Ein Spot auf gefangene Atome
Teilchen in einem Lasergitter lassen sich nun einzeln beobachten - eine Voraussetzung für ein Quantenregister ist damit erfüllt
Bundestrainer Joachim Löw muss die Spieler der Nationalmannschaft zum engen Zusammenspiel bringen und zugleich jeden Einzelspieler führen. Vor einer ähnlichen Herausforderung steht das Team um Stefan Kuhr und Immanuel Bloch am Max-Planck-Institut für Quantenoptik (MPQ) in Garching. Ihre Spieler sind einige Tausend sehr kalter Rubidium-Atome, die in einem Gitter aus Laserlicht ein hochkomplexes Quantenspiel spielen. Um es verfolgen und eingreifen zu können, müssen die Physiker jedoch zuerst einmal jeden einzelnen ihrer winzigen atomaren Spieler sichtbar machen. Das gelang nun erstmals dem Garchinger Team. Es ist ein bedeutender Durchbruch: Kalte Atome in optischen Gittern, wie das Gebiet präzise heißt, sind zum wichtigen Werkzeug der Quanten- und Festkörperphysik geworden. Sie könnten auch die Grundbausteine eines zukünftigen Quantencomputers liefern. (Nature, 18. August 2010, DOI 10.1038/nature09378)
Bei ihrem Experiment geht es den Physikern des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in erster Linie um aufregende Grundlagenforschung. Sie tragen damit aber auch einen Schritt zur Verwirklichung der Zukunftsvision bei, eines Tages Quantencomputer bauen zu können. Solche Computer versprechen, hochkomplexe Rechenprobleme zu lösen, an denen konventionelle Computer scheitern. Zu den Grundbausteinen herkömmlicher Computer gehören so genannte Register, die elementare Rechenschritte in Form von Bits zwischenspeichern. In Quantencomputern werden Quantenregister eine vergleichbare Rolle beim Rechnen mit Quantenbits (Qubits) übernehmen.
Allerdings ist die Entwicklung solcher Quantenregister eine ungleich größere Herausforderung als bei konventionellen Computern. Dazu muss es zum einen gelingen, einzelne Quantenteilchen als Qubits zu manipulieren, zum Beispiel einzelne Atome. Zum anderen werden Quantenregister aus vielen Qubits bestehen, und erst solche Quantensysteme werden Quantencomputern ihre überlegene Rechenkraft verleihen.
Vielversprechender Kandidat für ein Quantenregister
Für die Konstruktion der Quantenregister gibt es derzeit verschiedene Kandidaten. Besonders spannend sind kalte Atome in Lichtgittern, wie sie das Team um Projektleiter Stefan Kuhr untersucht. Diese Systeme umfassen viele hundert Atome, bringen also entsprechend viele Qubits ins Spiel. Zur Präparation ihres atomaren Ensembles stellen die Garchinger zuerst ein so genanntes Bose-Einstein-Kondensat her. Dazu kühlen sie eine Gaswolke aus Rubidium-87-Atomen auf wenige Milliardstel Grad über den absoluten Temperaturpunkt ab, um die Wärmebewegungen der Atome einzufrieren. Da diese Atome zur Teilchenklasse der Bosonen gehören, werden sie nun sehr gesellig und versammeln sich im kollektiven Quantenzustand eines Bose-Einstein-Kondensats.
Danach bringen die Garchinger diese ultrakalte Atomwolke in eine extrem flache Pfannkuchenform mit etwa 50 Mikrometern (Tausendstel Millimeter) Durchmesser. Das entspricht der Dicke eines menschlichen Haars. Dann schalten sie zwei gekreuzte Laserstrahlen aus stehenden Lichtwellen ein. Diese formen im Raum um die schwebende Atomwolke ein regelmäßiges Lichtmuster. Dieses optische Gitter besteht aus hellen und dunklen Bereichen, und in die hellen Lichtpunkte zieht es die kalten Atome hinein. Man kann sie sich als kleine Murmeln vorstellen, die in die Vertiefungen eines Eierkartons fallen.
Wie im Karton bleiben die Atome dort auch gefangen, solange die Intensität des Lichts hoch genug ist. Anders als bei einem echten Eierkarton können die Physiker allerdings die Wände zwischen den Vertiefungen hoch und runter fahren, indem sie sozusagen am Dimmer des Laserlichts drehen. Abhängig von der Höhe dieser Energiebarrieren entwickelt das gefangene Quantengas der Atome sehr unterschiedliche Eigenschaften. Sind sie flach, dann können die Atome leicht von einem Gitterplatz in den benachbarten tunneln. Ein solches Ensemble behält dann die kollektiven Quanteneigenschaften des Bose-Einstein-Kondensats, es verhält sich wie eine sogenannte Supraflüssigkeit. Sind die Barrieren dagegen hoch, dann fixieren sie die Atome fest auf ihren Gitterplätzen. Das Resultat ist ein Mott-Isolator, benannt nach dem britischen Physiknobelpreisträger Sir Neville Mott.
Der kühlende Laser bringt die Atome zum Leuchten
Je mehr sich die Atomwolke also vom frei beweglichen Bose-Einstein-Kondensat zum Mott-Isolator entwickelt, desto weniger sollte die Zahl der Atome pro Gitterplatz schwanken. Dieses theoretisch vorhergesagte Verhalten haben die Forscher des Garchinger Max-Planck-Instituts nun in atomarer Auflösung beobachtet. "Das Tolle an unserem Experiment ist, dass wir erstmals in einem solchen System jedes einzelne Atom Gitterplatz für Gitterplatz sehen können", begeistert sich Stefan Kuhr. Seine Gruppe nutzte dazu aus, dass das Laserlicht, das die Atome einfängt und ihre Bewegung abkühlt, diese auch zum Leuchten anregt. "So können wir die einzelnen Atome mit einem speziell dafür entwickelten Mikroskop sichtbar machen", erläutert Kuhr, "und die Zahl der Atome pro Gitterplatz bestimmen." Sein Team verfolgte auch in einer Reihe von "Schnappschüssen" mit, wie die Zahl der Defekte im Gitter mit steigender Temperatur zunimmt. Die Ordnung fällt allmählich dem Hitzetod zum Opfer, und der Mott-Isolator schmilzt wie ein Eiskristall im Sommer.
Solange es kalt genug ist, behält der Mott-Isolator hingegen seine nahezu perfekte Ordnung bei. Diese für ein Quantenregister wichtige Eigenschaft wiesen die Garchinger Physiker in einer Serie von Messungen nach. Außerdem beobachteten sie, dass die einzelnen Atome der scheibenförmigen Wolke sich nicht gleichförmig über die Gitterplätze verteilen. Sie ordnen sich schön von selbst in konzentrischen Ringen an. Für diese Schalenstruktur sorgt das Profil der Laserstrahlen, die das Lichtgitter formen.
Dieses Profil hat zur Folge, dass die äußeren Plätze des Gitters auf einer höheren Energiestufe als die inneren liegen. Da die Natur gerne Energie spart, füllen sich zunächst die Gitterplätze im Inneren mit den kalten Atomen. Dabei steigt das gesamte Energieniveau wie ein Wasserpegel an und erreicht schließlich auch die äußeren Gitterplätze. Diese füllen sich nun ebenfalls mit Atomen. Daher wächst die Atomzahl pro Gitterplatz von außen nach innen in Stufen an.
Ein Simulator, der physikalische Rätsel lösen könnte
Befinden sich nun mehrere Atome auf einem Gitterplatz, dann sorgt das Laserlicht für einen weiteren Effekt: Im Zusammenspiel mit ihm können je zwei Atome durch einen Stoß so viel an Energie gewinnen, dass sie sofort aus der Falle fliegen. Bei einer ursprünglich ungeraden Zahl von Atomen bleibt so immer ein Atom pro Gitterplatz übrig. Bei einer geraden Atomzahl wird der Gitterplatz dagegen leer gefegt. Deshalb erscheinen diese Plätze als dunkle Ringe. Auf diese Weise können die Physiker einen Mott-Isolator herstellen, der immer nur ein Atom pro Gitterplatz beherbergt. Dieser bildet dann im Prinzip ein sehr großes Quantenregister aus bis zu mehreren hundert Quantenbits.
"Nun müssen wir noch zeigen, dass wir die Atome wirklich individuell manipulieren können", erklärt Kuhr, "nur so können wir Quantenbits kodieren und auslesen." Der Quantencomputer wird dann zwar immer noch eine eher ferne Zukunftsvision sein. Aber sogenannte Quantensimulatoren, die auf eine Idee des berühmten Richard Feynman zurückgehen, könnten damit bald realisierbar sein. Sie könnten das extrem komplexe Verhalten von Quantensystemen in Festkörpern simulieren. Dazu zählt das kollektive Zusammenspiel von Elektronen beim Magnetismus oder der Supraleitung, denn dieses spielt sich leider schwer zugänglich im Metall verborgen ab. Deshalb bergen diese kollektiven Quantenphänomene in Festkörpern noch viele Rätsel.
Ein offen zugängliches System aus im Licht schwebenden Quantenteilchen, das das Verhalten der Elektronen genau simulieren könnte, ließe sich dagegen wunderbar Quantenteilchen für Quantenteilchen beobachten. Das haben die Garchinger nun gezeigt. Damit haben sie einen wichtigen Schritt getan, um kalte Atome in optischen Gittern eines Tages als Quantensimulatoren einsetzen zu können. Für die Festkörperphysik ist das eine aufregende Perspektive.