Die Sonnenatmosphäre in neuem Licht
Daten des Observatoriums Sunrise liefern erstmals detailreiche Aufnahmen der Chromosphäre im Ultravioletten
Die Chromosphäre gibt Forschern noch immer Rätsel auf. Wie ist es möglich, dass dort im Schnitt die Temperatur mit zunehmendem Abstand vom Hitze spendenden Kern der Sonne um etwa 6000 Grad zunimmt? „Auf den ersten Blick widerspricht ein solcher Temperaturverlauf jedem physikalischen Verständnis“, sagt Sami K. Solanki, Leiter der Sunrise-Mission und Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Katlenburg-Lindau. Es ist, als würde es in einem beheizten Raum mit zunehmendem Abstand von der Heizung wärmer.
„Offenbar ist die Chromosphäre Schauplatz gewaltiger Energie-Umwandlungen“, so Solanki. „Vorgänge, die wir im Einzelnen noch nicht verstehen, müssen genügend Energie zur Verfügung stellen, um das Sonnenplasma derartig aufzuheizen.“ Daten des Erstflugs von Sunrise vor vier Jahren hatten ergeben, dass akustische Wellen aus dem Innern der Sonne einen beträchtlichen Teil dieser Energie bereitstellen. Zudem hat sich in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Chromosphäre sehr dynamisch ist: Heiße und kältere Regionen können sich durchmischen und sind ständig in Bewegung.
„Um das Rätsel zu lösen, ist es nötig, einen möglichst genauen Blick auf die Chromosphäre zu werfen – in allen zugänglichen Wellenlängenbereichen“, erklärt Solanki. Zusammen mit Kollegen des Kiepenheuer-Instituts für Sonnenphysik (Freiburg), des High Altitude Observatory (Boulder, USA) und des Instituto de Astrofísica de Andalucía (Granada, Spanien) ist es den Max-Planck-Forschern nun gelungen, ein entscheidendes Puzzleteil hinzuzufügen: erste hochaufgelöste Beobachtungen der Chromosphäre in ultraviolettem Licht.
Möglich wurden diese Aufnahmen durch das Sonnenobservatorium Sunrise, das – von einem riesigen Heliumballon getragen – aus einer Höhe von mehr als 37 Kilometern seinen Blick auf die Sonne richtet. In dieser Höhe hat Sunrise den Großteil der Erdatmosphäre unter sich gelassen. Diese Luftschichten schlucken die ultraviolette Strahlung der Sonne und machen sie so für erdgebundene Teleskope unzugänglich. Anfang Juni dieses Jahres startete Sunrise aus dem nordschwedischen Kiruna zu seinem zweiten Flug. Nach fünftägiger Reise landete das Observatorium an einem Fallschirm auf der abgelegenen Halbinsel Boothia im Norden Kanadas.
„Natürlich untersuchen auch Sonden aus dem Weltraum das ultraviolette Licht der Sonne“, sagt Sami K. Solanki. Sie liefern jedoch eine geringere räumliche Auflösung. Zudem bietet Sunrise einen weiteren entscheidenden Vorteil: Der Sunrise Filter Imager, eines der beiden wissenschaftlichen Instrumente des Observatoriums, filtert aus der gesamten Sonnenstrahlung ultraviolette Anteile bestimmter Wellenlängen heraus – etwa Strahlung mit einer Wellenlänge von 279,6 Nanometern.
„Nur die Magnesiumatome in der Chromosphäre emittieren diese Strahlung“, sagt Tino Riethmüller vom Lindauer Max-Planck-Institut, Erstautor der neuen Studie. „Obwohl Magnesium mit nur 0,0024 Prozent einen verschwindend geringen Teil der Sonnenmasse ausmacht, bietet uns dieses Element einen direkten Zugang zu dieser Region.“
Die neuen Daten zeichnen ein komplexes Bild der Chromosphäre: Dort, wo die Sonne inaktiv und ruhig ist, zeigen sich dunkle Bereiche mit einem Durchmesser von einigen tausend Kilometern, umgeben von hellen Rändern. Dieses Muster entsteht durch die gewaltigen Plasmaströme, die aus dem Innern der Sonne aufsteigen, an ihrer Oberfläche abkühlen und wieder hinabsinken.
Auffällig sind helle Punkte, die vereinzelt aufblitzen. In den ultravioletten Aufnahmen treten sie deutlich kontrastreicher zutage als zuvor. Wissenschaftler glauben, dass die hellen Punkte auf einzelne magnetische Flussröhren in der Photosphäre, die Grundbausteine des solaren Magnetfelds, hinweisen. Das Magnetfeld ist von besonderem Interesse, rührt von ihm doch die gesamte Sonnenaktivität her.
Neben diesen ruhigen Bereichen des Gestirns richteten die Forscher ihren Blick auch auf Regionen in direkter Nachbarschaft zu Sonnenflecken. Solche zum Teil riesigen dunklen Strukturen überziehen die sichtbare Oberfläche des Sterns besonders zahlreich in Zeiten hoher Aktivität. „Dort zeigen sich in unseren Aufnahmen helle langgezogene Strukturen, sogenannte Fibrillen“, sagt Riethmüller.
„Unsere ersten Auswertungen sind ausgesprochen vielversprechend“, kommentiert Solanki die neuen Ergebnisse. „Sie beweisen, dass die ultraviolette Strahlung aus der Chromosphäre hervorragend geeignet ist, um feine Strukturen und Prozesse sichtbar zu machen.“ Die Forscher hoffen nun, dass die Datenauswertung weitere neue Erkenntnisse liefern wird. Zudem setzen sie auf eine enge Zusammenarbeit mit Kollegen der IRIS-Mission. Dieses Weltraumteleskop der amerikanischen Raumfahrtagentur NASA startete am 28. Juni dieses Jahres, einige Wochen nach dem Flug von Sunrise, und untersucht ebenfalls die ultraviolette Strahlung der Chromosphäre und der Korona.
BK / HOR