Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb

Ein ausgewogenes Urheberrecht

Autoren
Nérisson, Sylvie
Abteilungen
Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht (Prof. Dr. Reto M. Hilty)
MPI für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, München
Zusammenfassung
Wie kann der Urheberrechtsschutz mit den Interessen Dritter, besonders dem Interesse an größtmöglicher Verbreitung von Wissen und Kultur, in Einklang gebracht werden? Eine rechtsvergleichende Studie am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht untersucht, wie dieses Problem von den Gesetzgebern und in der Rechtspraxis in mehr als vierzig Ländern zu lösen versucht wird.

Interessenausgleich im Urheberrecht

Ein Interessenausgleich im Urheberrecht soll bewirken, dass der Schutz der Kreativen und der späteren Rechteinhaber (beispielsweise der Verleger) nicht derart überdehnt wird, dass die Verbreitung von Wissen und Kultur behindert wird. Tatsächlich ist die Frage dieses Interessenausgleichs angesichts der neuen technischen Möglichkeiten der Zugangsgewährung zu urheberrechtlich geschützten Werken – namentlich über das Internet – heute aktueller denn je.

Wie veraltet das heutige Schutzrechtsregime ist, zeigt das Beispiel der Kopiermöglichkeiten urheberrechtlich geschützter Werke: Als 1965 das noch heute gültige deutsche Urheberrechtsgesetz verabschiedet wurde, lag die einzige Möglichkeit für Privatpersonen, ein Schriftwerk zu kopieren, darin, dieses abzuschreiben; die langsam aufkommende Fotokopiertechnologie war für sie noch nicht erschwinglich. Heute kann jeder sowohl Texte als auch Musik, Bilder und Filme mit digitalen Kopiergeräten günstig und ohne Qualitätsverlust vervielfältigen.

Auch die Kommunikationsmöglichkeiten haben sich mit dem Internet und dem digitalen Datentransfer explosionsartig entwickelt. Damit erhalten Nutzer leichter Zugang zu Werken, die bislang nur mit großem Aufwand – zum Beispiel Reisen zu einer entfernten Bibliothek – nutzbar waren. Gleichzeitig erlaubt der technologische Fortschritt aber auch den Rechteinhabern, technische Schutzmaßnahmen einzusetzen, um die Nutzung ihrer Werke zu kontrollieren oder zu beschränken. Solche gerade bei kostenpflichtigen Internetangeboten üblichen Zugangsbeschränkungen stehen im Einklang mit dem Ruf nach einem immer stärkeren Urheberrechtsschutz – ohne dabei hinreichend die Interessen der Allgemeinheit, möglichst ungehinderten Zugang zu den Werken zu erhalten, zu berücksichtigen.

Seit einigen Jahren wird daher weltweit eine Neujustierung des Urheberrechts diskutiert. Zentrales wissenschaftliches wie politisches Anliegen ist es, den Schöpfer – bezogen auf seine wirtschaftlichen Interessen an einer Vergütung, aber auch auf seine ideellen Interessen am Werk – ebenso wie die Urheberrechtsindustrie als gewerbliche Nutzerin der Urheberrechte, die ihre Investitionen amortisieren möchte, und auch den Endnutzer urheberrechtlich geschützter Produkte adäquat zu schützen und die Interessen aller Beteiligten zu berücksichtigen.

Mit einem rechtsvergleichenden Ansatz untersuchen Forscher am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, ob – und wenn ja, wie – die nationalen Urheberrechtssysteme diese divergierenden Interessen in Einklang zu bringen vermögen. Die besondere Herausforderung für die nationalen Gesetzgeber und Gerichte liegt darin, dass sie an internationales Recht gebunden sind. Dieses ist traditionell allein auf die Rechteinhaber fokussiert und verpflichtet die Mitgliedstaaten auf ein hohes Schutzniveau.

Die Studie

Um Einblicke in die nationalen Rechtsordnungen zu erhalten, wurde ein detaillierter Fragebogen ausgearbeitet und an Urheberrechtsexperten aus 43 Ländern verschickt. Diese nationalen Berichterstatter kommen aus Europa, Nord- und Südamerika, Asien (einschließlich des Nahen Osten) und Afrika. In der Studie wurden deshalb sowohl der angloamerikanische, auf die Verwerter zentrierte Copyright-Ansatz, als auch die aufklärerischen Droit-d’Auteur-Traditionen mitberücksichtigt. Ferner wurden sowohl Industrieländer wie auch Entwicklungsländer erfasst.

Befragt wurden die nationalen Berichterstatter hauptsächlich dazu, wie der Interessenausgleich in ihren Ländern a priori und a posteriori erreicht wird. Es geht mit anderen Worten darum, wie einerseits der Ausgleich, gestützt auf eine ausreichend enge Definition des Schutzumfangs eines Werkes, gesucht wird und, andererseits, wie ein gewährter Schutz anhand sogenannter Beschränkungen und Ausnahmen im Einzelfall nicht durchgesetzt werden kann. Gefragt wurde hinsichtlich des Interessenausgleichs a priori etwa, unter welchen Voraussetzungen überhaupt Urheberrechtsschutz gewährt wird, wie der Schutzumfang bestimmt wird und ob nach bestimmten Werkkategorien differenziert und der Schutz entsprechend variiert wird.

Besonders interessant – bezogen auf den Interessenausgleich a posteriori – war der Vergleich der gesetzlich, das heißt ohne Genehmigung des Rechteinhabers, erlaubten Nutzungshandlungen sowie der etwaigen Vergütungsansprüche, die an diese erlaubten Nutzungen geknüpft sind. Wichtig war in diesem Zusammenhang vor allem, wer für welche Nutzung zahlen muss, wer die Höhe solcher Vergütungen bestimmt und wer die Gelder einzieht. Einige Fragen bezogen sich auf die Differenzierung verschiedener Kategorien von Rechteinhabern – nämlich die Kreativen als ursprünglich Berechtigte und die Urheberrechtsindustrie, die ihre Rechte von Ersteren erwerben mussten –, dies insbesondere mit Blick auf die Einnahmeverteilung.

Schließlich wurde gefragt, ob nebst dem Urheberrecht auch andere Rechtsgebiete einen Interessenausgleich verwirklichen. Diese Frage wurde zwar bewusst völlig offen formuliert, um die Reichweite möglicher Antworten nicht einzuschränken; sie bezog sich aber in erster Linie auf das Wettbewerbs-, das Vertrags-, das Verbraucher- und das Medienrecht, ebenso aber auch auf die in diesem Kontext oft angerufenen Grundrechte.

Die Studie befindet sich derzeit in der Endphase und steht kurz vor ihrer Veröffentlichung. Aufgrund ihrer großen Bedeutung wird sie Teil des weiteren Forschungsprogramms des MPI für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht im Bereich des Forschungsschwerpunkts zum Interessenausgleich sein.

Die wichtigsten Ergebnisse der Studie

Nutzerrechte

Der im Fragebogen verwendete Begriff der „Nutzerrechte“ hat die meisten Berichterstatter irritiert, weil er nicht üblich ist beziehungsweise weil infrage gestellt wurde, ob Nutzer überhaupt „Rechte“ in einem subjektiven Sinne haben. Es erwies sich aber als durchaus richtig, die Fragen entsprechend zu formulieren, denn die damit provozierten Diskussionen brachten zahlreiche Perspektiven ans Licht, die sonst verborgen geblieben wären. Dennoch reagierten alle Berichterstatter insoweit einhellig, als sie die Existenz von „Nutzerrechten“ im Sinne einer vergleichbaren Rechtsstellung wie jene der Inhaber des Urheberrechts ablehnten. Können die Nutzer folglich auch keinen entsprechenden Rechtsanspruch geltend machen, erschwert dies den Ausgleich der Interessen und wirft Fragen zur künftigen Ausgestaltung dieses Rechtsgebietes auf.

Dass in dieser Hinsicht ein Entwicklungspotenzial besteht, zeigt nicht nur die Betonung gewisser Sonderfälle durch einige Berichterstatter – etwa bezogen auf Nutzerrechte an Computerprogrammen, obwohl solche in vielen Ländern vertraglich ausgeschlossen werden können –, sondern auch eine Entscheidung des Supreme Court in Kanada. Denn dieser hat ein sogenanntes User right explizit anerkannt: Die Fair dealing exception sei nicht mehr „nur als ein Verteidigungsmittel“ zu verstehen, sondern müsse, wie andere Ausnahmen (Exceptions) des kanadischen Copyright Act auch als eigentliches User right betrachtet werden. Daher sei die Schranke für „private Forschung“ breit auszulegen.

Schuldner der Vergütungsansprüche für die private Kopie

Ein weiteres interessantes Ergebnis der Studie besteht darin, dass die Vergütung für die private Kopie zwar meistens – wie auch in Deutschland – von den Endnutzern der betreffenden Werke bezahlt wird. Dies erfolgt beispielsweise durch einen Aufschlag auf den Preis der Leerträger oder jenen der Vervielfältigungsvorrichtung (etwa CD-Brenner). Allerdings gibt es in zwei Ländern, nämlich Israel und Norwegen, auch andere Ansätze: Dort wird die Vergütung für die private Nutzung direkt vom Staat – und damit letztlich über Steuern – bezahlt. Dort ist also nicht der Endnutzer, sondern die nationale Gemeinschaft Schuldner der Rechteinhaber.

Der Drei-Stufen-Test

Die Studie ist auch deshalb besonders interessant, weil das Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht federführend an einer Initiative beteiligt war, die 2007 in eine Erklärung für eine ausgewogene Auslegung des sogenannten Drei-Stufen-Tests mündete [1].

Der Drei-Stufen-Test ist ein Werkzeug, das im internationalen Recht eingeführt wurde, um eine exzessive Anwendung von Ausnahmen und Beschränkungen von den ausschließlichen Rechten der Urheber zu verhindern. Eine solche oft „Schranken-Schranke“ genannte Bestimmung ist in zehn der in der Studie betrachteten Länder ausdrücklich ins nationale Recht aufgenommen worden. Aber auch ohne ausdrückliche Erwähnung in den nationalen Gesetzen ist der Drei-Stufen-Test in allen Mitgliedstaaten der WTO aufgrund der verbindlichen Vorgaben des TRIPS Agreement [2] verbindlich.

Die Ergebnisse der Studie zeigen nun, dass der Rückgriff auf den Drei-Stufen-Test zwar in den meisten Fällen die Stellung des Rechteinhabers gestärkt hat, dass es aber auch anders geht. So haben etwa Richter in China und Spanien den Drei-Stufen-Test auch dazu angewandt, um die Interessen der Nutzer zu berücksichtigen. Der Drei-Stufen-Test vermag also durchaus zu helfen, den Bereich gesetzlich erlaubter Nutzungen auszudehnen.

Dies ist auch der Ansatz der erwähnten Erklärung. Tatsächlich wurde lediglich in 7 von 43 Rückmeldungen darauf hingewiesen, die Erklärung sei im nationalen Recht bislang weitgehend unberücksichtigt geblieben. 36 Berichterstatter bestätigten hingegen, die Erklärung sei von den relevanten Urheberrechtskreisen wahrgenommen und Gegenstand von Diskussionen zum Interessenausgleich im Urheberrecht.

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