Die EU verfehlt ihre Ziele
Schlechtes Zeugnis für Umsetzungspolitik der Mitgliedsländer
Die Auseinandersetzung um die EU-Finanzen, die die Staats- und Regierungschefs diese Woche auf dem Gipfeltreffen in Brüssel fortsetzen, ist auch ein Streit darüber, wie der Anspruch der EU mit der Wirklichkeit in Einklang gebracht werden kann. Wäre die Lissabon-Strategie der EU aus dem Jahr 2000 aufgegangen, so hätten die europäischen Staaten bis heute wirtschaftlich zu den USA aufgeschlossen und das europäische Sozialmodell erfolgreich modernisiert. Doch davon kann bisher keine Rede sein. Eine aktuelle Studie des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung erkennt die unverbindlichen Entscheidungs- und Umsetzungsmechanismen der Union als Ursache für den Misserfolg der europäischen "Agenda 2010".
Während ihres Gipfeltreffens im März 2000 erklärten die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union die Absicht, Europa binnen zehn Jahren zum wettbewerbsfähigsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Mehr als fünf Jahre später liegt die Verwirklichung der Strategie in weiter Ferne. Im Februar 2005 stellte die EU-Kommission in Brüssel eine ernüchternde Halbzeitbilanz der Lissabon-Strategie vor. Deutschland hat nach Erkenntnissen eines Zwischenberichts der Kommission im Jahr 2004 lediglich rund 40 Prozent der hier definierten Vorgaben umgesetzt. Der EU-Schnitt liegt bei 58 Prozent - aus Sicht der Kommission eine "sehr schlechte Leistung". Armin Schäfer, Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, zeigt in einer neuen Studie, dass die beschäftigungs- und sozialpolitischen Ziele der EU unerreicht bleiben mussten, weil sowohl der Wille als auch der Zwang zur Umsetzung fehlten. Die rechtliche Unverbindlichkeit der Strategie, so das Fazit, hat die Zustimmung der Regierungen erst möglich gemacht. Sie kann sie aber nicht dazu bewegen, die vereinbarten Ziele entschlossen umzusetzen.
Die EU versucht jetzt, über gemeinsam festgelegte Ziele und nationale Umsetzungspläne den Druck auf die Regierungen für weitere Wirtschaftsreformen zu erhöhen. Zusätzliche Kompetenzen hat sie jedoch nicht erhalten. So leidet der Lissabon-Prozess darunter, dass die Regierungen Prüfer und Geprüfte zugleich sind. Sie sind sowohl für die Verwirklichung der Strategie als auch die Bewertung der Umsetzung zuständig. Widerspricht ihre nationale Politik den Vereinbarungen, gibt es keine Sanktionsmöglichkeiten. Eine Kontrolle durch unabhängige Gremien oder die europäische Öffentlichkeit findet kaum statt. Hier bleibt die EU in der öffentlichen Wahrnehmung hinter internationalen Organisationen zurück. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat mit der PISA-Studie gezeigt, wie Länderranglisten die Wahrnehmung der Ergebnisse erhöhen und Reformen in den OECD-Staaten anstoßen können. Die EU-Verfahren, die die nationale Wirtschaftspolitik bewerten, sind dagegen nur Experten bekannt.
"Gerade die schlechte beschäftigungspolitische Bilanz ist mitverantwortlich für die aktuelle Krise der EU", erklärt Armin Schäfer. Die europäische Integration verliert auch deshalb an Zustimmung, weil sie das ehrgeizige historische Versprechen auf mehr Wohlstand für die Bürger nicht mehr einlöst. Die zurückliegenden Volksabstimmungen zur EU-Verfassung haben dies deutlich gemacht. Die Politik verliert ihre Glaubwürdigkeit und die Demokratie wird beschädigt, wenn die Erwartungen der Unionsbürger dauerhaft nicht erfüllt werden.