Wenn dem Auto Flügel wachsen

Drei Max-Planck-Institute stellen auf der MS Wissenschaft eigene Projekte vor

12. Juni 2015

Das Wissenschaftsjahr 2015 beschäftigt sich mit der „Stadt der Zukunft“ – und so können Besucher auf dem Ausstellungsschiff derzeit erleben, welche alternativen Wohn- und Mobilitätskonzepte möglich sind.

Kommt die Landwirtschaft zurück in die Stadt, wie funktionieren klimaneutrale Häuser und wie werden wir uns fortbewegen? Schon längst denken Forscher voraus, was für die Gesellschaft weltweit nützlich werden könnte, um Lebensstandard mit Umweltschutz zu vereinbaren – und das bei wachsender Weltbevölkerung.

Von den 32 Exponaten, die in der vom Bundesforschungsministerium initiierten Ausstellung gezeigt werden, stammen zwei aus drei Max-Planck-Instituten. Eines stellte Frank Nieuwenhuizen, Mitarbeiter in der Abteilung von Max-Planck-Direktor Heinrich Bülthoff vom Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, an Bord der MS Wissenschaft vor  – im Rahmen eines Max-Planck-Forums. Das Projekt heißt myCopter – Enabling Technologies for Personal Aerial Transportation Systems -, und beschäftigt sich mit nichts weniger als mit Autos, die fliegen können.

Hinter dem, was wie eine Utopie zwischen Science und Fiction klingt, verbergen sich ernsthafte Fragen zum Verkehr von morgen, die sich die Wissenschaftler im Rahmen des von der EU geförderten Projekts gestellt haben. Bülthoff entwickelt mit seinem Team und anderen Forschungspartnern aus ganz Europa die Technologien, welche für ein persönliches Luftfahrtsystem nötig sind. Dazu gehört die Simulation eines neuartigen Steuerungssystems für einen Mini-Helikopter, der sich ohne Pilotenausbildung so einfach bedienen lässt wie der vertraute PKW.

Welche Rahmenbedingungen erfüllt werden müssen, um aus der Simulation ernsthaft ein neues Verkehrsmittel zu machen, war Gegenstand der Diskussion mit Torsten Fleischer, Experte für Technikfolgenforschung am Karlsruher Institut für Technologie, das ebenso Projektpartner war. Fleischer gab zu bedenken, dass fliegende Transportsysteme die Probleme des Individualverkehrs lediglich auf eine andere Ebene verlagern, denn „wohin mit einer Masse privater Fluggeräte“, fragte er und hielt fest: „Besser wäre ein vollautomatisiertes Flugshuttle-System. Das würde viele aktuelle Probleme lösen.“

Flugvehikel für den Personenverkehr, die den Nutzer bei Bedarf abholen und selbstständig parken, wären eine Entlastung für den überfüllten Straßenraum. Auch über deren technische Umsetzung machten sich die Wissenschaftler innerhalb des Projekts bereits Gedanken, wie Nieuwenhuizen ausführte und die Erfolge kamerabasierter Flugroboter eindrucksvoll vorstellte.

Dass solch ein Umdenken bei der Mobilität neue Anforderungen an die Infrastruktur stellt, ist offensichtlich. An vielen Punkten der Diskussion zeigte sich, dass die Stadt- und Verkehrsplanung sich in einem komplexen, dynamischen System bewegt. Nicht zuletzt ist das veränderte Bewusstsein der Menschen ein Faktor: Junge Leute sehen zwar im Auto kein Statussymbol mehr, sind aber nach wie vor fasziniert von der Idee eines Flugautos, das sie obendrein auch gern selbst steuern würden, wie eine Umfrage von myCopter zeigt.

Bei der Podiumsdiskussion waren sich die Teilnehmer einig, dass fliegende Autos kein Massenverkehrsmittel werden. Dennoch hätten sie eine Chance als clevere Lösung für schwierige topografische Gegebenheiten, wie am Rhein- oder Elbtal, wo Brücken einmalige Landschaftsensembles zerstören würden. Den Mehrwert des Projektes myCopter sieht Nieuwenhuizen auch in den weiteren Ergebnissen. So konnten die Forscher „neue Technologien für das Problem von Mensch-Maschine-Schnittstellen und Automatisierungsprozessen entwickeln“. Zudem sei das Steuerungskonzept generell für sogenannte Personal Aerial Vehicles (PAVs) nutzbar.

Mit dem Blick auf große Systeme schloss das Forum eng an das Thema der Ausstellung an. Sie bereitet aktuelle Forschungsprojekte spielerisch für Kinder und Jugendliche auf. myCopter kann man als interaktive Bildschirminstallation kennenlernen. Andere Stationen sind dem Umgang mit der Lichtverschmutzung, der Elektromobilität oder intelligenten Stromnetzen gewidmet.

Städtebau im Zeitraffer

Dass vermeintliche Utopien auch Einfluss auf die praktische Stadtentwicklung nehmen, dokumentiert das zweite Max-Planck-Projekt auf der MS Wissenschaft: Ein großformatiges Buch, das in Zusammenarbeit der Bibliotheca Hertziana in Rom und dem Kunsthistorischen Institut in Florenz entstanden ist, versammelt wie in einem modernen Architekturbüro sieben, stadtplanerische Entwürfe verschiedener Epochen.  Auf die gedruckten und gezeichneten Stadtpläne wurden Gegenstände gelegt, um die Idealstädte zum Leben zu erwecken, und für die Ausstellung fotografiert. Erklärende Texte und Beschriftungen erläutern die zum Teil schwer lesbaren originalen Inschriften.

Denn seit der Antike versucht man dem Wachstum von Siedlungen eine Form zu geben und Städte planvoll anzulegen. Während aus der Zeit des Mittelalters nur sehr wenig Bilder und schriftliche Quellen existieren, begannen in der Renaissance Künstler, Militärarchitekten und Staatstheoretiker auch ohne konkreten Anlass, ideale Städte auf dem Papier zu entwerfen. Wichtig war dabei, die Symmetrie und Schönheit des Stadtbildes zu sowie politische und gesellschaftliche Ideen zu veranschaulichen. Darüber hinaus halfen die kunstvoll ausgearbeiteten Pläne und Ansichten dabei Verkehrswege, Wasserversorgung und Befestigungen sinnvoll zu planen.

Zu sehen sind der Sankt Galler Klosterplan aus dem 9. Jahrhundert, eines der bedeutendsten Denkmäler aus der karolingischen Zeit, die Darstellung der aztekischen Hauptstadt Tenochtitlan von 1524 sowie von Palmanova, das kurz vor 1600 als Festungsstadt des venezianischen Staates angelegt wurde. Weitere Pläne zeigen Amsterdam um 1688 und in zwei früheren Phasen, 1611 und 1662, sowie den Entwurf des Staatstheoretikers  Jean Jacques Moll (1743 bis 1828)  zu einer Stadt für 100.000 Seelen. Sehr modern wirken das Modell einer Slumless Smokeless City von Ebenezer Howard (1850 bis 1928), einer Gartenstadt als urbanen Lebensraum, und die Plug-In City, ein zweidimensionaler Schnitt durch eine High-Tech-Stadt, die von der britischen Architektengruppe Archigram 1964 entworfen wurde.

Während der myCopter noch Zukunftsmusik ist, wurden einige der historischen Pläne in der Realität umgesetzt und gebaut.

SK/JE/BA

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