Ein neuer Blick auf das Magnetfeld der Sonne
Max-Planck-Forscher finden heraus, wie sich die Stärke eines kommenden Aktivitätszyklus vorhersagen lässt
Sonnenflecken, Strahlungsausbrüche und heftige Eruptionen sind Anzeichen für eine permanente Aktivität unserer Sonne. Wie Forscher schon seit langem wissen, schwankt diese in einem Zyklus von etwa elf Jahren Länge. Auch wenn noch viele Fragen offen sind, so steht eines fest: Hinter der vielfältigen Aktivität stecken Magnetfelder, die aus dem Innern unseres Tagesgestirns an die Oberfläche treten. Robert Cameron und Manfred Schüssler vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen haben jetzt nachgewiesen, dass man allein aus der Beobachtung der magnetischen Vorgänge an der Oberfläche den inneren Mechanismus erschließen kann. Das ermöglicht sogar Vorhersagen über die Stärke eines kommenden Aktivitätszyklus.
Die Sonne ist ein riesiger Gasball, in dessen Innern heiße Gase strömen, aufsteigen und absinken. In diesem Inferno entsteht ein Magnetfeld, das in seiner Grundstruktur jenem der Erde ähnelt. Es besitzt die Form eines Dipols, dessen Magnetfeldlinien an den Sonnenpolen die Oberfläche durchstoßen.
Die Magnetfelder sind jedoch an das heiße, elektrisch leitende Gas gebunden und werden von ihm in komplizierter Weise gedehnt und verzogen – wie Gummibänder in Honig, den man rührt. So wird eine anfänglich zur Rotationsachse parallel verlaufende Magnetfeldlinie von dem rotierenden Gas mitgeschleppt.
Das Gas in der Äquatorregion bewegt sich jedoch wesentlich schneller als in mittleren und hohen Breiten. Dadurch werden die Feldlinien im Äquatorbereich in die Länge gezogen und wickeln sich im Laufe von mehreren Umdrehungen regelrecht auf: Es bildet sich ein ringförmiges Magnetfeld in Ost-West-Richtung, auch Toroidalfeld genannt.
Diese Magnetfeldlinien können sich zu dicken Bündeln vereinigen, die nach oben steigen, bis sie schließlich aus der Oberfläche austreten und eine Schlaufe formen. An den beiden Durchstoßpunkten entstehen die bekannten dunklen Sonnenflecken. Diese treten deshalb meistens paarförmig in Ost-West-Richtung auf und bilden jeweils einen magnetischen Nord- und Südpol. Innerhalb eines elfjährigen Zyklus ist die magnetische Orientierung bei allen Flecken identisch. Das Toroidalfeld besitzt also immer dieselbe Richtung.
„Bisher waren viele Fachleute der Meinung, dass die nach außen in Erscheinung tretenden magnetischen Phänomene lediglich die Symptome der inneren Vorgänge sind“, sagt Manfred Schüssler vom Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen. „Wir haben nun aber einen mathematischen Satz angewandt, den der irische Mathematiker und Physiker George Gabriel Stokes im 19. Jahrhundert bewiesen hat.“ Dieser Satz stellt einen Zusammenhang zwischen den Feldern an der Oberfläche und dem Innern eines Körpers her. Mit diesem rein mathematischen Argument haben die Wissenschaftler bewiesen, dass das an der Oberfläche der Sonne messbare Magnetfeld die einzige Quelle für das geordnete toroidale Feld im Sonneninnern ist, durch das wiederum die Aktivitätsphänomene des nachfolgenden Elf-Jahres-Zyklus bewirkt werden. „Was wir an der Oberfläche sehen, ist das relevante Feld“, sagt Schüssler. „Die Oberflächenphänomene sind, bildlich gesprochen, nicht der Schwanz des Hundes, sondern sie sind der Hund selbst.“
Im Vergleich mit Beobachtungsdaten konnten Robert Cameron und Manfred Schüssler zeigen, dass das Dipolfeld die bei Weitem dominierende Quelle des toroidalen Feldes ist. Damit haben sie ein Modell bestätigt, das die amerikanischen Astronomen Horace Babcock und Robert Leighton bereits in den 1960er-Jahren aufgestellt hatten. Das ermöglicht es nun zudem, Vorhersagen über die Stärke eines kommenden Aktivitätszyklus zu machen. Im Verlaufe eines Elf-Jahres-Zyklus wechselt das Dipolfeld seine Richtung: Der magnetische Nordpol wird zum Südpol und umgekehrt. Das neue Dipolfeld erreicht seine maximale Stärke etwa in der Phase minimaler Sonnenaktivität.
Da das Dipolfeld die Quelle für das Toroidalfeld des nächsten Zyklus ist, sollte seine Stärke ein Maß für die Aktivität des nächsten Zyklus sein. Eine solche Korrelation wurde bereits festgestellt: „In der Phase des letzten Minimums um das Jahr 2009 herum war die Stärke des Dipolfeldes verhältnismäßig gering, dementsprechend schwach ist auch der jetzige Zyklus“, so Schüssler.
Zukünftig wird sich die Vorhersagekraft weiter überprüfen lassen. Bisher ist es nämlich sehr schwierig, die Stärke des Dipolfeldes zu messen, weil die Sonnenpole von der Erde kaum einsehbar sind. Das soll sich ändern, wenn 2017 der Solar Orbiter startet. Dieses Sonnenteleskop wird sich der Sonne bis auf ein Drittel des Abstandes Erde-Sonne nähern und sich auch über die Erdbahnebene hinaus erheben. Damit eröffnet es den Blick auf die Polregionen. Das Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung ist am Bau von vier Instrumenten an Bord des Solar Orbiter beteiligt, bei der Kamera namens Polarimetric and Helioseismic Imager hat es die Federführung.
TB