Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion
Wie kleine Vampire Blut verdünnen
Südamerikanische Raubwanzen: Mehr als nur geflügelte Injektionsnadeln
Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gehört die Chagas-Krankheit zu den zehn häufigsten durch Insekten übertragenen Infektionskrankheiten. Diese Krankheit betrifft hauptsächlich die tropischen Zonen Mittel- und Südamerikas – mit geschätzten 10 Millionen Infizierten weltweit. Ein Hauptüberträger des Erregers Trypanosoma cruzi ist die blutsaugende Raubwanze Rhodnius prolixus (Abb. 1). Diese Insekten ernähren sich vor allem nachts von dem Blut eines Wirtes, wobei eine typische Blutmahlzeit 10-30 min in Anspruch nimmt [1].
Die Beschaffung ihrer Mahlzeit stellt die Raubwanze vor besondere Herausforderungen. Unter anderem muss sie sicher gehen, dass ihr Wirt durch den Biss nicht aufwacht und die Mahlzeit unterbricht. Des Weiteren muss die Blutgerinnung des Wirtes außer Kraft gesetzt und für eine Erweiterung der Blutgefäße gesorgt werden. Zu diesem Zweck enthält die Speichelflüssigkeit des Insektes, so wie die aller blutsaugenden Insekten, einen Cocktail von Substanzen, mit deren Hilfe diese Aufgaben erledigt werden. Diesen pumpen die Insekten beim Biss und während einer Mahlzeit in das Gewebe des Wirtes, wo er seine Wirkung entfaltet.
R. prolixus verwendet Stickstoffmonoxid (NO), einen auch im Menschen erzeugten Botenstoff. NO ist ein gasförmiges, zweiatomiges Molekül von relativ hoher Reaktivität. Letztere liegt in seinem radikalischen Charakter begründet, d. h. es besitzt ein ungepaartes Elektron, weswegen es in einer biologischen Umgebung eine relativ kurze Halbwertszeit von nur etwa 1/10 Sekunde hat. Außerdem ist NO in der Lage, durch Zellmembranen hindurch zu diffundieren. Allerdings sind bislang noch zahlreiche Fragen hinsichtlich der Handhabung dieser Substanz in biologischen Systemen offen: beispielsweise, wie NO als Signal exakt zu einem Zielort geleitet wird.
Zur Speicherung und Dosierung der NO-Abgabe enthält der Speichel von R. prolixus eine Reihe von Proteinen, die Nitrophorine (NPs), die in der Lage sind, NO zu binden und bei Bedarf an einen Zielort im Wirt zu bringen. Wie in Abbildung 1 dargestellt, enthalten diese Proteine in ihrer Proteinstruktur einen eisenhaltigen Kofaktor (Häm), wobei das Eisen (Fe) typischerweise in der Oxidationsstufe +3 (FeIII) vorliegt. Das Protein bindet NO am Eisen und bewahrt es so über Wochen im Insektenspeichel auf. Während der Blutmahlzeit wird NO dann auf Grund des veränderten pH-Wertes im Gewebe des Wirtes abgegeben und dort als Signal zur Blutgefäßerweiterung und Blutverdünnung interpretiert [2].
Dr. NO
Der Einsatz von blutgefäßerweiternden und blutverdünnenden Substanzen ist ein wichtiges Gebiet der Pharmakologie (Abb. 2). Diese Verbindungen werden eingesetzt, wenn Blutgefäße sich so verengen, dass es, besonders bei ablagerungsbedingten Verengungen, zu einer bedrohlichen Einschränkung des Blutflusses kommt. Bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert wird deswegen Nitroglyzerin, jene eigentlich als Sprengstoff berühmte Substanz, als Medikament eingesetzt. Erst in jüngster Zeit wurde bekannt, dass dessen pharmakologische Wirkung durch Zerfall in (unter anderem) NO hervorgerufen wird. Trotz großer Anstrengungen sind bislang nur wenige weitere NO-abgebende Substanzen im klinischen Bereich zur Anwendung gekommen.
Durch das Studium der NPs werden neue Erkenntnisse über die molekularen Hintergründe für die Verwendung von NO in vivo gewonnen. Dies ist sowohl im Hinblick auf das Verständnis von NO als biologisches Signalmolekül als auch für die Entwicklung von spezifischen, pharmakologisch wirksamen NO-Donoren von Bedeutung. Ein mittlerweile bekannter Mechanismus zur NO-Freisetzung aus Nitrophorinen ist die Änderung des pH-Wertes, die dazu führt, dass die Hämtasche im Protein sich öffnet bzw. schließt [3].
Darf’s etwas mehr sein?
Obwohl sie relativ kleine Proteine sind (~20 kDa), bestehen Nitrophorine dennoch aus der ca. 1500-fachen Anzahl von Atomen im Vergleich zu ihrer Fracht, NO. Das ist auf Volumenverhältnisse umgerechnet in etwa so, als würde man einen großen Schiffscontainer mit lediglich 5 Getränkekisten beladen – was sehr ineffizient wäre. Nitrit (NO2–), welches im menschlichen Blut in Konzentrationen von 0,02–0,5 g/L vorkommt, stellt eine wichtige Quelle für die NO-Produktion durch 1-Elektronenreduktion (NO2– + 2H+ + e– → NO + H2O) dar. NPs stehen hierfür zwar nicht als Reduktionsmittel zur Verfügung, es zeigte sich jedoch, dass Nitrophorine, im Unterschied zu anderen Ferrihämproteinen, in der Lage sind, NO2– ohne weitere Substrate zu NO gemäß der folgenden Summenformel umzusetzen [4]:
3NO2– + 2H+ → 2NO + NO3– + H2O
Diese Reaktion zeigt sich durch einen deutlichen Farbwechsel (Änderung des Absorptionsspektrums) bei der Inkubation eines speziellen Nitrophorines (NP7) mit NaNO2 (Abb. 3). Durch Anwendung schwingungsspektroskopischer Methoden wurde die erhaltene Spezies als NP7–NO identifiziert. In Anwesenheit einer NO-reaktiven Verbindung ist NP7 in der Lage, mehrere Umsatzzyklen zu leisten, so dass es als Katalysator für die Reaktion wirkt [5]. Durch die International Union of Biochemistry and Molecular Biology (IUBMB) sind NPs deswegen als erstes Beispiel einer Nitritdismutase-Aktivität (EC 1.7.6.1) klassifiziert worden. Obwohl andere Hämproteine auch NO2– koordinieren, ist diese Reaktion bislang weder bei einem Hämprotein noch bei synthetischen Modellverbindungen (Metalloporphyrinen) beobachtet worden. So ist z. B. der rote Blutfarbstoff Hämoglobin (Hb, siehe Abb. 1) auch ein Hämprotein, welches normalerweise für den Sauerstofftransport im Blut zuständig ist. Hb kann alternativ NO2– binden, dieses aber nur unter Zuhilfenahme eines weiteren Substrats zu NO umsetzen [6].
Die Eigenschaft des Häm-Kofaktors wird zum großen Teil durch die umgebende Proteinhülle diktiert. Daher die Frage: Worin liegen die Unterschiede zwischen Hb und NP? Um diesen Punkt zu beantworten, sind unter anderem röntgenkristallographische Messungen an den NO2–-Komplexen beider Proteine durchgeführt worden. In Hb wird NO2– über eines seiner O-Atome gebunden [7], während es in NPs über das N-Atom koordiniert [5]. Im Falle des Hb ist eine Wasserstoff-verbrückende Aminosäure (Histidin) verantwortlich für die Koordination, während in der Hämtasche der NPs vergleichbare Aminosäuren fehlen. Durch Mutation haben wir eine solche Aminosäure in NP4 eingefügt und gezeigt, dass sich die NO2–-Koordination zwar nicht ändert, dafür aber die Aktivität durch Veränderung der Wasserstoff-Brückenbindungen im Protein verloren geht.
Sieben auf einen Streich
Im Speichel von R. prolixus kommen mindestens 7 NPs (NP1-7) gleichzeitig in verschiedenen Anteilen vor. Die Gründe hierfür sind nicht bekannt, jedoch gibt es Hinweise darauf, dass die verschiedenen NPs unterschiedliche Zielorte im Gewebe des Wirtes haben. So ist von NP2 bekannt, dass es an den menschlichen Blutgerinnungsfaktor IX bindet und dessen Wirkung blockieren kann. Eine andere sehr wichtige Interaktion ist die Bindung von NP7 an negativ geladene Zellmembranen [8, 9]. Diese Verbindung wird durch eine Ladungsinteraktion mit der positiv geladenen NP7-Oberfläche hergestellt (Abb. 4), was dem Protein ermöglicht, seine Fracht (NO) nahe an eine Zielzelle (z. B. aktivierte Blutplättchen) zu bringen und so die Blutgerinnung zu inaktivieren [10].
Ausblick
Bisher ist die Interaktion zwischen NP und Blutbestandteilen, z. B. Zellmembran-Oberflächen, kaum erforscht und wird von uns in Zukunft genauer untersucht werden. Durch eingehende Forschung soll auch der Nitritdismutase-Mechanismus vollständig verstanden werden – wobei zu untersuchen ist, inwieweit er NP-spezifisch oder auch für andere Hämproteine zutreffend ist. Schließlich sollen die gewonnenen Erkenntnisse beim Design NO-abgebender Medikamente in der Pharmaindustrie unterstützend eingesetzt werden.