Der letzte Schrei aus dem Schwarzen Loch

Forscher erzeugen im Labor Plasmen, wie sie um Schwarze Löcher herum entstehen

28. Oktober 2010

Schwarze Löcher sind gefräßig: In großen Mengen saugen sie Materie aus Gaswolken oder Sternen in ihrer Umgebung auf. Während die einfallende "Nahrung" immer schneller in den Schlund hineinspiralt, wird sie zunehmend dichter und auf Temperaturen von Millionen Grad Celsius aufgeheizt. Bevor die Materie schließlich verschwindet, sendet sie ungeheuer intensive Röntgenstrahlung ins All. Der "letzte Schrei" stammt von Eisen, das neben anderen Elementen in der Materie enthalten ist. Was dabei passiert, haben Forscher des Heidelberger Max-Planck-Instituts für Kernphysik gemeinsam mit Kollegen des Helmholtz-Zentrums Berlin an der Synchrotron-Röntgenquelle BESSY II untersucht. (Physical Review Letters, 27. Oktober 2010)

Um die Natur von Schwarzen Löchern zu verstehen, schaut man ihnen am besten beim Fressen zu. Interessant ist vor allem, wenn die Materie hinter dem Ereignishorizont verschwindet - jenem Abstand, ab dem die Massenanziehung des Schwarzen Lochs so stark wird, dass nicht einmal mehr Licht entweichen kann. Bei diesem turbulenten Prozess entsteht Röntgenstrahlung. Diese wiederum regt verschiedene chemische Elemente in der Materiewolke an, ihrerseits Röntgenlicht mit charakteristischen Linien (Farben) auszustrahlen. Die Analyse der Linien gibt Aufschluss über Dichte, Geschwindigkeit und Zusammensetzung der Plasmen nahe am Ereignishorizont.

Hierbei spielt Eisen eine wichtige Rolle. Obwohl es im Universum nicht so häufig vorkommt wie leichtere Elemente - vor allem Wasserstoff und Helium -, kann es wesentlich besser Röntgenlicht verschlucken und wieder aussenden. Die dabei emittierten Photonen haben außerdem eine höhere Energie beziehungsweise eine kürzere Wellenlänge (eine andere Farbe) als die der leichten Atome.

Daher hinterlassen sie im Regenbogen des zerlegten Lichts deutliche Fingerabdrücke, das heißt: Im Spektrum verraten sie sich als starke Linien. Die sogenannte K-Alpha-Linie des Eisens ist die letzte erkennbare spektrale Signatur der Materie, ihr "letzter Schrei", bevor sie auf Nimmerwiedersehen hinter dem Ereignishorizont eines Schwarzen Lochs verschwindet.

Das emittierte Röntgenlicht wird außerdem beim Durchgang durch das in größeren Abständen das Schwarze Loch umgebende Medium absorbiert. Und hier hinterlässt das Eisen wiederum klare Fingerabdrücke in den Spektren. Die Strahlung ionisiert die Atome mehrfach und entreißt durch sogenannte Photoionisation den Eisenatomen typischerweise mehr als die Hälfte der 26 Elektronen, die sie normalerweise enthalten: Es entstehen Ionen mit positiven Ladungszuständen entsprechend der Zahl der entrissenen Elektronen. Das Ergebnis sind also hochgeladene Ionen, die nicht durch Stöße, sondern durch Strahlung erzeugt wurden.

Genau diesen Prozess, das Entreißen weiterer Elektronen von hochgeladenen Ionen durch einfallendes Röntgenlicht, haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Kernphysik in Zusammenarbeit mit Kollegen der Berliner Synchrotron-Röntgenquelle BESSY II im Labor reproduziert. Herzstück des Experiments war die am Max-Planck-Institut gebaute Elektronenstrahl-Ionenfalle EBIT (electron beam ion trap). Darin wurden Eisenatome mit einem intensiven Elektronenstrahl so weit aufgeheizt, wie es im Innern der Sonne oder eben in der Umgebung eines Schwarzen Lochs der Fall ist.

Unter derartigen Bedingungen kommt Eisen etwa als Fe14+-Ion, also vierzehnfach ionisiert, vor. Der Versuch läuft folgendermaßen ab: Eine wenige Zentimeter lange, haardünne Wolke aus solchen Ionen wird mit magnetischen und elektrischen Feldern in einem ultrahohen Vakuum schwebend gehalten. Röntgenstrahlen aus dem Synchrotron treffen dann auf diese Wolke; die Photonenenergie der Röntgenstrahlung wird von einem "Monochromator" extrem präzise selektiert und als dünner, fokussierter Strahl auf die Ionen gerichtet.

Die in diesem Versuch gemessenen Spektrallinien ließen sich direkt und problemlos mit denen jüngster Beobachtungen von Röntgenobservatorien wie Chandra und XMM-Newton vergleichen. Dabei stellte sich heraus, dass die meisten der verwendeten theoretischen Rechenverfahren die Linienpositionen nicht genau genug wiedergeben. Das ist für die Astrophysiker ein großes Problem, denn ohne genaue Kenntnis der Wellenlängen gibt es keine exakte Bestimmung des sogenannten Dopplereffekts dieser
Linien.

Der Dopplereffekt beschreibt die Änderung der Frequenz (der Energie oder der Wellenlänge) des emittierten Lichts in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit der Quelle (der Ionen im Plasma). Dieses Phänomen erlebt jeder, der auf das Martinshorn eines vorbeifahrenden Rettungswagens achtet: Solange sich das Fahrzeug nähert, ist der wahrgenommene Ton höher, wenn sich das Auto entfernt, tiefer. Die Vermessung der Tonlage erlaubt es, bei präziser Kenntnis der Frequenz im ruhenden System (stehender Rettungswagen) die Geschwindigkeit des Senders - in der Astronomie also des Plasmas - zu bestimmen.

In diesem Zusammenhang rätselten die Wissenschaftler über die Interpretation einer der am längsten untersuchten aktiven galaktische Kerne, NGC 3783. Der Fehlerbalken in der mittels verschiedener theoretischer Modelle berechneten Ruhefrequenz führte zu so großen Unsicherheiten in der erschlossenen Geschwindigkeit des emittierenden Plasmas, dass verlässliche Aussagen über die Plasmaströme nicht mehr möglich waren.

Die Labormessungen der Heidelberger Max-Planck-Forscher haben nun unter mehreren Modellrechnungen ein theoretisches Verfahren identifiziert, das die genauesten Vorhersagen macht. Dabei wurde die bisher höchste spektrale Auflösung in diesem Wellenlängenbereich erzielt. Eine derart genaue experimentelle Überprüfung der verschiedenen Theorien war in diesem Energiebereich bisher nicht möglich gewesen.

Die neuartige Kombination aus einer Falle für hochgeladene Ionen und lichtstarken Synchrotronquellen stellt somit einen wichtigen Schritt und einen neuen Zugang für das Verständnis der Physik in den Plasmen um Schwarze Löcher oder aktive galaktische Kerne dar. Neue Impulse in diesem Bereich erwarten die Forscher durch die Kombination der EBIT-Spektroskopie mit zunehmend brillanteren Röntgenstrahlungsquellen der dritten (PETRA III am DESY) und vierten Generation (Freie-Elektronen-Laser XFEL, Hamburg; LCLS, Stanford, USA; SCSS, Tsukuba, Japan).

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