Duftlandschaft in Stereo
Wüstenameisen können mit ihren Antennen Duftlandkarten erkennen und zur Navigation nutzen
Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena haben bei der Wüstenameise Cataglyphis eine neue Orientierungsleistung erforscht. Bekannt geworden sind die Ameisen bereits durch ihre beeindruckende visuelle Orientierung: Sie nutzen einen Sonnenkompass, kombiniert mit einem Schrittzähler, und sichtbare Landmarken, um nach der Futtersuche ihr Nest zielgenau anzusteuern. Nachdem das Forscherteam aus Jena kürzlich entdeckte, dass die Ameisen auch ihren Geruchssinn zum Auffinden ihrer Heimat benutzen, brachten weitere Experimente jetzt zum Vorschein, dass die Tiere nicht nur die Quelle eines Duftes ansteuern, sondern sogar die Verteilung verschiedener Düfte in der Nestumgebung - einer Landkarte ähnlich - lernen und zur Navigation einsetzen können. Auch zeigte sich, dass die Tiere für diese Art der Duftnavigation beide Antennen benötigen - sie riechen die Umgebung in Stereo. (Animal Behaviour, online first doi:10.1016/j.anbehav.2010.01.011)
Cataglyphis fortis, die Wüstenameise, ist in den kahlen Salzwüsten Tunesiens heimisch. Um nach der Nahrungssuche den Weg zurück zum Nest zu finden - ein etwa zwei Zentimeter kleines Loch im Wüstenboden - nutzt Cataglyphis verschiedene Navigationssysteme: einen Sonnenkompass, einen Wegstreckenintegrator (die Ameise zählt dabei quasi ihre Schritte) und die visuelle Erkennung von Landmarken. Dass darüber hinaus auch lokale Düfte eine Rolle bei der Orientierung des Insekts spielen, war kürzlich von Kathrin Steck, Bill Hansson und Markus Knaden, Neuroethologen am Max Planck Institut für chemische Ökologie in Jena, gezeigt worden (Frontiers in Zoology, 2009, Vol. 6 No. 5): Ameisen können lernen, einen Duft mit ihrem Nest zu assoziieren und sogar von anderen Düften zu unterscheiden. Können die Tiere aber auch Duftmuster wiedererkennen, die sich ergeben, wenn sich mehrere verschiedene Duftstoffe an verschiedenen Positionen in der Nähe ihres Nestes befinden? Und sollte dies der Fall sein, nutzen sie dann zur Orientierung ihre beiden Antennen als Stereoempfänger - so wie zwei Augen oder zwei Ohren eine räumliche Empfindung ermöglichen?
"Wir haben letztlich zwei Schlüsselexperimente gemacht", so Kathrin Steck, Doktorandin am Institut. "Zuerst haben wir am Nesteingang vier Duftpunkte gesetzt mit den Stoffen Methylsalicylat, Decanal, Nonanal und Indol und darauf die Tiere trainiert. Wurden diese vier Duftpunkte in derselben Anordnung vom Nest weg und woanders hin verschoben, steuerten die Tiere die Duftpunkte erneut an, obwohl sich das Nest dort gar nicht befand. Vertauschten wir aber die vier Duftpunkte in ihrer Position zueinander, waren die Tiere verwirrt." Damit lag die Vermutung nahe, dass die Ameisen nicht eindimensional "denken" - also einen spezifischen Duft mit dem Nest assoziieren - sondern mehrdimensional eine Art Landschaft aus Düften mit dem Nest in Verbindung bringen können. Die aus den vier Stoffen bestehende Duftlandschaft haben die Wissenschaftler mit Hilfe einer besonderen Messtechnik während der Verhaltensexperimente mit verfolgt. Sie verwendeten einen speziellen Photoionisationsdetektor, mit dem sie die Verteilung der Duftstoffe in Raum und Zeit feststellen konnten.
Eine räumliche Vorstellung kann am einfachsten erlangt werden, wenn, wie beim Sehen, zwei getrennte Wahrnehmungsorgane verfügbar sind. Dies wären in diesem Falle die beiden Antennen der Ameisen. "Damit lag das zweite Schlüsselexperiment nahe: Wir testeten Ameisen, die nur über eine Antenne verfügten", so Markus Knaden, Leiter der Studie. Tatsächlich konnten sich die Tiere, die auf Duftlandschaften trainiert wurden, aber nur noch eine Antenne besaßen, nicht mehr orientieren.
Stereoriechen bei Tieren ist schon länger bekannt - man ist sich sicher, dass Ratten und auch der Mensch dies können. Die vorliegende Untersuchung zeigt, dass auch Ameisen über diese Wahrnehmung verfügen, aber nicht nur das: "Wir haben in unseren Experimenten nachgewiesen, dass die Wüstenameisen das Stereoriechen erfolgreich für ihre Navigation in der Wüste einsetzen können", so Bill Hansson, Direktor am Institut.