Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung

Regulationsmechanismen der neuronalen Glukoseaufnahme

Autoren
Jais, Alexander; Brüning, Jens C.
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Stoffwechselforschung, Köln / Neuronale Kontrolle des Stoffwechsels
Zusammenfassung
Fettreiche Ernährung führt akut zur Umprogrammierung des gesamten Stoffwechsels und zu einer Reduktion der neuronalen Glukoseaufnahme. Studien im Mausmodell zeigen die komplexen Regulationsmechanismen, die den physiologischen Glukosetransport aufrechterhalten, und identifizieren das Signalmolekül Vascular Endothelial Growth Factor (VEGF) als kritischen Regulator des Glukosetransports über die Blut-Hirn-Schranke.  

Einleitung

Übergewicht und die damit verbundenen Folgeerkrankungen (z. B. Herzkreislauferkrankungen und Diabetes mellitus) haben mittlerweile epidemische Ausmaße erreicht. Weltweit gibt es mehr als eine Milliarde übergewichtiger Erwachsener, mindestens 300 Millionen von ihnen sind fettleibig [1]. Betrug die weltweite Häufigkeit von Adipositas (auch Fettsucht genannt) 1980 noch 4,8 Prozent bei Männern und 7,9 Prozent bei Frauen, hat sie sich in den letzten drei Jahrzehnten nahezu verdoppelt (9,8 Prozent bei Männern und 13,8 Prozent bei Frauen, 2008) [2]. Somit stellt Adipositas eine der größten sozialen, medizinischen und wirtschaftlichen Herausforderungen für unsere Gesellschaft dar (Abb. 1). 

Seit einigen Jahren richtet sich der Fokus der Adipositas-Forschung mehr und mehr auf das Gehirn. Die Untersuchung von Genen, die mit Body-Mass-Index (BMI) des Menschen in Verbindung stehen, zeigt, dass ein Großteil dieser Gene für Stoffwechselvorgänge des Gehirns zuständig ist [3]. Außerdem zeigt eine Reihe von erblichen Stoffwechselerkrankungen, die auf der Veränderung einzelner Gene beruhen und zu Übergewicht und Fettleibigkeit führen, dass die betroffenen Gene fast ausschließlich in den Nervenzellen des Gehirns aktiv sind und z. B. die Nahrungsaufnahme regulieren [4].

Nervenzellen (Neuronen) sind für die Aufrechterhaltung ihrer Funktion auf Glukose angewiesen und der Stoffwechsel des Gehirns ist abhängig von adäquatem Glukosetransport aus dem Blut. Hierzu versorgen spezielle Transportproteine das Gehirn mit Glukose, seinem wichtigsten Energieträger. Auf den Gefäßzellen der Blut-Hirn-Schranke befindet sich das Transportprotein GLUT1, welches den Transport von Glukose durch die Barriere der Blut-Hirn-Schranke gewährleistet. Veränderungen an diesem Glukosetransporter können zu beträchtlichen Einschränkungen der neuronalen Funktion führen. Ist die Funktion von GLUT1 eingeschränkt, wie beim GLUT1-Defizit-Syndrom, äußert sich das in zerebralen Anfällen, psychomotorischer Entwicklungsverzögerung und komplexen Bewegungsstörungen [5].

Einfluss von fettreicher Ernährung auf die neuronale Glukoseaufnahme

Fettreiche Ernährung kann bereits nach kurzer Zeit zu einer nachhaltigen Beeinträchtigung des Energie- und Glukosegleichgewichts im Körper führen [6]. In Tierversuchen konnten die Wissenschaftler zeigen, dass bereits eine kurzzeitige fettreiche Ernährung zu einer drastischen Verminderung des GLUT1-Glukosetransporters an der Blut-Hirn-Schranke führt. Bereits drei Tage nach Beginn einer fettreichen Diät war die Menge an GLUT1 um bis zu 50 Prozent reduziert. Mittels Emissionscomputertomographie, einem bildgebenden Verfahren, wurden daraufhin die quantitativen Werte des Gehirnstoffwechsels bestimmt. Die Messungen zeigten eine signifikante Reduktion der Glukoseaufnahme vor allem in Bereichen, welche für die Regulation der Energiehomöostase zuständig sind (Abb. 2). 

Weitere Untersuchungen zeigten, dass erhöhte Werte an gesättigten Fettsäuren, wie z. B. Palmitinsäure, akut den Glukosetransport der Gefäßzellen beeinträchtigten. Interessanterweise kehrte die Menge an GLUT1 an der Blut-Hirn-Schranke nach einem Monat wieder auf den Normalwert zurück.

VEGF als Regulator des neuronalen Glukosegleichgewichts

Bei näherer Untersuchung der Regulationsmechanismen fanden die Wissenschaftler am MPI für Stoffwechselforschung erhöhte VEGF-Konzentrationen im Blut. VEGF (Vascular Endothelial Growth Factor) ist ein wichtiges Signalmolekül für die Bildung und Aufrechterhaltung der Funktion von Gefäßzellen. Bemerkenswert ist, dass sich die höchste Dichte von VEGF-Rezeptoren im Gehirn findet – vor allem an den Gefäßzellen der Blut-Hirn-Schranke [7]. Zusätzlich zur Rolle im Gefäßsystem spielt VEGF auch eine Rolle in entzündlichen Prozessen. So stimuliert es die Migration von Entzündungszellen, wie z. B. Monozyten und Makrophagen [8]. Mittels immunhistochemischer Verfahren wurden VEGF-produzierende Zellen in der unmittelbaren Nähe der Blut-Hirn-Schranke entdeckt. Diese perivaskulären Makrophagen setzen VEGF direkt an den Gefäßzellen frei und verbessern die Integrität und die Glukoseaufnahme der Blut-Hirn-Schranke. Um der Rolle des Makrophagen-spezifischen VEGF nachzuspüren, benutzten die Wissenschaftler sog. Knockout-Mäuse, bei denen VEGF in Makrophagen genetisch inaktiviert wurde. Während in den Kontrolltieren die Werte des Glukosetransporters nach einem Monat fettreicher Diät wieder auf den Normalwert zurückkehrten, zeigten die Makrophagen-spezifischen-VEGF-Knockout-Mäuse auch nach mehreren Monaten noch eine reduzierte Glukoseaufnahme ins Gehirn.

Um zu testen, ob eine Reduktion von GLUT1 an der Blut-Hirn-Schranke unabhängig von einer fettreichen Diät zu einer erhöhten Ausschüttung von VEGF führt, benutzten die Forscher ein Mausmodell, in welchem sie gezielt GLUT1 der Gefäßzellen der Blut-Hirn-Schranke verringern konnten. Es zeigte sich, dass bereits wenige Tage nach dem Ausschalten bzw. der Reduktion der Menge des Glukosetransporters GLUT1 die VEGF-Spiegel im Serum anstiegen.

In einem Zellkultursystem mit Gefäßzellen konnten die Forscher anschließend zeigen, dass VEGF die Reduktion des Glukosetransports durch Palmitinsäure wieder rückgängig machen konnte. Außerdem wurden mittels bildgebender Verfahren Mäuse auf einer fettreichen Diät untersucht, denen rekombinantes VEGF verabreicht wurde. Durch diese Intervention konnte in vivo, das heißt im lebenden Tier, eine Normalisierung der Glukoseaufnahme in das Gehirn erreicht werden. Damit wurde der VEGF-Signalweg als bedeutender Regulationsmechanismus in der Glukoseaufnahme des Gehirns identifiziert.

In den letzten Jahren wurde gezeigt, dass die Alzheimer-Erkrankung eng mit dem Glukosestoffwechsel des Gehirns assoziiert ist [9]. Um den Effekt von VEGF auf diese Erkrankung zu untersuchen, wurden Makrophagen-spezifische-VEGF-Knockoutmäuse mit Mäusen gekreuzt, die eine genetische Prädisposition für Alzheimer tragen. Diese Alzheimer-Mäuse tragen humane Varianten von Alzheimer-assoziierten Genen, konkret handelt es sich dabei um Präsenilin-1 und das Amyloid-Vorläufer-Protein (APP). In Verhaltensexperimenten zeigte sich, dass die Nachkommen der gekreuzten Mäuse bereits vor Eintreten der ersten Alzheimer-Symptome bereits schwerwiegende kognitive Defizite aufwiesen.  Bei genauerer Untersuchung der Gehirne dieser Mäuse, fanden die Wissenschaftler deutlich erhöhte Marker für Neuroinflammation, einer Entzündung des Gehirngewebes. Das von Makrophagen produzierte VEGF ist also ein entscheidender Faktor in der Regulation von Alzheimer-assoziierten kognitiven Störungen.

Das egoistische Gehirn?

Eine Dysregulation des neuronalen Glukosestoffwechsels hat weitreichende Folgen für den gesamten Körper. Durch Aktivierung des sympathischen Nervensystems hemmt das Gehirn die Insulinsekretion in den Betazellen der Bauchspeicheldrüse und verhindert damit die (insulinabhängige) Glukoseaufnahme in Muskel- und Fettgewebe [10]. Durch diesen Schritt stellt das Gehirn sicher, dass Glukose vor allem für den eigenen neuronalen Stoffwechsel herangezogen wird. Fettreiche Ernährung und gesättigte Fettsäuren verringern akut die Glukoseaufnahme über die Blut-Hirn-Schranke, woraufhin das Gehirn mit einer erhöhten VEGF-Ausschüttung durch Entzündungszellen, den perivaskulären Makrophagen, versucht gegenzusteuern. Langfristig könnte dies zu den chronischen, sub-akuten Entzündungsreaktionen führen, welche die Adipositas-Folgeerkrankungen auszeichnen.

Zusammenfassend zeigt sich, dass bereits kurzzeitige fettreiche Ernährung zu einer raschen und nachhaltigen Veränderung des Stoffwechsels führt. Die dargestellten Ergebnisse führen zu einem besseren Verständnis der akuten Stoffwechselregulation durch das Gehirn und zeigen mögliche Ansatzpunkte für die Entwicklung neuartiger Therapien für die Folgeerkrankungen von Adipositas.

Literaturhinweise

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