Der moderne Mensch wanderte über den Nahen Osten nach Europa ein

Moderne Menschen hielten sich vor mindestens 45.900 Jahren im Nahen Osten auf und besiedelten von dort aus Europa

1. Juni 2015

Ein multinationales Forscherteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig mit Partnern der Universitäten Leiden, Groningen (Niederlande), Mainz, York und Cambridge (Großbritannien) untersuchte Weichtierschalen, die aus Ksâr ‘Akil im Libanon stammen. Ksâr ‘Akil ist eine der wenigen archäologischen Fundstätten im Nahen Osten, wo Fossilien moderner Menschen in den gleichen Fundschichten wie Werkzeuge aus dem frühen Jungpaläolithikum (JP) ausgegraben wurden. Mithilfe der Radiokohlenstoff-Datierung bestimmten die Forscher das Alter von Schneckengehäusen der Art Phorcus turbinatus, deren Fleisch einst von unseren menschlichen Vorfahren verspeist worden war. Sie konnten jetzt zeigen, dass moderne Menschen sich vor mindestens 45.900 Jahren in der auch als Levante bezeichneten Region aufgehalten haben. Das bestätigt die Präsenz anatomisch moderner Menschen mit Werkzeugen aus dem frühen Jungpaläolithikum in der Levante vor ihrer Ankunft in Europa und belegt, dass die Levante modernen Menschen als Korridor für die Besiedlung Europas diente.

Wann genau moderne Menschen sich von Afrika ausgehend nach Eurasien ausbreiteten ist unter Archäologen, Paläontologen und Genetikern ein umstrittenes Thema. Diente die Levante als Korridor, der die Ausbreitung moderner Menschen aus der Epoche des Jungpaläolithikums erleichterte? „Das Problem ist, dass sowohl in der Levante als auch in Europa nur sehr wenige menschliche Überreste gefunden wurden, die dem Jungpaläolithikum, also dem jüngsten Abschnitt der Altsteinzeit, zugeordnet werden können“, sagt Jean-Jacques Hublin, Professor am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

„Ksâr ‘Akil ist eine so wichtige Fundstätte, weil dort die fossilen Überreste zweier moderner Menschen zusammen mit ihren Werkzeugen gefunden wurden, die der Epoche des Jungpaläolithikums zugehörig sind. Ihre Entdecker haben die beiden Individuen Ethelruda und Egbert genannt“, erklärt Marjolein Bosch vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Erstautorin der Studie. Die Autoren berichten in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA über ihre neuen Ergebnisse zum Alter dieser beiden Fossilien. „Unsere Untersuchungen zeigen, dass Egbert vor etwa 43.000 Jahren und Ethelruda vor mindestens 45.900 Jahren lebte, möglicherweise sogar noch früher. Ethelruda ist also älter als alle bisher in Europa gefundenen modernen Menschen“, sagt Johannes van der Plicht vom Zentrum für Isotopenforschung der Universität Groningen in den Niederlanden. „Werkzeuge, die denen ähneln, die Ethelruda und Egbert zugeordnet werden, finden sich auch in anderen Fundstätten in der Levante und in Europa. Diese ähnlichen Werkzeuge sowie die frühere zeitliche Einordnung der Funde aus dem Nahen Osten lassen auf eine Ausbreitung moderner Menschen vom Nahen Osten ausgehend nach Europa zwischen 55.000 und 40.000 Jahren schließen“, sagt Bosch.

Die Autoren untersuchten insgesamt 3.500 Weichtierschalen, die 49 Arten zugeordnet werden konnten. Die am besten erhaltenen waren solche, deren Fleisch Menschen einst als Nahrungsmittel verspeisten. „Wir wissen beispielsweise, dass Weichtiere der Art Phorcus turbinatus von Menschen des Jungpaläolithikums gegessen wurden. Um das Fleisch besser entnehmen zu können, hatten sie den oberen Teil der Schneckengehäuse häufig abgeschnitten“, erklärt Marcello Mannino vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie.

Die Weichtierschalen aus der Levante mithilfe der Radiokohlenstoffmethode zu datieren, erwies sich als eine große Herausforderung für die Forscher. „Die 14C-Datierung von Weichtierschalen ist eine Technologie, die sich noch in der Entwicklungsphase befindet. Bis jetzt gab es keine narrensichere Methode, um das Alter von Weichtierschalen-Proben zu bestimmen, die durch die lange Lagerung im Boden chemisch verändert wurden“, sagt van der Plicht. „Wir haben daher einen neuen Ansatz entwickelt, bei dem wir Radiokohlenstoffdaten und biochemische Daten miteinander kombinieren“, sagt Mannino. „Eine solche Technologie, die ‘intra-kristalline Proteindiagenese’, bestimmt inwiefern Aminosäuren in der intra-kristallinen Struktur von Weichtierschalenkarbonaten erhalten geblieben sind“, erklärt Beatrice Demarchi von der Universität York. Eine Kombination dieser neuen Analysemethoden ermöglichte es den Autoren jetzt, eine aussagekräftige neue Datierung der Funde aus Ksâr ‘Akil vorzulegen.

Die Ergebnisse bestätigen: Moderne Menschen, die jungpaläolithische Werkzeuge verwendeten, lebten bereits in der Levante, bevor sie in Europa erstmals auftauchten, denn alle bisherigen Fossilfunde moderner Menschen in Europa sind jünger als diese. „Das wiederum lässt darauf schließen, dass die Levante als Korridor für die Verbreitung moderner Menschen von Afrika ausgehend nach Eurasien gedient hat“, sagt Hublin.

SJ/HR

Zur Redakteursansicht