Mehr Verkehrstote nach dem 11. September
Die Angst vor Terroranschlägen kann das Alltagsverhalten verändern und so zu mehr tödlichen Autounfällen führen
Die Terroranschläge vom 11. September 2001 haben bekanntermaßen die Welt verändert: Das Gefühl der Verwundbarkeit führte zum sogenannten „Krieg gegen den Terror“. Neue Gesetze wurden erlassen, Kontrollen verschärft, um die Gefahr der direkten Schäden infolge von Terrorismus zu verringern. Terroranschläge verursachen jedoch auch indirekte Schäden. Sie entstehen durch die Gedanken und Ängste der Menschen in Reaktion auf derartige Anschläge. Im Falle des 11. September waren es vor allem schwere Verluste der Luftfahrt- und Tourismusindustrie. Frühere Studien haben ergeben, dass die Menschen nach den Terroranschlägen verstärkt vom Flugzeug auf das nur vermeintlich sicherere Auto umgestiegen sind. Damit erhöhte sich nicht nur das Staurisiko: In den zwölf Monaten nach dem 11. September 2001 gab es schätzungsweise 1.600 mehr unfallbedingte Todesfälle auf US-amerikanischen Straßen, als es statistisch zu erwarten gewesen wäre.
Doch warum wurde ein solcher Anstieg an Verkehrsaufkommen und damit auch Verkehrstoten nur in manchen Bundesstaaten beobachtet, nicht aber in anderen? Und warum konnte nach den ebenfalls verheerenden terroristischen Zuganschlägen von Madrid im Jahr 2004 kein Anstieg von Autofahrten und Autounfällen beobachtet werden? Die Psychologen Gaissmaier und Gigerenzer vom Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und dem dort angegliederten Harding-Zentrum für Risikokompetenz präsentieren dazu neue Analysen, die demnächst im Fachblatt Psychological Science erscheinen werden.
Darin zeigen sie, dass der Autoverkehr insbesondere in der Nähe von New York zugenommen hat. Auf das dortige World Trade Center konzentrierten sich die Hauptanschläge, und diese Bilder und damit auch die Angst waren vermutlich besonders präsent für Menschen, die in der Nähe wohnten; eine Annahme, die auch durch andere Studien gestützt wird. Die Autoren identifizieren jedoch darüber hinaus noch einen zweiten, noch stärkeren Faktor, der erklären könnte, warum das Verkehrsaufkommen zum Teil auch in von New York weit entfernten Staaten stark angestiegen ist, insbesondere im Mittleren Westen: Dort war schlicht die Infrastruktur sehr gut geeignet, Fliegen durch Autofahren zu ersetzen. Gemessen an der Einwohnerzahl waren die Straßen sehr gut ausgebaut, und es waren viele Autos gemeldet.
„Unsere Studienergebnisse stützen die Annahme, dass die durch Terroranschläge hervorgerufene Angst potenziell gefährliches Verhalten verursachen kann. Sie verdeutlichen aber auch, dass Angst allein nicht ausreicht, um zu verstehen, wo nach fatalen Ereignissen wie denen vom 11. September indirekte Schäden auftreten können“, sagt Wolfgang Gaissmaier. „Um vorherzusehen, wo die indirekten Schäden terroristischer Anschläge besonders fatale Konsequenzen haben können, und um einen psychologischen Zweitschlag womöglich einzudämmen, müssen wir sehr genau auf die Rahmenbedingungen achten, die es gefährlichen Verhaltensweisen aus Angst erst erlauben, sich zu äußern – wie eben eine entsprechende Infrastruktur.“
Das könnte auch erklären, warum die Spanier nach den Zuganschlägen in Madrid am 11. März 2004 zwar weniger Zug gefahren sind, es jedoch keinen Anstieg an Autofahrten gab. Spanien hat schlicht eine weniger ausgeprägte Kultur des Autofahrens, und das drücken Gaissmaier und Gigerenzer auch in Zahlen aus: Während es in den USA im Jahr 2001 auf jeweils 1.000 Einwohner bezogen etwa 800 registrierte Autos gab, waren dies in Spanien im Jahr 2004 nur knapp 600.