Blaulicht stoppt Putzfimmel bei Fliegen
Wissenschaftler demonstrieren neues Werkzeug zur Licht gesteuerten Manipulation von Zellen und Tieren
Der Botenstoff cAMP ist ein wichtiges Signalmolekül; er steuert grundlegende biologische Prozesse und ist vermutlich auch mitverantwortlich für kognitive Leistungen des Gehirns, wie Intelligenz und Gedächtnis. Eine internationale Forschergruppe hat jetzt eine neue Methode entwickelt, um diesen Botenstoff durch kurze Lichtblitze direkt in lebenden Zellen und Tieren zu erzeugen. Bei Fliegen lassen sich damit Verhaltensänderungen an- und wieder abschalten. Die besonders hohe zeitliche Auflösung dieses neuen Licht gesteuerten "Werkzeugs" sollte es ermöglichen, die Rolle von cAMP bei komplexen biologischen Fragestellungen, wie etwa den zellulären Vorgängen im Gehirn, besser zu verstehen, so die Wissenschaftler in ihrer aktuellen Publikation (Nature Methods, 26. November 2006).
Um auf Veränderungen der äußeren Bedingungen reagieren zu können, müssen in einem Organismus verschiedene Signalketten geschaltet werden. Meist wird ein Signal zunächst von einem Rezeptor erkannt und dann über so genannte sekundäre Botenstoffe weitergeleitet. Dabei handelt es sich um kleine, wasserlösliche Moleküle, die sich durch Diffusion in Zellen leicht ausbreiten. cAMP (cyclisches Adenosinmonophosphat) ist ein solcher Botenstoff. Er überträgt beispielsweise das vom Stresshormon Adrenalin übermittelte Signal von der Plasmamembran einer Leber- oder Muskelzelle ins Zellinnere, wo es dann zur Mobilisierung von Traubenzucker kommt. Dabei ist Adrenalin nur eines von vielen Hormonen und anderen Signalmolekülen, die die cAMP-Produktion in Gang setzen. Denn cAMP beeinflusst Funktionen wie Herzschlag, Sekretion, Zellwachstum, und vermutlich auch Intelligenz und Gedächtnis und ist somit ein äußerst wichtiger Botenstoff. Um die Auswirkungen von cAMP zu erforschen, wäre es ideal, wenn sich der Botenstoff schnell und wiederholbar in der lebenden Zelle bzw. im lebenden Tier erzeugen ließe.
Enzyme, die cAMP herstellen, werden Adenylatcyclasen genannt. Im Jahr 2002 wurde von einer japanischen Gruppe erstmals ein Proteinkomplex aus einem grünen Einzeller, dem Geißeltierchen Euglena gracilis, beschrieben, bei dem es sich um eine durch Blaulicht aktivierte Adenylatcyclase handelt (Iseki et al., Nature 415, 1047): das Enzym erhöht Blaulicht-abhängig die cAMP-Konzentration. Das Team um Georg Nagel hat - zunächst am Max-Planck-Institut für Biophysik in Frankfurt und später an der Universität Würzburg - in Zusammenarbeit mit Forschungsgruppen von der Humboldt Universität Berlin, dem Forschungszentrum Jülich, der Universität des Saarlandes und einer Gruppe in Japan Bestandteile dieses Komplexes erstmals funktionell in tierischen Zellen exprimiert. Dazu wurde das Gen für eine der beiden Untereinheiten des Proteinkomplexes in Eizellen des südafrikanischen Krallenfrosches Xenopus laevis eingebracht und führte dort zur Produktion des entsprechenden Proteins. Wurden diese Eizellen mit Blaulicht belichtet, so kam es zu einem Anstieg in der cAMP-Konzentration. Für die Forscher der Beleg, dass mit Blaulicht die Enzymaktivität ausgelöst worden war.
Noch interessanter waren die Versuche mit transgenen Tieren, in diesem Fall der kleinen Taufliege Drosophila. Auch hier hatten die Forscher mithilfe einer Genfähre das Gen für die photoaktivierte Adenylatcyclase (PAC) in die Fliege eingeschleust. Das entsprechende Protein wurde nun in den Nervenzellen der kleinen Fliege exprimiert - und führt, wie Martin Schwärzel von der Universität in Saarbrücken zeigen konnte, zu signifikanten Verhaltensänderungen: Werden Fliegen mit einem feinen Puder bestäubt, so fangen sie sofort an sich zu putzen. Diese "Putzleidenschaft" kann bis zu 30 Minuten andauern. Auch transgene Tiere zeigen bei dieser Versuchsanordnung zunächst ein intensives Putzverhalten, wird jedoch Blaulicht eingeschaltet, so erstarrt die Fliege quasi - sie bewegt und putzt sich auch nicht mehr. Wird das Blaulicht wieder ausgeschaltet, so kehrt die Fliege innerhalb weniger Sekunden zu ihrer ursprünglichen Tätigkeit zurück [1].
"Mit unseren Untersuchungen konnten wir demonstrieren, dass man dieses aus einem kleinen Einzeller stammende Enzym tatsächlich einsetzen kann, um die Konzentration des wichtigen Botenstoffs cAMP räumlich und zeitlich zu kontrollieren", erklärt Georg Nagel. Die Vorteile der Methode liegen auf der Hand: Die aus Euglena stammende lichtaktivierte Adenylatcyclase wird von einem einzigen Gen kodiert, es bedarf keiner chemischen Veränderungen, auch die Zugabe eines Chromophors ist nicht erforderlich - jede Untereinheit des Enzyms besitzt einen eigenen Blaulicht-Photorezeptor - , das Substrat (ATP) ist in ausreichender Menge vorhanden und das Protein wirkt in der Zelle nicht toxisch. "Damit haben vor allem Neurobiologen ein ideales Werkzeug, um Signalpfade im Tiermodell zu studieren und Fragen beispielsweise zum Lernen und zur Gedächtnisbildung bei Drosophila aufzugreifen", sagt Martin Schwärzel.