Deutschland AG weiter in Auflösung
Neueste Netzwerkgrafik des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung zeigt den Entflechtungsprozess
Die Monopolkommission spricht in ihrem heute veröffentlichten 16. Hauptgutachten von Anzeichen für eine Auflösung des gesamten Netzwerks der Deutschland AG. Lothar Krempel vom Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung hat die aktuellen Daten der Kommission in eine Grafik übersetzt. Sie belegt: Wo noch 1996 zahlreiche Querverbindungen das Netzwerk stützten, ist das Geflecht an Kapitalverbindungen nun deutlich dünner.
In den Netzwerkgrafiken werden alle Unternehmen dargestellt, die sich unter den 100 größten Unternehmen befanden und kapitalmäßig mit anderen Unternehmen verbunden waren. Lothar Krempel zeigt auf diese Art Momentaufnahmen des deutschen Unternehmensnetzwerks in Abständen von zwei Jahren im Zeitraum von 1996 bis 2004. Mit jedem Zwei-Jahres-Schritt werden die Kerne des Netzwerks kleiner, sie sind lockerer verknüpft und mit weniger Unternehmen außerhalb der Kerne verbunden.
Die aktuelle Grafik zum Jahr 2004 zeigt, dass nur noch 53 der 100 größten Unternehmen Kapitalverflechtungen haben, davon 28 in der großen Netzwerkkomponente. Es gibt nur noch 44 Verbindungen zwischen den Einheiten, verglichen mit 143 im Jahr 1996. "Wir gehen davon aus, dass der Entflechtungsprozess sich auch weiter fortsetzen wird", sagt Martin Höpner, der am Kölner Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) in einem gemeinsamen Projekt mit Lothar Krempel die Daten der Monopolkommission ausgewertet hat. "Die entscheidenden Akteure haben ihr Interesse an der Aufrechterhaltung der Unternehmensverflechtungen verloren." Für die Banken beispielsweise ist das Investmentbanking immer wichtiger geworden. Hier sind enge Verbindungen zu Industrieunternehmen eher nachteilig. "Die Deutsche Bank muss glaubhaft machen, dass sie - sollte eines Tages das Volkswagen-Gesetz fallen - ohne mit der Wimper zu zucken einen Auftrag zur Vorbereitung einer feindlichen Übernahme von Volkswagen annehmen würde", urteilt Martin Höpner. Zudem verkleinert der internationale Konkurrenzdruck die Handlungsspielräume der Manager, so dass Banken kaum noch Einfluss auf deren Entscheidungen nehmen können.
Und die Allianz? Die Abbildung zeigt, dass der Versicherungskonzern im Jahr 2004 der wichtigste Halter industrieller Aktienpakete war. "Die Allianz ähnelt heute eher einem Investmentfonds als einem strategischen Spieler der alten Deutschland AG. Sie ersetzt nicht die Deutsche Bank, sondern sie hat parallele Veränderungen durchlebt", schränkt Jürgen Beyer ein. Der Wirtschaftssoziologe hat sich am MPIfG in einer historischen Fallstudie mit der herausragenden Bedeutung der Deutschen Bank und der Allianz für die politische Ökonomie Deutschlands beschäftigt. Die Allianz hat auch in der Vergangenheit kaum versucht, mit ihren Aktienpaketen Einfluss auf die Industrieunternehmen zu nehmen. Sie war stets die passivere Anlegerin, die ihre Beteiligungen über eine große Anzahl von Industrieunternehmen streute. Mittlerweile hat die Allianz ihre Beteiligungen in eine eigens dafür zuständige Investmentgesellschaft ausgegliedert.
Die Verflechtungen zwischen deutschen Großunternehmen haben schon immer die Gemüter erregt. Bereits seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert ist die deutsche Unternehmenslandschaft durch dichte Kapital- und Personalverflechtungen geprägt. Für manche war das deutsche Unternehmensnetzwerk Ausdruck eines besseren, die Potenziale der Kooperation ausschöpfenden, der reinen Marktwirtschaft deshalb überlegenen Kapitalismus. Andere interpretierten Unternehmensverflechtungen als Instrumente machthungriger Manager, die sich mit Überkreuzbeteiligungen vor dem Einfluss der Kapitalmärkte schützten. "Die Deutschland AG hat jedenfalls ausgedient", so Beyer. "Die Kontrolle durch Verflechtungen wird zunehmend von der Kontrolle durch den Finanzmarkt abgelöst."