Wildvögel reagieren unterschiedlich auf die ersten langen Tage des Jahres
Für Kohlmeisen beginnt der Frühling nicht immer zur selben Zeit
Viele Arten auf der ganzen Welt nutzen jahreszeitliche Information, um wichtige Prozesse wie die Fortpflanzung mit den sie umgebenden Bedingungen zu koordinieren. Bisher konnten die dafür verantwortlichen physiologischen Vorgänge und Areale im Gehirn nicht identifiziert werden. Erst dank neuerer Studien mit domestizierten Arten wie Nagern, Schafen, Ziegen und Wachteln konnten Forscher die Gene und Gehirnregionen ausfindig machen, die an der Reaktion des Organismus auf veränderte Tageslängen beteiligt sind.
Doch bleiben für Nicole Perfito vom Max-Planck-Institut für Ornithologie einige wichtige Fragen offen: “Domestizierte Arten sind für kommerzielle Zwecke gezüchtet worden und können sich fast zu jeder Jahreszeit fortpflanzen. Doch weisen auch Wildtiere, die ihre Fortpflanzungszyklen kontinuierlich an die jahreszeitlichen Vorgänge in der Natur anpassen müssen, die gleichen Mechanismen auf? Und wie ermöglichen diese Mechanismen Populationen aus verschiedenen Lebensräumen, unterschiedliche Schwellenwerte der Tageslänge zu nutzen, um zur richtigen Jahreszeit in Brutstimmung zu kommen?”
Zur Beantwortung dieser Fragen untersuchten Nicole Perfito und Michaela Hau vom Max-Planck-Institute für Ornithologie in Radolfzell gemeinsam mit Kollegen von der University of California in Berkeley und der Göteborg Universität die Aktivität von Genen im Gehirn deutscher und schwedischer Kohlmeisen. Dazu spielten die Forscher den Tieren im Labor zuerst kurze Wintertage und dann einen langen Sommertag vor. Mittels hoch-sensibler Messmethoden konnte das Team herausfinden, welche Gene während des einen langen Tages aktiv waren.
In den Wildvögeln wurden tatsächlich die gleichen genetischen Kaskaden in Bewegung gesetzt wie bei der hoch-domestizierten japanischen Wachtel, die zum Vergleich herangezogen wurde. Es finden also dieselben physiologischen Prozesse in Wildtieren wie in domestizierten Arten statt.
Die Wissenschaftler waren außerdem überrascht, dass es Unterschiede zwischen den deutschen und schwedischen Kohlmeisen gab: “Die schwedischen Vögel zeigten eine sehr deutliche genetische Reaktion auf den Langtag, während die deutschen Meisen fast keine Veränderungen zeigten.“ Zudem legen in der Natur die Vögel in Schweden ihre Eier drei Wochen später als die in südlicheren und milderen Gebieten brütenden deutschen Meisen. Diese Ergebnisse könnten bedeuten, dass Vögel im Norden aufgrund der kürzeren Zeit, in der sie ihren Nachwuchs aufziehen müssen, stärker auf Veränderungen der Tageslänge reagieren müssen und schneller mit dem Brutgeschäft beginnen, sobald ein Schwellenwert überschritten ist. Vögel dagegen, die weiter südlich vorkommen und durch die klimatischen Verhältnisse mehr Zeit für die Jungenaufzucht haben, besitzen einen anderen Tageslängen-Schwellenwert. Möglicherweise sind mehr lange Tage als Stimulans oder vielleicht sogar zusätzliche weitere Umweltreize wie höhere Temperaturen erforderlich, um die Genaktivität zu verändern.
Der richtige Zeitpunkt der Stimulation und damit der Eiablage und des Schlupfs der Jungen ist bei Meisen von großer Bedeutung. Denn die Jungen müssen schlüpfen, solange ihre Hauptnahrungsquelle, junge Raupen, noch klein, weich und eiweißreich sind und in großen Mengen zur Verfügung stehen. Entwickelt sich aber durch warme Frühjahrstemperaturen die Natur früher und steht für die Raupen früher Futter zur Verfügung, können diese schon zu weit entwickelt sein, wenn die oft bis zu zehn Meisenjungen pro Gelege große Futtermengen benötigen. Wenn südliche Populationen auf zusätzliche Unweltreize reagieren könnten, dann wäre vielleicht die Auswirkung der Klimaerwärmung für sie nicht gravierend, weil sie sich leichter anpassen könnten.
Noch ist den Wissenschaftlern nicht klar, ob die unterschiedliche Reaktion der Meisen von Umweltreizen ihres jeweiligen Lebensraums verursacht wird oder ob sie eine evolutionäre Anpassung an das Leben auf unterschiedlichen Breitengraden darstellt. können. „Wegen der dramatischen Umweltveränderungen infolge des Klimawandels müssen wir besser verstehen, wie Tiere sich zur richtigen Zeit und damit erfolgreich fortpflanzen”, sagt Koautorin Michaela Hau.