Forschungsbericht 2015
Wie Gene aktiv werden
Gene zum Sprechen bringen
Zu den Kennzeichen des Lebens gehört, dass Organismen sich entwickeln und am Ende die Art erhalten. Dazu bedarf es der Erbinformation, die in lebenden Zellen in Form der DNA vorliegt. Die DNA ist ein fadenförmiges Molekül mit tausenden von funktionalen Abschnitten, wozu die Gene gehören. Gene sind für sich genommen stumm. Doch es kann ihnen Sprache verliehen werden. Dies geschieht während der Gen-Ausprägung, auch Gen-Expression genannt, bei der die genetische Information zur Synthese von Proteinen genutzt wird. Der erste Schritt in diesem Prozess ist die Transkription, ein Kopiervorgang, bei dem RNA-Kopien von Genen erstellt werden. Die biologischen Kopiermaschinen heißen RNA-Polymerasen und sind in der Lage, DNA in RNA zu übersetzen. Zu verstehen, wie Gene aktiviert werden und wie Genaktivität reguliert wird, ist von großem biomedizinischem Interesse.
Die Gen-Kopiermaschinen
In eukaryontischen Zellen gibt es mehrere RNA-Polymerasen, die verschiedene Gene kopieren. Dreidimensionale Strukturen von Polymerasen wurden in den letzten Jahren mit Hilfe der Röntgenkristallographie bestimmt. Die Struktur der RNA-Polymerase I umfasst 14 Untereinheiten und zeigt, wie diese Maschine in einem inaktiven Zustand auf ihren Einsatz zur Kopie ihres Zielgens wartet (Abb. 1; [1]).
Die Struktur der RNA-Polymerase II ist bereits aus mehreren aktiven und inaktiven Zuständen bekannt [2]. Aus der Vielzahl der strukturellen Schnappschüsse konnte so ein Film der Gen-Transkription erstellt werden (Abb. 2; [3]). Eine spezialisierte, viel kleinere RNA-Polymerase findet sich in den Kraftwerken der Zelle, den Mitochondrien [4].
Alle Polymerasen haben ein aktives Zentrum, das RNA-Moleküle anhand einer DNA-Vorlage synthetisieren kann. Die Kopiermaschinen unterscheiden sich aber auf ihrer Oberfläche. Dies ermöglicht es, verschiedene Polymerasen zu ihren spezifischen Zielgenen zu bringen und individuell zu regulieren.
Wie die Gen-Abschrift beginnt
Wie die Transkription startet, ist am besten für die RNA-Polymerase II verstanden. Dieses Enzym arbeitet dazu mit mehreren spezifischen Faktoren zusammen. Die Faktoren helfen zunächst, den Beginn eines Gens auf der DNA zu finden. Dann wird die DNA, die als Doppelhelix vorliegt, entwunden, was den Matrizenstrang freilegt. Nun kann die RNA-Polymerase den Matrizenstrang binden und den Kopiervorgang einleiten. Wie einige der Schritte dieser sogenannten Initiation ablaufen, konnte kürzlich sichtbar gemacht werden [5, 6]. Dabei weisen sowohl die RNA-Polymerase als auch die zusätzlichen Faktoren eine große Flexibilität auf. Die Dynamik der Transkription und die Beteiligung dutzender von Faktoren, die nur vorrübergehend präsent sind, erschweren allerdings die Strukturanalyse und eine vollständige Aufklärung des Prozesses.
Wie der Kopiervorgang reguliert wird
In menschlichen Zellen sind über Tausend Faktoren bekannt, die die Transkription regulieren. Sie sorgen dafür, dass die Transkription nur an denjenigen Genen startet, die zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort im Organismus aktiviert werden müssen. Die regulatorischen Faktoren können den Prozess der Initiation nur indirekt steuern, indem Sie auf sogenannte Koaktivatoren Einfluss nehmen. Der prominenteste Koaktivator ist der sogenannte Mediator-Komplex, der fast dreimal so groß wie die RNA-Polymerase II selbst ist und aus 25 bis 35 Untereinheiten besteht. Es ist jetzt gelungen, Einsichten in den Aufbau des Mediators zu erlangen [7] und seine Position auf der RNA-Polymerase II zu bestimmen (Abb. 3; [8]).
Für diese Arbeiten wurde die Kryo-Elektronenmikroskopie angewandt, die es nun aufgrund von technischen Entwicklungen ermöglicht, auch sehr große und flexible Komplexe in molekularem Detail sichtbar zu machen. So wurde beispielsweise erkannt, wie der Mediator den Prozess der Initiation der Transkription erleichtern und so Gene aktivieren kann.
Vom Molekül zum System
Zukünftig muss die Genaktivität möglichst als Ganzes im lebenden System der Zelle untersucht werden, um so Zusammenhänge zwischen der Ausprägung einzelner Gene besser zuordnen zu können. Dazu werden immer mehr Methoden entwickelt, die es erlauben, die Aktivität aller Gene gleichzeitig zu studieren. In jüngeren Studien wurde gezeigt, dass alle aktiven Gene eine besondere, modifizierte Form der RNA-Polymerase II tragen [9]. Auch gibt es in Zellen einen Mechanismus, der dafür sorgt, dass fehlgeleitete Transkription generell gestoppt wird [10]. So werden Polymerasen, die fälschlicherweise Regionen im Erbgut kopieren, die außerhalb der Gene liegen, von der DNA losgelöst. Das unbrauchbare RNA-Produkt wird nachfolgend abgebaut. Nun gilt es, die molekularen und systemischen Ansätze derart zu kombinieren, dass ein umfassendes Verständnis der Genaktivität erreicht wird. Ein tiefes Verständnis dieser fundamentalen Prozesse könnte es ermöglichen, eine Fehlregulation der Genaktivität, wie sie bei vielen Krankheitsprozessen und insbesondere beim Krebs auftritt, zu korrigieren.
Literaturhinweise
Nature 502, 650-655 (2013)