Gemeinsam sind wir stark – oder unausstehlich
Jeder kann auf das Miteinander in einer Gruppe einwirken, besonders wenn er seine Kräfte mit denen anderer bündelt
Wie bringt man als Einzelner seine Mitmenschen dazu, sich sozial zu verhalten? Das ist eine der zentralen Fragen von sozialen Dilemmas in der Spieltheorie. Bisherige Untersuchungen sind davon ausgegangen, dass sich Kooperation in großen Gruppen kaum steuern lässt. Doch nun haben Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie nachgewiesen, dass jeder von uns Einfluss auf das Kooperationsverhalten anderer nehmen kann. Allerdings sind die Möglichkeiten des Einzelnen vor allem in großen Gruppen begrenzt. Daher haben die Forscher auch untersucht, wie es das Miteinander der Gruppe beeinflusst, wenn sich mehrere Gleichgesinnte zusammenschließen. Das berechnete Ergebnis entspricht der Erfahrung: Gemeinsam lässt sich mehr bewirken.
Wenn Spieltheoretiker kooperatives Verhalten testen, verwenden sie häufig als Modell das sogenannte Gefangenendilemma: Zwei Mitspieler entscheiden sich getrennt voneinander entweder für soziales oder für egoistisches Verhalten. Handeln beide egoistisch, haben sie wenig davon. Kooperieren sie, profitieren beide davon. Den größten Gewinn bekommt jedoch derjenige, der egoistisch handelt, während der andere sozial agiert. Wenn diese Situation mit beiden Beteiligten mehrmals hintereinander durchgespielt wird, kann es dagegen zu Kooperation kommen.
Lange Zeit galt es in der Spieltheorie als unmöglich, dass in diesem Dilemma der eine Spieler das Ergebnis unabhängig von dem Vorgehen des anderen steuern kann. Bis vor zwei Jahren ein amerikanisches Forscherteam mathematisch gezeigt hat, dass es mit den sogenannten Zero-Determinant-Strategien (kurz: ZD-Strategien) tatsächlich die Möglichkeit gibt, dass ein einzelner Spieler den Zusammenhang zwischen dem eigenen Gewinn und dem des Gegenspielers kontrollieren kann. Ein Spieler kann also bestimmen, ob er weniger, in gleicher Höhe oder sogar mehr als der andere profitiert, indem er großzügig, fair oder erpresserisch spielt. Vor allem die Möglichkeit der Erpressung war bis dahin unbekannt und hat in der Fachwelt für Aufsehen gesorgt.
In der Praxis lassen sich allerdings viele Menschen nicht auf Dauer ausnutzen, wie Wissenschaftler um Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie in Plön bei einem experimentellen Test an Probanden herausfanden. Zwei ihrer Plöner Kollegen haben nun gemeinsam mit Forschern von der Harvard University den Ansatz in anderer Weise auf die Probe gestellt. Sie haben die ZD-Strategien mathematisch auf Situationen mit vielen Mitspielern ausgeweitet. Schließlich gibt es im realen Leben meistens mehr als zwei Beteiligte, die kooperieren sollen. „Drängende Probleme unserer Zeit wie die Vermeidung des Klimawandels lassen sich im Sinne der Spieltheorie als soziales Dilemma mit einer Vielzahl an Spielern verstehen“, erläutert Arne Traulsen, Direktor der Abteilung Evolutionstheorie am Plöner Institut. „Viele Menschen haben das Gefühl, sie könnten als Einzelne nichts bewirken. Aber da unterschätzen sie ihre Möglichkeiten.“
Christian Hilbe, ehemaliger Postdoc in Plön, und seine Kollegen haben mithilfe mathematischer Berechnungen gezeigt, dass die ZD-Strategien, die im Spiel mit zwei Beteiligten erfolgreich sind, ihre Wirkung auch in Situationen mit einer beliebigen Anzahl von Spielern entfalten. Eine einzelne Person kann also auch innerhalb einer Gruppe kontrollieren, wie ihr Gewinn im Vergleich zu den anderen Spielern ausfällt. Spielt die Person fair, das heißt, kooperiert sie, wenn die anderen kooperieren, bestraft jedoch egoistisches Verhalten proportional durch Verweigerung von Kooperation, wird ihr Gewinn dem Mittelwert der anderen entsprechen. Verhält sich ein Spieler großzügig, agiert er also häufiger sozial als seine Mitspieler, kann er dafür sorgen, dass diese Mitspieler besser abschneiden. Ein Spieler hat aber auch die Möglichkeit die anderen zu erpressen. Die Taktik: Er kooperiert hinreichend oft, sodass es für die Mitspieler vorteilhaft ist, eine dauerhaft kooperative Strategie anzuwenden. Gleichzeitig zielt der Erpresser jedoch darauf ab, öfter egoistisch zu handeln als die anderen. Damit gelingt es ihm, die anderen auszunutzen und einen höheren Gewinn zu erzielen.
„Am meisten hat uns allerdings interessiert, wie der Einzelne dazu beitragen kann, dass sich innerhalb der Gruppe eine stabile Zusammenarbeit entwickelt“, sagt Hilbe. Tatsächlich konnten die Forscher berechnen, welche Strategien die Kooperation fördern. Danach sollten Einzelspieler grundsätzlich großzügig agieren, um nicht in eine Verweigerungsspirale zu geraten, wenn sich ein anderer – möglicherweise aus einem Missverständnis heraus – einmal egoistisch verhalten hat. Andererseits sollten Einzelspieler auch nicht zu großzügig sein, und egoistisches Verhalten konsequent bestrafen.
Die strategischen Möglichkeiten des Einzelnen werden jedoch immer geringer, je mehr Personen am Spiel beteiligt sind. In großen Gruppen ist es daher naheliegend, sich mit anderen zu einer Allianz zusammenzuschließen, um mit einer gemeinsamen Strategie erfolgreich zu sein. Ob diese Taktik in jeder einzelnen Runde neu abgesprochen oder von vornherein vereinbart wird, ist nach den Berechnungen sekundär. Wesentlich für das gemeinsame Ziel ist, wie viele sich verbünden.
Allerdings muss sich eine Allianz nicht zwingend einem sozialen Vorgehen verschreiben. Im Gegenteil, sie kann geradezu eine Erpresserbande bilden. „Wenn sich ausreichend viele zusammenschließen, sind der Erpressung keine Grenzen gesetzt“, beschreibt Traulsen das Ergebnis des Modells. Aber sogar dieses Phänomen kann eine positive Wirkung entfalten. Denn die Bande bringt die anderen dazu, sozial zu handeln. Dadurch kann sie – zumindest nach dem Modell – eine positive Gruppendynamik unter den Außenstehenden bewirken und in gewisser Weise Kooperation fördern.
MEZ/HR