Forschungsbericht 2013 - Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie
Bakterielle Nanospritzen
Leuchtende Fadenwurm-Bakterien und ihre tödliche Fracht
Das lichtemittierende Bakterium Photorhabdus luminescens lebt symbiotisch im Darm von millimetergroßen Fadenwürmern. Diese Allianz ist für beide Organismen überlebenswichtig [1]. Die Würmer befallen im Boden lebende Insektenlarven und infizieren sie mit den Bakterien. Die Bakterien produzieren einen Giftcocktail, mit dem sie die Larven töten und danach fressen. Die Würmer wiederum fressen die Bakterien und pflanzen sich fort. Aufgrund ihrer für Insekten tödlichen Wirkung werden diese Symbionten in der Landwirtschaft als biologische Schädlingsbekämpfungsmittel eingesetzt.
Momentaufnahmen einer bakteriellen Mikroinjektionsnadel
Die sogenannten Tc-Toxine gehören zu den wirksamsten Giften von Photorhabdus. Sie bilden Komplexe aus drei verschiedenen Proteinen (TcA, TcB, TcC) und werden daher auch als ABC-Toxine bezeichnet. Erste Untersuchungen deuteten darauf hin, dass die biologische Aktivität in TcC lokalisiert ist [2]. Es fördert die unkontrollierte Polymerisation von Aktin in der Wirtszelle, die letztendlich zum Zelltod führt. Aber wie gelangt TcC ins Innere der Zelle, um seine tödliche Wirkung zu entfalten? Um Antworten darauf zu finden, wurde das Toxin zunächst mit Hilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie untersucht. Mit dieser Technik können im Eis eingebettete Proteine bis ins nahezu atomare Detail analysiert werden.

Abb. 1: Dreidimensionale Struktur von TcA, der größten Komponente des ABC-Toxins. Rekonstruiert aus elektronenmikroskopischen Aufnahmen (grün: die äußere Hülle, gelb: der zentrale Kanal).
Dabei wurde zuerst TcA, die größte Komponente des Tc-Toxins, im Elektronenmikroskop bei Temperaturen von -196°C abgebildet. Tausende Einzelbilder des Komplexes wurden aufgenommen, um die dreidimensionale Struktur des Komplexes bei einer Auflösung von 6 Ångström zu erhalten. Bei dieser Auflösung kann man Protein-Sekundärstrukturen, wie z. B. Helices, identifizieren. Dabei stellte sich heraus, dass fünf Untereinheiten eine glockenähnliche Struktur bilden, die aus einer äußeren Hülle und einem inneren Kanal besteht (Abb. 1), [3].
Weitere elektronenmikroskopische und biochemische Untersuchungen zeigten, dass TcA in extrem basischem Milieu (wie es im Mitteldarm der Insektenlarven herrscht) eine spektakuläre Konformationsänderung durchläuft: die äußere Hülle öffnet sich, der Kanal wird entkoppelt und wie eine Nadelspritze durch die Membran-Doppelschicht geschoben [3].
Der Injektionsapparat in atomarer Auflösung
Die genaue Analyse des Komplexes mittels Röntgenkristallographie identifizierte eine ungewöhnlich gestreckte Polypeptidkette als die treibende Kraft für diese drastischen Konformationsänderungen [4]. Diese verbindet den zentralen Kanal mit der äußeren Hülle und steht unter Spannung, vergleichbar mit einer gestreckten Feder. Die Hülle, die den unteren Bereich des Kanals umschließt und verhindert, dass sich die Polypeptid-Feder entspannen kann, öffnet sich, sobald der pH-Wert in der Umgebung sinkt oder steigt. Nun kann sich die molekulare Feder entspannen und die gespeicherte mechanische Energie freisetzen. Dabei zieht sie den zentralen Kanal mit sich und verschiebt ihn um ca. zwölf Nanometer. Dieser stößt dadurch mit seiner Spitze durch die Membran der Wirtszelle und bildet einen Kanal, der ins Innere der Zelle führt (Abb. 2), [4].

Abb. 2: Eine molekulare Feder treibt die Nanospritze an.
Dargestellt sind Strukturveränderungen des TcA-Toxins während der Nanoinjektion. Das Toxin wird durch pH-Wert-Veränderungen aktiviert. Dadurch öffnet sich die äußere Hülle (grün) und die gestreckte molekulare Feder (schwarz) kann sich entspannen. Dabei zieht sie den zentralen Kanal mit (gelb).
Auf der äußeren Hülle von TcA wurden außerdem potenzielle rezeptorbindende Domänen identifiziert, die für die Wirts- oder Zellspezifität von extremer Bedeutung sein können. Eine dieser Domänen ähnelt sogar sog. Neuraminidasen, Enzymen, die u. a. in der Membran von verschiedenen Viren zu finden sind und Ziele von modernen virustatisch wirkenden Medikamenten darstellen.
Der Kokon enthält das Killer-Enzym
TcB und TcC formen zusammen einen hohlen Kokon, der eine Art Behälter für das hochtoxische C’-terminale Ende von TcC darstellt, das autoproteolytisch von TcC gespalten wird (Abb. 3).

Abb. 3: Aufbau des molekularen Kokons
TcB (lila) und TcC (gold) formen als Komplex einen hohlen Behälter, der den Giftstoff enthält. Die Struktur wurde mittels Röntgenkristallographie ermittelt.
Dieser Kokon dient somit nicht nur zum Schutz des giftigen Inhalts (z.B. vor Proteasen), sondern schützt auch die Bakterien vor den eigenen Giftstoffen. Zudem entfaltet er wahrscheinlich auch das giftige Peptid, damit dieses später durch den Kanal passt. Das Toxin soll nur zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort freigesetzt werden, nämlich um die Wirtszelle zu attackieren. Und genau in diesem Kontext kommt wieder die dritte Untereinheit TcA, die als Nanospritze fungiert, ins Spiel: Der Kokon von TcB/TcC dockt spezifisch an TcA an, sodass sein giftiger Inhalt ins Kanalinnere der Nanospritze gelangt (Abb. 4).
Die Hülle der Nanospritze bindet anschließend an bestimmte Rezeptoren an der Oberfläche der Wirtszelle. Der Kanal wird dann wie die Kanüle einer Spritze durch die Zellmembran geschoben und transportiert so das Killer-Enzym ins Zellinnere. Im Zytoplasma der Wirtszelle faltet sich das Enzym wieder in seine ursprüngliche Form und entfaltet dort seine tödliche Wirkung. Die Insektenlarven sterben meistens innerhalb von 48 Stunden.

Abb. 4: Tc-Toxine: Zusammenspiel der drei Komponenten
TcB/TcC bilden einen Kokon (orange), der den Giftstoff (rot) für die Insekten enthält. TcA bildet den Injektionsapparat (grün/gelb). Zuerst dockt der Kokon an den Injektionsapparat und der Giftstoff befindet sich nun im Kanalinneren des Apparats. Dann bindet der Komplex an einen Rezeptor an der Oberfläche der Wirtszelle und der dreidimensionale Aufbau verändert sich. Der zentrale Kanal schiebt sich durch die Membran und der Giftstoff kann so in das Zellinnere gelangen, wo er zum Killer-Enzym wird.
Ausblick
Die Struktur des Injektionsapparats und desTransportkokons und der Mechanismus der Toxintranslokation der Tc-Toxine von Photorhabdus sind einzigartig und unterscheiden sich von allen bereits bekannten Toxinen in jeder Hinsicht. Diese Toxin-Familie ist auch bei Bakterien zu finden, die Krankheiten bei Menschen hervorrufen, wie z. B. Yersinia pestis, dem Erreger der Lungen- und Beulenpest. Deshalb werden die jetzigen Erkenntnisse und die weitere Erforschung des molekularen Mechanismus der hier untersuchten Tc-Proteine helfen, die Wirkungsweise der humanpathogenen Bakterien besser zu verstehen und zu bekämpfen. Insbesondere die Identifizierung potenzieller Rezeptoren an der Oberfläche der Wirtszellen sowie die Aufklärung ihrer Interaktion mit dem Toxin eröffnet neue Möglichkeiten in der Medizin und der Landwirtschaft. Denn hier würde sich die Chance ergeben, die Wirkung dieser Toxine zu hemmen (z. B. bei humanpathogenen Bakterien) oder – falls erwünscht – sogar weiter zu verstärken bzw. zu modifizieren (z. B. für schädlingsresistente Nutzpflanzen und insektenpathogene Bakterien).
Aber noch wichtiger: Die neuen Erkenntnisse enthüllen einen völlig neuen Mechanismus, wie Peptide beschützt durch die Membran in eine Zielzelle transportiert werden können. Eine Perspektive mit enormem Potenzial wäre daher die Entwicklung von modifizierten Tc-Komplexen, die als „Protein-Shuttles“ bzw. Nanospritzen gezielt in der Medizin eingesetzt werden können.