Durchschlagendes Design: die Giftklauen der Spinnen

Spinnen verdanken ihren Jagderfolg unter anderem dem raffiniert zusammengesetzten und strukturierten Material ihrer Giftklauen

2. Mai 2012

Dem Biss einer Spinne haben Fliegen, Heuschrecken und andere Beuteinsekten wenig entgegenzusetzen, obwohl ihr Panzer im Wesentlichen aus demselben Material besteht wie die Giftklauen des Räubers. Doch wie Forscher des Max-Planck-Instituts für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam, das Max-Planck-Instituts für Mikrostrukturphysik in Halle sowie der Universität Wien herausgefunden haben, sind die Chitinfasern in den Giftklauen von Jagdspinnen so angeordnet und mit Proteinen umgeben, dass das Material besonders fest und steif wird und den Cuticulapanzer der Beutetiere durchbohren kann. Die Giftklauen werden so zu perfektionierten wiederverwendbaren Injektionsnadeln für das lähmende Spinnengift. Die neuen Erkenntnisse können Anregungen aus der Biologie liefern, wie sich ähnliche technische Materialien für unterschiedliche Anwendungen optimieren lassen.

Die Natur nutzt faserverstärkte Materialien schon viel länger als die Technik. So bestehen die Panzer von Gliederfüßern wie Spinnentieren, Insekten und Krustentieren, deren Material Biologen Cuticula nennen, aus einer Vielzahl feinster Schichten von Chitinfasern. Diese ordnen sich parallel zur Oberfläche an und sind typischerweise in eine Proteinmatrix eingebettet. Dem jeweiligen, sehr unterschiedlichen Verwendungszweck passt sich dieses natürliche Verbundmaterial dadurch an, dass die Zusammensetzung sowie die Form des Materials in verschiedenen Teilen des Außenskeletts stark variiert wird. Die Anordnung der Fasern und die Proteinzusammensetzung beeinflussen die mechanischen Eigenschaften des Materials entscheidend.

„Die detaillierten Untersuchungen des Cuticulapanzers können daher viele neue Ideen für ein besseres, bio-inspiriertes Materialdesign hervorbringen“, sagt Yael Politi, die gemeinsam mit ihren Kollegen nun Spinnen auf den Zahn gefühlt hat. Diese Einschätzung gilt ganz besonders für Strukturen wie die Giftklauen, da deren ‘Design‘ wegen ihrer lebenswichtigen Funktion sicher unter besonders großem evolutionärem Druck stand. Da sich die technische Perfektion einer biologischen Struktur nur dann ganz verstehen lässt, wenn man deren natürliche Funktion berücksichtigt, arbeiteten die Wissenschaftler der Max-Planck-Institute in Potsdam und in Halle eng mit Friedrich Barth von der Universität Wien zusammen, einem Biologen und Experten für Spinnen, insbesondere deren sensorische Systeme und Biomechanik .

Die Anordnung der Chitinfasern beeinflusst die Materialeigenschaften    

In ihren Untersuchungen erkannten die Wissenschaftler, dass sich die Struktur des Materials in den Giftklauen der Wanderspinne Cupiennius salei von derjenigen anderer Skelettteile deutlich unterscheidet. Vor allem die Chitinfasern ordnen sich darin auf besondere Weise an. In einer speziellen Zone verlaufen die Fasern in verschiedenen Schichten vorwiegend in der Richtung, in der auch hohe mechanische Spannungen während des Bisses zu erwarten sind. Das verleiht der Giftklaue eine maßgeschneiderte mechanische Belastbarkeit. Denn die Chitinfasern sind parallel zu ihrer Längsachse immer steifer als senkrecht dazu. „Den höchsten Grad dieser gleichförmigen Ausrichtung haben wir im mittleren Bereich der Giftklaue gefunden“, erklärt Friedrich Barth.

Metallionen verstärken die Stabilität der Giftklauenspitze

Auch die Proteinstruktur in der Giftklaue ist für deren Zweck optimiert. Proteine zeichnen sich durch hohe chemische Variabilität aus und können entsprechend leicht verändert werden. Die Spinne nutzt auch dies für ihre Giftklauen aus, um sich bei der Jagd einen materialtechnischen Vorteil gegenüber ihrer Beute zu verschaffen. „Erstaunlicherweise bestehen die Zahnspitze und die äußeren Cuticulaschichten, die bei ihrem Biss der höchsten Belastung ausgesetzt sind, vorwiegend aus Proteinen“, sagt Friedrich Barth. Die Proteinzusammensetzung ändert sich von der Basis zur Spitze der Giftklaue, wobei die Konzentration der Aminosäure Histidin stark ansteigt. Histidin eignet sich besonders gut, um mit Metallionen die Proteine stark zu vernetzen. Da die Forscher auch Zink und Kalzium in der Proteinmatrix fanden, vermuten sie, dass benachbarte Fasern in der Proteinmatrix der Zahnspitze tatsächlich vernetzt werden. Das macht die Spitze besonders hart und fest. Zudem leitet das stabile Proteinnetz den Druck beim Durchbohren eines Beutepanzers effektiv an die Chitinfasern weiter.

Auch stellten die Forscher fest, dass neben den Metallionen auch Chloridionen in dem Proteinnetz eingelagert sind. „Interessanterweise sind Chloridionen anders verteilt als die Metallionen“, sagt Yael Politi. Welche Funktion die Chlorid-Ionen übernehmen, nach welchen Kriterien die Verteilung der eingelagerten Elemente ausgewählt wird und wie sich dies auf die mechanischen Eigenschaften der Giftklaue auswirkt, ist bisher jedoch noch unklar.

Doch schon jetzt steht fest: „Die Giftklauen der Spinnen besitzen eine hoch spezialisierte Materialstruktur. Die Materialeigenschaften ändern sich von der Basis zur Spitze in feinen Abstufungen, und die äußere Schicht der Klauen ist auffallend abriebfest“, wie Yael Politi resümiert. Die verschiedenen chemischen und strukturellen Veränderungen zu studieren, die dafür verantwortlich sind, dass sich die Materialeigenschaften des Cuticulapanzers auf so feine Weise an bestimmte biologische Funktionen anpassen, ist für die Forscher ein ausgesprochen lohnendes Ziel. Ihre Arbeit könnte durchaus auch von praktischem Nutzen sein. „Das Wissen, das wir dabei gewinnen, könnte zum Beispiel die Grundlage für die Entwicklung von Materialien für besondere Anwendungen oder von Injektionsnadeln mit speziellen Formen und Materialeigenschaften für Anwendungen  in der Medizin legen“, so Politi.

KS/PH

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