Leseproben aus dem Jahrbuch 2014
Das Jahrbuch 2014 bündelt Berichte über Forschungsarbeiten der Max-Planck-Institute und vermittelt anschaulich die Vielfalt an Themen und Projekten. Wir haben fünf Beiträge ausgewählt. Wer sich für die detaillierten Forschungsberichte interessiert, kann diese direkt im Jahrbuch nachlesen.
Kindesmisshandlung beeinflusst Gene
Wer als Kind Opfer von Gewalt wird, behält Narben nicht nur an Körper und Seele. Selbst die Gene spiegeln diese Erfahrungen wider. Ein Forscherteam um Elisabeth Binder vom MPI für Psychiatrie hatte Blutproben von 169 Personen analysiert, die unterschiedliche traumatische Ereignisse durchlebt hatten. 61 davon litten an Posttraumatischer Belastungsstörung. Wie die Studie ergab, lagen derselben Diagnose jedoch nicht die gleichen biologischen Veränderungen zugrunde. Entscheidend war die persönliche Biografie: Bei Patienten, die als Kind misshandelt worden waren, zeigten bestimmte Gene ein anderes Aktivitätslevel als bei solchen, die dieses Trauma nicht erfahren hatten. In der Therapie werden diese Unterschiede bisher vernachlässigt – ein möglicher Grund dafür, dass nicht alle Patienten auf eine Behandlung ansprechen. Wissenschaftler suchen daher nach molekularen Biomarkern, die es erlauben, individuelle Diagnose- und Behandlungsstrategien zu entwickeln.
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Glas durchschaut
Was gibt es wohl an einem der ältesten menschlichen Werkstoffe, dem Glas, noch zu forschen? Tatsächlich eine ganze Menge, weil die amorphe Struktur des Glases bisher nicht richtig verstanden war. Während es seit Anfang des 20. Jahrhunderts vergleichsweise einfach ist, die Struktur kristalliner Stoffe zu analysieren, indem man sie mit Röntgenstrahlung durchleuchtet, war das gleiche mit unregelmäßig gebauten Feststoffen, zu denen die Gläser gehören, bisher nicht möglich. Markus Heyde und Shamil Shaikhutdinov in der Abteilung von Hans-Joachim Freund am Fritz-Haber-Institut haben für ihre Messungen das Glas erst zweidimensional hergestellt: Auf einer Metalloberfläche wurden ultradünne Lagen aus Glas präpariert und die Struktur der amorphen Schicht in atomarer Auflösung mit einem Rastersondenmikroskop sichtbar gemacht. Dabei konnten die Wissenschaftler die schon 80 Jahre alte „Random Network Theory“ des Physikers William Zachariasen bestätigen.
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Vom Plattwurm lernen, heißt regenerieren lernen
Die erstaunlichen Fähigkeiten der Planarien, einer Gattung der Plattwürmer, zur Regeneration von fehlenden Körperteilen untersucht am MPI für molekulare Biomedizin Kerstin Bartscherer. Sogar aus dem kleinen Schwanzstück eines Wurms entsteht nur aus dem vorhandenen Gewebe ein neues vollständiges Tier. Bartscherer benutzt Planarien als Modellsystem für die Erforschung der dahinterstehenden Stammzellen: Im Wurm verteilt existieren so genannte Neoblasten, von denen einige pluripotent sind, also alle Zellformen ausbilden können. Die Wissenschaftler versuchen durch eine Analyse wichtiger Proteine in den Stammzellen, die verantwortlichen Mechanismen aufzuklären. Ein spezifisches Protein (Nuclear Receptor Co-Activator-5), dem bisher keine Funktion in Stammzellen zugeordnet wurde, konnte nun von den Forschern in Münster als wichtig sowohl für den Stammzellerhalt als auch für die Regeneration nachgewiesen werden.
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Sequenzvariabilität bei Pflanzen
Im Jahr 2000 wurde erstmals das komplette Genom einer Pflanze veröffentlicht. Mit erheblichem Aufwand hatten Forscher das Erbgut der Modellpflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) sequenziert – ein Meilenstein in der Pflanzenforschung. Verglichen mit der damaligen Methode sind die neuen Sequenziertechniken – die sogenannten Next Generation Sequencing Technologies – nicht nur wesentlich preiswerter, sondern erlauben auch einen viel höheren Probendurchsatz. Dies ermöglicht es den Forschern vom MPI für molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam heute, Hunderte Arabidopsis-Pflanzen von unterschiedlichen geografischen Standorten zu sequenzieren und winzigen Unterschieden in der Gensequenz auf die Spur zu kommen. Diese sind mitunter entscheidend für die Anpassung an die jeweiligen lokalen Bedingungen. Die Hochdurchsatz-Sequenzierung verspricht daher nicht nur Erkenntnisse über die Evolution von Pflanzen, sondern ebnet auch den Weg für neue Ansätze in der Pflanzenzüchtung.
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Leseratten und Lesemuffel
Warum sind einige Kinder wahre Leseratten, andere dagegen eher Lesemuffel? Fragen wie diesen ist die Forschungsgruppe „REaD“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung auf der Spur. Ihr Ziel ist es, festzustellen, wie sich Lesedefizite beheben lassen. Denn Lesen ist kein Kinderspiel, sondern eine komplexe kognitive Fähigkeit – und um diese zu meistern, brauchen Kinder pädagogische Unterstützung. In ihren Untersuchungen stellten die Forscher fest, dass es ein positives Wechselspiel zwischen Leseverhalten und Lesefähigkeit gibt: Wer gut liest, liest auch gerne. Zudem bedeutet ein hoher Buchkonsum noch einen weiteren Vorteil für die jungen Bücherwürmer. Eine höhere Lesekompetenz führt nämlich auch zu einem größeren Wortschatz. Das Forscherteam setzt daher auf gezielte Einzelförderung von langsameren jungen Lesern und Leserinnen, um das „kognitive Immunsystem“ der Kinder zu stärken. Denn sind sie erst einmal in der Lage, selbständig Zugang zu Büchern zu finden, ist auch ein Harry-Potter-Band nicht mehr vor ihnen sicher.