Schimpansen wissen um die Informationen anderer
Frei lebende Schimpansen warnen unwissende Gruppenmitglieder häufiger vor einer Gefahr als solche, die bereits alarmiert sind
Viele Tiere stoßen in Gegenwart von Raubtieren oder anderen Gefahren Alarmrufe aus. Dies geschieht häufiger bei Anwesenheit von verwandten oder befreundeten Tieren. Bisher gab es jedoch keine Belege dafür, dass Schimpansen dabei auch den Wissensstand anderer Gruppenmitglieder berücksichtigen. Jetzt haben Forscher am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der University of St. Andrews in Großbritannien frei lebende Schimpansen in Uganda beobachtet und dabei herausgefunden, dass diese erkennen, wer über welches Wissen verfügt. Die Schimpansen gaben Alarmrufe zur Warnung vor einer Giftschlange häufiger in Gegenwart von unwissenden als in Gegenwart von bereits informierten Gruppenmitgliedern. Neue Informationen mit anderen zu teilen, ist ein wichtiger Schritt auf dem evolutiven Weg zur Sprache, den der gemeinsame Vorfahre von Mensch und Schimpanse vermutlich bereits vor sechs Millionen Jahren beschritten hat.
Die Fähigkeit zu verstehen, was ein Anderer weiß oder glaubt, besitzt vermutlich nur der Mensch. Verschiedene Studien zur "Theory of Mind", dem Wissen um das Bewusstsein anderer, fanden bislang jedoch nur mit Zootieren statt und führten zum Teil zu kontroversen Ergebnissen. Meist war dabei unklar, ob Schimpansen die Aufgabe nicht lösen konnten oder diese nicht verstanden. Ein Problem, das bei frei lebenden Schimpansen in ihrem natürlichen Umfeld nicht besteht.
Catherine Crockford, Roman Wittig und Kollegen beobachten deshalb frei lebende Schimpansen im Budongo Wald in Uganda. Sie konfrontierten die Tiere mit Attrappen gefährlicher Giftschlangen, zwei Gabunvipern und einer Nashornviper. „Diese gut getarnten Schlangen liegen oft wochenlang am selben Fleck. Es lohnt sich also, wenn der Schimpanse, der sie entdeckt, seine Gruppenmitglieder vor der Gefahr warnt”, sagt Catherine Crockford, die an der University of St. Andrews forscht.
Die Forscher beobachteten das Verhalten von 33 verschiedenen Schimpansen, die jeweils eines von drei Schlangenmodellen gesehen hatten. Es zeigte sich, dass Alarmrufe häufiger dann ausgestoßen wurden, wenn der Rufer sich in der Gesellschaft von Gruppenmitgliedern befand, die die Schlange entweder selbst noch nicht gesehen oder frühere Warnrufe nicht gehört haben konnten. „Schimpansen scheinen den Wissensstand anderer zu berücksichtigen und stoßen freiwillig einen Warnruf aus, um die anderen über eine Gefahr zu informieren, von der sie nichts wissen“, sagt Roman Wittig vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der University of St. Andrews. „Gruppenmitglieder, die die Gefahr bereits kannten, wurden seltener informiert“.
Diese Studie belegt erstmals, dass Alarmrufe nicht nur absichtlich, sondern auch häufiger ausgestoßen werden, wenn sich die Zuhörer der Gefahr nicht bewusst sind. „Schimpansen verstehen offenbar, dass sie etwas wissen, was ihr Gegenüber nicht weiß. Sie verstehen ebenfalls, dass sie den anderen informieren können, indem sie eine ganz bestimmte Lautäußerung von sich geben“, so Wittig. Einigen Wissenschaftlern zufolge ist die Fähigkeit zum Bereitstellen von fehlenden Informationen an andere Gruppenmitglieder ein wichtiger Schritt während der Evolution von Sprache: Warum sollte man jemanden über etwas informieren, wenn man nicht vorher erkannt hat, dass derjenige diese Information benötigt?
Bisher war nicht klar, wann in der Evolution der Affenartigen (Hominoiden) oder der Menschenartigen (Hominiden) dieser wichtige Schritt gegangen wurde. Der gemeinsame Vorfahre von Mensch und Schimpanse könne diesen Weg möglicherweise vor 6 Millionen Jahren beschritten haben, wie die aktuelle Studie zeigt.
SJ/BA