nun konnte eine neue Himmelsdurchmusterung solche Verschmelzungsspuren erstmals an Galaxien außerhalb unserer kosmischen Nachbarschaft nachweisen. Damit ergeben sich neue Möglichkeiten, das heutige Bild von der Entstehung von Spiralgalaxien auf die Probe zu stellen.

Galaxien sind von Natur aus Kannibalen: In den gängigen Modellen der Galaxienentwicklung wachsen sie, indem sie sich andere Sternensysteme einverleiben. Spiralgalaxien wie unsere Heimatgalaxie – die Milchstraße – wachsen also auch dadurch, dass sie kleinere Zwerggalaxien schlucken.

In der Umgebung der Milchstraße und in den Randgebieten der uns nächstgelegenen Galaxien der sogenannten „lokalen Gruppe“ sind die Spuren des galaktischen Kannibalismus von Spiralgalaxien seit 1997 bekannt. Doch die lokale Gruppe mit ihren drei Spiralgalaxien (und zahlreichen Zwerggalaxien) ist nur eine sehr kleine kosmische Stichprobe und insbesondere zu klein, um quantitativ nachprüfen zu können, ob sich die Vorhersagen der theoretischen Modelle zur Häufigkeit galaktischer Verschmelzungen mit den Beobachtungen decken. Jetzt ist es mit einer neuen Durchmusterung erstmals gelungen, die verräterischen Sternranken galaktischer Verschmelzungsprozesse jenseits der lokalen Gruppe nachzuweisen. Eine internationale Forschergruppe unter Leitung von David Martínez-Delgado (Max-Planck-Institut für Astronomie und Instituto de Astrofísica de Canarias) hat ein Pilotprojekt zur Durchmusterung von Spiralgalaxien in bis zu 50 Millionen Lichtjahre Entfernung durchgeführt und dabei Spuren von Spiralgalaxien gefunden, die sich Zwerggalaxien einverleibt haben (Abb. 1).

Kommt eine kleinere Galaxie – etwa eine Zwerggalaxie – einer Spiralgalaxie zu nahe, dann führt die entfernungsabhängige und deshalb ungleichmäßige Gravitationsanziehung der größeren Galaxie dazu, dass das kleinere Sternsystem massiv verzerrt und dann vollständig zerrissen wird. Über einige Milliarden Jahre hinweg entwickeln sich rankenartige Strukturen, die durch genaue Beobachtung nachgewiesen werden können. Typischerweise wird die kleinere Galaxie zu einem langgestreckten stellaren „Gezeitenstrom“ verformt, dessen Mitglieder sich im Laufe der nachfolgenden weiteren Milliarden Jahre komplett mit den Sternen der größeren Galaxie vermischen. Die neue Studie zeigt, dass in der nahen Umgebung der Spiralgalaxien größere Gezeitenströme mit einer Masse zwischen 1% und 5% der Gesamtmasse der Galaxie recht häufig vorkommen.

Detaillierte Simulationen zur Entwicklung von Galaxien sagen sowohl die Gezeitenströme als auch eine Reihe anderer gut erkennbarer Spuren von Verschmelzungen voraus, etwa gigantische Wolken oder jetähnliche Strömungen, die aus der galaktischen Scheibe hervortreten. Interessanterweise finden sich in den neuen Beobachtungen all diese verschiedenen Arten von Spuren – ein beeindruckender Beleg dafür, dass die Astronomen mit ihren Modellen der Galaxienentwicklung auf dem richtigen Wege sind.

Die Bilder von Delgado und seinen Kollegen, die extrem tief in den Weltraum blicken, läuten eine neue Runde systematischer Studien der Wechselwirkungen zwischen Galaxien ein. Der nächste Schritt der Forschergruppe besteht darin, eine derzeit laufende genauere Durchmusterung zu vollenden, mit deren Hilfe sich die Modelle zur Galaxienevolution dann auch quantitativen Tests unterziehen lassen. Beispielsweise sollte diese neue Durchmusterung zeigen, ob die Simulationen die relativen Häufigkeiten der verschiedenen Arten von Verschmelzungsspuren korrekt vorhersagen.

Beachtenswerterweise wurden diese erstklassigen neuen Ergebnisse mit den Teleskopen ehrgeiziger Amateurastronomen gewonnen: Für ihre Beobachtungen nutzten die Astronomen Teleskope mit Öffnungsdurchmessern zwischen 10 cm und 50 cm, ausgerüstet mit handelsüblichen CCD-Kameras. Es handelt sich um robotische Teleskope (die also aus der Ferne gesteuert werden können) in zwei Privatsternwarten in den USA und einer Privatsternwarte in Australien. Die Ergebnisse zeigen, was sich mit systematischer Arbeit an kleineren Instrumenten erreichen lässt. Während größere Teleskope zweifelsfrei besser darin sind, sehr weit entfernte, aber vergleichsweise helle Sternensysteme – etwa aktive Galaxien – nachzuweisen und mit hoher räumlicher und spektraler Auflösung zu untersuchen, hat diese Durchmusterung so tief wie bislang nur möglich in die Welt der herkömmlichen Spiralgalaxien geblickt, also der Geschwister unserer Heimatgalaxie, der Milchstraße.

* David Martínez-Delgado: Alexander von Humboldt Foundation Fellow for Advanced Research at the Max Planck Institute for Astronomy, Heidelberg

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