Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Die Zukunft der Polymerelektronik
Als 1977 über das erste hochleitende organische Polymer, das chemisch dotierte Polyacetylen, berichtet wurde, war dies ein wichtiger Durchbruch in der Polymerelektronik [1]. Die anfängliche Begeisterung über diese neue Materialklasse ließ jedoch in den folgenden Jahren nach, da diese dotierten leitenden Polymere spröde, in Luft instabil und schwer zu verarbeiten waren. Mitte der 1980er Jahre lebte das Interesse an undotierten organischen Halbleitern, also sowohl an Polymeren als auch an kleinen Molekülen, dank einer Reihe wichtiger Entdeckungen wieder auf.
Zuerst wurden elektrolumineszierende Bauteile aus dünnen Stapelschichten von im Vakuum sublimierten kleinen Molekülen bei der Eastman Kodak Company hergestellt [2]. In späteren Jahren ließen sich Feldeffekttransistoren (FETs) aus Polythiophen herstellen [3]. Im Jahr 1990 entdeckten Forscher an der Universität Cambridge schließlich Elektrolumineszenz in aus konjugierten Polymeren gefertigten Dioden [4]. Mitte der 1990er Jahre wurden die ersten auf Polymer-Fulleren-Mischungen basierenden Photovoltaik-Anwendungen entwickelt [5]. Die Erkenntnis, dass sich Polymere als aktives Material in optoelektronischen Anwendungen einsetzen ließen, stimulierte die Erforschung dieser Materialien in der akademischen wie auch der industriellen Forschung. Das Endziel war ein auf Lösung basierendes Rolle-zu-Rolle-Verfahren (R2R-Verfahren) zu entwickeln, um extrem kostengünstige elektronische Bauteile herzustellen.
Organische Feldeffekttransistoren (OFET)
Für extrem kostengünstige, elektronische Barcodes in Form von gedruckten, organischen RFID-Etiketten (engl. für: radio-frequency identification) wird ein enormer Markt prognostiziert. Es existieren bereits Prototypen von flexiblen, organischen Multi-Bit-RFID-Transpondern, die bei 13,56 Megahertz ausgelesen werden, was der Standardfrequenz für Item-Level-Identifikation entspricht [6].
Um flexible Bildschirme zu realisieren, müssen alle Komponenten flexibel sein, einschließlich der Transistoren, welche die Pixel ansteuern. Trotz der vielversprechenden Aussichten wird die kommerzielle Einführung von organischen RFID-Etiketten oder organischen Aktivmatrix-Displays noch immer durch die geringe Stabilität und Reproduzierbarkeit von gedruckten Transistoren behindert, fast 30 Jahre nachdem über den ersten organischen Feldeffekttransistor (OFET) berichtet wurde. Ferner haben sich FETs, die auf leitenden Mischmetalloxiden, wie amorphem Indium-Gallium-Zink-Oxid (IGZO), basieren, in den letzten zehn Jahren zu einer sehr attraktiven Alternative zu organischen Transistoren entwickelt. Das liegt an ihrer relativ einfachen Verarbeitung und hohen Leistung in Bezug auf die Ladungsmobilität sowie die Betriebsstabilität.
Organische Leuchtdioden (OLED)
Die Hauptanwendung von organischen Leuchtdioden (OLEDs) liegt zurzeit in Displays. Derzeit stellt etwa Samsung kleine OLED-Displays für Handys in riesigen Mengen her. Darüber hinaus hat LG im vergangenen Jahr auch großflächige OLED-Bildschirme auf den Markt gebracht. Diese kommerziellen OLEDs basieren auf Materialien mit niedrigem Molekulargewicht, also kleinen Molekülen (SMOLED - small molecule organic LED), die im Hochvakuum durch Verdampfen hergestellt werden. SMOLEDs übertreffen die sogenannten P-OLEDs, die auf konjugierten Polymeren basieren, unter anderem deshalb in ihrer Leistungsfähigkeit, weil sich die kleineren Moleküle mit höherer Reinheit herstellen lassen.
Polymere können inhärente, aus der Synthese stammende Defekte enthalten, welche den Ladungstransport behindern und zu Verlusten durch strahlungslose Rekombination führen [7]. Bei SMOLEDs wird eine optimale Leistung erzielt, da diese typischerweise aus neun bis zehn verschiedenen Schichten organischer Halbleiter bestehen, die jeweils über ihre eigene Funktionalität verfügen. Mit dieser Mehrschichtstruktur lassen sich die Ladungstransport- und Injektionseigenschaften sowie die fotophysikalischen Eigenschaften der OLEDs separat optimieren. Auf diese Weise wurden SMOLEDs mit internen Quantenausbeuten von nahezu 100 Prozent hergestellt. OLEDs, die auf konjugierten Polymeren basieren, besitzen hingegen eine deutlich geringere Effizienz. Eine wesentliche Ursache für diese niedrigere Effizienz von polymerbasierten LEDs liegt in der Schwierigkeit, aus in Lösung verarbeiteten Schichten eine unversehrte Mehrschichtstruktur anzufertigen. Denn beim Abscheiden einer zweiten Schicht besteht die Gefahr, dass sich ein Teil der ersten Schicht in dem für die zweite Schicht verwendeten Lösungsmittel wieder auflöst. Wegen dieser Probleme gaben die meisten Unternehmen die polymerbasierten LEDs auf: Philips zum Beispiel stoppte alle seine Aktivitäten im Jahr 2004. Sumitomo ist derzeit der einzige große Konzern, der sich noch mit polymerbasierten LEDs beschäftigt.
Organische Solarzellen
Aus der organischen Fotovoltaik (OPV) erhofft man sich vor allem eine Reduzierung der Herstellungskosten von Solarzellen. Doch bisher zeigen organische Solarzellen einen entscheidenden Mangel: Sie erreichen relativ niedrige Effizienzen bei der Leistungsumwandlung. Obwohl in den letzten Jahren große Fortschritte erzielt wurden die zu einer Effizienz von rund 10 Prozent in kleinen, im Labor hergestellten Solarzellen geführt haben, sind weitere Verbesserungen erforderlich. Kürzlich hat eine neue Klasse dünner Filme, die auf Methylammonium-Bleihalogenid-Perowskiten basieren, viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Seit ihrem ersten Einsatz als fotoaktives Material im Jahr 2009 stiegen die Effizienzen bei der Leistungsumwandlung rasant von 3,8 auf 20,1 Prozent im Jahr 2015. Zumal sich Perowskite in Lösung verarbeiten lassen billig sind und hervorragende Effizienzen aufweisen, gelten sie derzeit als die vielversprechendsten Kandidaten der nächsten Generation effizienter, flexibler und leichter Solarzellen.
Die Analyse dessen, weshalb polymerbasierte Halbleiter bisher nicht erfolgreich waren, zeigt zwei wesentliche Aspekte auf: Erstens fehlten den Firmen, welche die Polymerelektronik vorantrieben, ein tieferes Verständnis der physikalischen Grundlagen der elektronischen Eigenschaften. So war nicht bekannt, dass die Leistung derartiger Halbleiter durch Defektstellen begrenzt wird, die gleichzeitig den Elektronentransport behindern und die Lumineszenz-Effizienz mindern. Ließen sich die Defektstellen verringern, würde sich die Effizienz von PLEDs mindestens verdoppeln und auch ihre Lebensdauer erhöhen. Das tatsächliche Potential intrinsischer, halbleitender Polymere wurde also bisher nie genutzt. Am MPI für Polymerforschung untersuchen wir nun diese, intrinsischen Eigenschaften halbleitender Polymere, was das Gebiet der Polymerelektronik stark vorantreiben wird.
Zweitens betrachtete man konjugierten Polymeren lange die exklusive Möglichkeit, sie aus Lösung zu verarbeiten, als größten Vorteil. Mittlerweile lässt sich dieses Verfahren allerdings auch für anorganische Verbindungen und kleine organische Moleküle anwenden.
Nach Ansicht des MPI für Polymerforschung ist ein eigentliches Herausstellungsmerkmal funktioneller Polymere ihre Fähigkeit, steuerbare Überstrukturen zu bilden, wenn sie mit anderen Polymeren gemischt werden. Dadurch lassen sich je nach Art der Phasentrennung ihre Funktionalitäten verändern oder sogar neue Eigenschaften erzielen. Durch Steuerung der Phasentrennung, können funktionale Nanostrukturen mit einzigartigen Eigenschaften durch Selbstorganisation erzeugt werden. Eine mehrschichtige OLED ließe sich so besonders günstig herstellen. Dazu wird eine homogene Mischung aus den verschiedenen Bestandteilen in einem gemeinsamen Lösungsmittel abgeschieden. Da sich die einzelnen Bestandteile unterschiedlich an den Luft- oder den Substratgrenzflächen konzentrieren, sondern sich vertikal getrennte Schichten ab. Dies würde in einem Abscheidungsschritt zu Mehrschichtstrukturen mit einstellbarer Morphologie führen.
Ein weiteres wichtiges Attribut ist, dass in Polymermischungen gänzlich neue Eigenschaften erstellt werden können. Vor kurzem haben wir die Phasentrennung in Mischungen von halbleitenden und ferroelektrischen Polymeren angewendet, um ein Memory-Element aufzubauen [8]. Ferroelektrizität und Leitfähigkeit sind zwei Eigenschaften, die sich in einem einzelnen Material eigentlich gegenseitig ausschließen. Allerdings konnten beide Eigenschaften durch Phasentrennung von unterschiedlichen Polymeren gleichzeitig in einem Material beobachtet werden. Dieses Eigenschaftsprofil ist für keine andere Materialklasse bekannt.
Am MPI für Polymerforschung konnten wir grundlegende Eigenschaften wie Ladungstransport und Lumineszenz durch das bloße Vermischen mit anderen Polymeren verbessern. Weiterhin können wir die Löslichkeit elektronischer Polymere durch eine kleine Zugabe eines vernetzbaren Materials steuern. In Zukunft werden wir auch elektronisch aktive Polymere benutzen, um über Morphologiekontrolle im Nanometerbereich gleichzeitig Ladungs- und Ionentransport zu manipulieren Neben der Selbstorganisation und der gesteuerten Phasentrennung sind die strukturelle Variation konjugierter Polymere und ihre Strukturierung mittels softlithographischen Methoden (etwa durch einen Stempel) von Vorteil. Indem wir Top-down- (Softlithographie) und Bottom-up- (Selbstorganisation) Methoden kombinieren, können wir gut definierte, polymerbasierte Nanostrukturen schaffen. Es wird erwartet, dass intrinsische, elektronische Polymere in Kombination mit wohldefinierten Nanostrukturen, wie sie am MPI für Polymerforschung entwickelt werden, zu einzigartigen Eigenschaften führen. Daraus sollte eine glänzende Zukunft mit neuen Anwendungen in der Elektronik und Biologie resultieren.
Literaturhinweise
Physical Review Letters 39, 1098-1101 (1977)
Applied Physics Letters 51, 913-915 (1987)
Synthetic Metals 18, 699-704 (1987)
Science 270, 1789-1791 (1995)
IEEE Journal of Solid-State Circuits 47, 284-291 (2012)
Advanced Materials 26 (12), 1912-1917 (2014)