Laserkicks für Atome
Physikern gelingt es, den atomaren Spin im Takt von Billionstel Sekunden umzuschalten
Festplatten in unseren PCs speichern Daten, indem ein Schreib- und Lesekopf für jedes Bit einen kleinen Bereich auf ihnen magnetisiert. Beim Auslesen tastet der Magnetkopf die Magnetisierung ab. Ziel ist es, die magnetisierten Bereiche immer mehr zu verkleinern und die Schreib- und Auslesegeschwindigkeit zu erhöhen. Einer Forschergruppe unter maßgeblicher Beteiligung des Fritz-Haber-Instituts (FHI) der Max-Planck-Gesellschaft ist es jüngst gelungen, Atome in einem Festkörper eine Billion Mal pro Sekunde gezielt "umzuschalten." Als Schalter dient den Wissenschaftlern Licht, genauer gesagt eine Terahertz-Welle. Zwar liegt eine praktische Anwendung noch in weiter Ferne, doch für die Grundlagenforschung eröffnen sich damit neue Perspektiven (Nature Photonics, Advanced online publication, 21. Nov. 2010).
Für ihr Experiment wählten Tobias Kampfrath vom Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft in Berlin und seine Kollegen von den Universitäten Konstanz und Bonn einen Kristall aus Nickeloxid - einen Antiferromagneten. Die magnetischen Eigenschaften dieser Materialgattung verbergen sich in den Atomen des Kristallgitters. Man kann sich diese Atome wie winzige, schnell rotierende Kreisel vorstellen, in denen Elektronen den Kern umkreisen. Dabei erzeugen diese wie ein Elektromagnet ein Magnetfeld. Die Atome werden damit vereinfacht gesprochen zu winzigen Stabmagneten. Physiker sprechen vom Spin eines Atoms.
Antiferromagneten haben die Eigenschaft, dass benachbarte Atome entgegengesetzten Spin haben. Damit sind auch die Minimagnete abwechselnd gepolt, und ihre Felder heben sich gegenseitig auf: Ein Antiferromagnet ist nach außen hin unmagnetisch. In Ferromagneten wie Eisen sind alle Spins dagegen gleich ausgerichtet, weswegen ein solches Material ein äußeres Magnetfeld erzeugt.
Vom Antiferromagneten Nickeloxid wissen Physiker schon seit langem, dass die Spins anfangen, extrem schnell zu präzedieren, also schwingen, wenn man sie aus ihrer Gleichgewichtsrichtung auslenkt, nämlich eine Billion Mal pro Sekunde. Das bietet prinzipiell die Möglichkeit, die Rotations- oder Spinachsen mit hoher Frequenz zu verkippen. Doch dafür fehlte bislang der Schalter.
Den fanden Kampfrath und Kollegen nun in Form von Terahertz-Impulsen. Im Grunde handelt es sich dabei um langwellige Infrarotstrahlung mit Wellenlängen von einigen Zehntel Millimetern und Frequenzen bis zu einer Billion Hertz. Ein solcher Impuls ist - genauso wie Licht - nichts anderes als ein elektromagnetisches Feld, das mit dieser hohen Frequenz schwingt. Die Idee der Physiker war nun: Das magnetische Feld von solch einem Terahertz-Impuls könnte die atomaren Minimagnete auslenken. Die Achsen geraten in Schieflage, und die Atome taumeln oder präzedieren, ähnlich wie ein Brummkreisel, den man angeschubst hat.
"Bis dahin hatte man geglaubt, die Magnetfelder in der Terahertz-Strahlung wären zu schwach, um die Spins der fest im Kristallgitter sitzenden Atome nennenswert auszulenken", sagt Kampfrath. Doch die Forscher nutzten die neueste Lasertechnik zum Erzeugen intensiver Terahertz-Strahlung und bewiesen das Gegenteil. Sie schossen aus einer bestimmten Richtung einen Terahertz-Impuls auf den Kristall und registrierten sofort, dass die Atom-Spins verkippt wurden.
Ohne weiteren äußeren Einfluss kreiseln die Spins nach einiger Zeit wieder in ihre Ursprungslage zurück. Doch das konnten die Physiker verhindern. Da bekannt ist, dass der Kreisel für eine Umdrehung eine Billionstel Sekunde benötigt, stießen sie ihn mit einem zweiten Terahertz-Impuls exakt nach einer ganzen Zahl von Umdrehungen wieder an und konnten so die Präzession aufrecht erhalten. Wenn sie aber den zweiten Impuls nach einer halbzahligen Umdrehung losschickten (also etwa eineinhalb oder zweieinhalb Umdrehungen nach dem ersten Impuls), dann klappte der Spin sofort wieder zurück. Das ist etwa so, als würde man eine Schaukel genau im Takt oder im Gegentakt anstoßen.
"Auf diese Weise können wir den Spin der Atome ganz gezielt und kontrolliert innerhalb von Billionstel Sekunden hin- und herkippen lassen", sagt Alexander Sell von der Universität Konstanz: "Trotz der hohen Intensität der Terahertz-Pulse beeinflussen wir nur die Spins. Andere Freiheitsgrade des Festkörpers werden nicht angeregt."
Im Prinzip wäre auf diese Weise das Schreiben und Auslesen von Informationsbits möglich. Doch bevor an konkrete Anwendungen gedacht werden kann, müssen weitere Experimente folgen. "Uns fasziniert das erst einmal als reine Grundlagenforschung", sagt Kampfrath. Denn mit der neuen Technik öffnet sich den Forschern ein weites Feld, um das Verhalten von Festkörpern auf so extrem kurzer Zeitskala zu studieren.
Denkbar erscheint es zum Beispiel, dass sie damit etwas über die Funktionsweise von Hochtemperatur-Supraleitern lernen können, die ebenfalls antiferromagnetisch sind. Diese Materialien sind zwar seit mehr als zwanzig Jahren bekannt und werden in einigen Bereichen auch eingesetzt. Doch warum sie unterhalb einer bestimmten Temperatur verlustfrei Strom leiten, ist noch weitgehend im Dunkeln.