Bloß kein Außenseiter sein!
Kleinkinder imitieren Gleichaltrige, um dazuzugehören, während Menschenaffen eher bei ihren eigenen Vorlieben bleiben
Kinder und Schimpansen richten sich oft nach der Mehrheit, wenn sie etwas Neues lernen möchten. Aber geben sie, um sich Gleichaltrigen anzupassen, auch eigene Vorlieben auf? Ein Forscherteam vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Universität Jena hat jetzt im direkten Vergleich zwischen Menschenaffen und Kindern herausgefunden, dass die Bereitschaft, eigene Vorlieben zugunsten Anderer aufzugeben, beim Menschen besonders stark ausgeprägt ist – und das bereits bei Kleinkindern im Alter von zwei Jahren. Interessanterweise schien die Anzahl derjenigen, die eine alternative Problemlösung präsentierten, keinen Einfluss darauf zu haben, ob die Kinder sie imitierten.
Vom Spielplatz bis zum Vorstandsbüro passen Menschen ihr Verhalten oft anderen Menschen an, um zu einer bestimmten Gruppe dazu zu gehören. Diese Anpassung erfolgt beim Menschen bereits im Kindesalter, konnte bei Schimpansen und Orang-Utans aber nicht nachgewiesen werden. „Konformität spielt im menschlichen Sozialverhalten eine zentrale Rolle. Sie grenzt verschiedene Gruppen voneinander ab und hilft ihnen dabei, ihre Aktivitäten zu koordinieren. Sie stabilisiert und fördert die kulturelle Diversität, ein für den Menschen charakteristisches Merkmal“, sagt der Psychologe Daniel Haun vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, der die Studie leitete.
Das soll nicht heißen, dass es immer das Beste ist, sich der Mehrheit zu fügen. Konformität kann gut oder schlecht, hilfreich oder nicht, angemessen oder unangemessen sein, sowohl für das Individuum als auch für die Gruppe. „Tatsache ist, dass wir uns der Mehrheit oft anpassen, und dass unsere Sozialstruktur eine ganz andere wäre, wenn wir uns anders verhielten. Unsere Studie zeigt, dass sich bereits zweijährige Kinder Anderen anpassen, während Schimpansen und Orang-Utans bei dem bleiben, was sie kennen“, so Haun.
In einer früheren Studie hatten Haun und seine Kollegen herausgefunden, dass Kinder und Schimpansen sich der Mehrheitsmeinung anschließen, wenn sie etwas Neues lernen. Das ist durchaus sinnvoll, denn die Gruppe verfügt über Wissen, das einer Einzelperson nicht notwendigerweise bekannt ist. Andere Studien zeigen aber, dass erwachsene Menschen sich manchmal auch dann der Mehrheit anpassen, wenn sie über das relevante Wissen selbst verfügen, damit sie sich nicht von der Gruppe abheben. Um zu untersuchen, ob Kleinkinder und Menschenaffen ebenfalls diese sogenannte „normative“ Konformität praktizieren, stellten Haun und seine Koautoren Michael Tomasello und Yvonne Rekers zweijährige Kinder, Schimpansen und Orang-Utans vor eine ähnliche Aufgabe.
In den Experimenten der Forscher sollten die Kinder und Menschenaffen einen Ball in eine Kiste fallen lassen, die in drei getrennte Sektionen unterteilt war. Aber nur bei einer Sektion kam nach dem Balleinwurf auch eine Belohnung heraus: für den Menschenaffen eine Erdnuss, für das Kind eine Schokoladenkugel.
Nachdem der Teilnehmer den Umgang mit der Kiste gelernt hatte, konnte er in einem nächsten Schritt mehrere ihm bekannte Gleichaltrige beim Balleinwurf beobachteten. Diese ließen den Ball jedoch in eine andere Sektion fallen als die, aus der der Teilnehmer eine Belohnung erhalten würde. Als der Teilnehmer dann wieder an der Reihe war, musste er sich vor den Augen der drei anderen Kinder für eine Sektion entscheiden.
Die Ergebnisse zeigten, dass Kinder ihr Verhalten öfter dem der Gleichaltrigen anpassten als Menschenaffen. Während die Kinder in mehr als der Hälfte der Fälle Konformität an den Tag legten, ignorierten Schimpansen und Orang-Utans ihre Artgenossen weitestgehend und blieben der Strategie treu, die sie zuvor gelernt hatten.
Eine Folgestudie mit Zweijährigen ergab, dass die Kinder sich häufiger dann für die gezeigte Alternative entschieden, wenn die Gleichaltrigen zuschauten. War das nicht der Fall, blieben sie hingegen häufiger ihrer eigenen Lösung treu. Interessanterweise machte es keinen Unterschied, ob ein oder drei Gleichaltrige die Alternativlösung präsentierten – nachgeahmt wurde genauso oft. Diese Konformität bereits bei Kleinkindern zeigt, dass die Motivation sich Anderen anzupassen beim Menschen bereits sehr früh auftritt. „Wir waren überrascht, dass schon zweijährige Kinder ihr Verhalten ändern, nur um den potenziellen Nachteil zu vermeiden, anders zu sein“, sagt Haun.
Die Forscher untersuchen jetzt, inwiefern Umweltfaktoren, wie zum Beispiel die Schulbildung oder verschiedene Erziehungsmethoden, einen Einfluss auf das Konformitätsverhalten von Kindern haben.
SJ/HR