Wie Sterne zu Schwergewichten heranwachsen
Astronomen finden stabile Scheibe um eine junge, massereiche Sonne
Unter den Sternen gibt es Leicht- und Schwergewichte. Alle werden sie in Gas- und Staubwolken geboren. Doch je massereicher ein Sternbaby ist, desto früher zündet in seinem Innern die Kernfusion. Und der so produzierte Strahlungsdruck sollte eigentlich die Umgebung säubern und auf diese Weise den Nachschub an Materie verhindern, die den Stern weiter wachsen lässt. Dennoch erreichen manche Sterne Massen von mehr als dem Hundertfachen jener unserer Sonne. Wie ist das möglich? Schon länger glauben die Astronomen, dass Scheiben rund um die jungen Sterne dabei eine wichtige Rolle spielen. Jetzt haben Forscher, unter anderem aus dem Heidelberger Max-Planck-Institut für Astronomie, erstmals ein solches stabiles Gebilde rund um einen der massereichsten gerade entstehenden Sterne unserer Galaxis entdeckt.
Das Team unter der Leitung von Katharine Johnston von der Universität Leeds und unter Beteiligung der Max-Planck-Astronomen Thomas Robitaille, Henrik Beuther, Hendrik Linz und Roy van Boekel nahmen das Objekt mit der Katalognummer AFGL 4176 ins Visier. Es handelt sich um einen sehr massereichen Stern in der südlichen Konstellation Zentaur, rund 14.000 Lichtjahre von der Erde entfernt.
Der Stern wird gerade geboren, weshalb die nahe Umgebung um ihn herum hinter einer Hülle aus Gas und Staub verborgen liegt. Mit dem ALMA-Observatorium der Europäischen Südsternwarte (ESO) beobachteten die Wissenschaftler den Stern jedoch im Millimeter- und Submillimeterbereich – und blickten dabei hinter den Schleier in das Innere der Hülle. Dort wiesen sie eine scheibenartige, rotierende Struktur nach.
Um diese Beobachtung zu bestätigen, arrangierten die Astronomen eine Art Gegenüberstellung: Zunächst simulierten sie mehr als 10.000 Modellscheiben mit verschiedenen Eigenschaften. Danach verglichen sie diese Bilder und Spektren mit den aus der Natur gewonnenen Daten. Die beste Übereinstimmung ergab sich für eine stabile Scheibe, für die sowohl der Gravitationseinfluss des Zentralsterns als auch jener der Scheibenmaterie wesentlich ist.
Der Radius der Scheibe um AFGL 4176 ist rund 2000-fach so groß wie der mittlere Abstand der Erde von der Sonne. Die Gesamtmasse liegt bei 12 Sonnenmassen – das entspricht knapp der Hälfte der rund 25 Sonnenmassen, die der Stern selbst aufweist. Die Scheibe rotiert um den Stern in ähnlicher Weise wie die Planeten um unsere Sonne: Das Gas in den inneren Regionen bewegt sich schneller als das in den äußeren und folgt den Anfang des 17. Jahrhunderts von Johannes Kepler gefundenen Gesetzen.
Solche Keplerscheiben könnten eine Schlüsselrolle für das Wachstum massereicher Sterne spielen und insbesondere erklären, wie sich trotz des beträchtlichen Strahlungsdrucks des jungen Sterns noch hinreichend viel zusätzliche Materie ansammeln kann. Denn eine solche stabile Scheibe kann einerseits sehr große Materiemengen auf den entstehenden Stern lenken; andererseits bietet sie dem Strahlungsdruck ein sehr schmales Profil und damit ungleich weniger Angriffsfläche als Gas, das den Stern in einer Art Kugelschale umgibt.
Bisher jedoch hatten die Astronomen stabile Scheiben um die massereichsten Sternbabys (Sterne vom Typ O) nicht sicher nachweisen können. Ob solche Scheiben als Erklärungsmöglichkeiten überhaupt infrage kamen, war daher unklar.
Hingegen zeigen die Beobachtungen von Katharine Johnston und ihren Kollegen, dass zumindest einer der massereichsten Sterne in gleicher Weise entstehen kann wie seine masseärmeren Verwandten: mit Mechanismen, die trotz der Unterschiede in Skalen und Zeitverlauf dieselben sind wie bei masseärmeren Sternen; und mit Materie, die von einer Keplerscheibe auf den wachsenden jungen Stern geleitet wird.
Die hohe Qualität der ALMA-Beobachtungen weckt Erwartungen, dass sich auch weitere wichtige offene Fragen zur Entstehung massereicher Sterne klären lassen. Aufschluss erhoffen sich die Astronomen vor allem über eine Besonderheit: Sehr massereiche Sterne sind fast immer Teil von Doppel- oder Mehrfachsystemen. Hochaufgelöste Abbildungen der innersten Bereiche in den Frühphasen der Sterngeburt könnten direkt zeigen, wie sich die Vorläufer der verschiedenen Komponenten eines solchen Systems bilden.
HOR / MP