Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung
Magnetismus am Limit
Magnetismus ist integraler Bestandteil unseres täglichen Lebens. Neben makroskopischen Magneten, wie sie in Elektromotoren eingesetzt werden, sind viele biologische und technologische Prozesse von mikroskopisch kleinen Magneten abhängig. So navigieren Zugvögel mithilfe mikrometer-kleiner magnetischer Partikel, und in der Computertechnologie werden digitale Daten in nanometer-kleinen magnetischen Partikeln auf Festplatten gespeichert. All diese Prozesse basieren auf klassischen Magneten, bei denen Stärke und Ausrichtung der Magnetisierung wohldefiniert sind (siehe Abb.1a). Die Magnetisierung wird durch eine Energiebarriere entlang einer Achse festgehalten. Um die Magnetisierungsrichtung zu ändern, muss diese Energiebarriere überwunden werden.
Durch Nanostrukturierungsverfahren lassen sich Magnete so verkleinern, dass sich ihre Magnetisierung quantisiert. Dann ändern sich Größe und Ausrichtung der Magnetisierung nur noch in diskreten Schritten. Entsprechend können diese Quantenmagnete nur wenige Energiezustände einnehmen. Das wirkt sich auf ihr Verhalten aus (siehe Abb. 1b): Durch quantenmechanische Überlagerung kann ein Quantenmagnet die Energiebarriere „unterwandern“ und seine Ausrichtung ändern, ohne die Energiebarriere zu überwinden. Dieser als Tunneln der magnetischen Richtung bekannte Effekt kann die Stabilität eines Nanomagneten stark reduzieren und ihn für die Datenspeicherung unbrauchbar machen. Deshalb ist es wichtig herauszufinden, wie sich dieser quantenmechanische Effekt verhindern oder gar technologisch nutzbar machen lässt.
Rapid-Prototyping mit Atomen
Die Forschungsgruppe „Dynamik nanoelektronischer Systeme“ am MPI für Festkörperforschung nutzt dazu ein spezielles Rastersondenmikroskop, das Nanomagnete mit einer atomar scharfen Metallnadel abtastet. Das Mikroskop arbeitet bei einer extrem niedrigen Temperatur, nur 0,5 Kelvin über dem absoluten Nullpunkt (–272,5°C), bei der die Bewegung von Atomen und die meisten energetischen Anregungen eingefroren sind. In dieser Umgebung lassen sich einzelne magnetische Atome sichtbar machen und ihre magnetischen Eigenschaften untersuchen. Vor allem aber können Quantenmagnete gezielt aus Atomen aufgebaut werden, indem man die Abtastnadel des Mikroskops nutzt, um einzelne Atome aufzunehmen und daraus präzise definierte Nanostrukturen zu erzeugen (siehe Abb. 2a). Diese Atommanipulation gleicht dem Rapid-Prototyping: einzelne Nanostrukturen können schnell erzeugt, getestet und wenn nötig, geändert werden. So hergestellte Quantenmagnete eignen sich bestens, um grundlegende Prinzipien des Magnetismus auf atomarer Skala zu erforschen.
Die Stabilität magnetischer Nanostrukturen lässt sich vor allem anhand ihrer Reaktion auf Anregungen ermitteln. Da magnetische Dynamik auf Zeitskalen von Mikro- bis Pikosekunden stattfindet, müssen extrem schnelle Messmethoden entwickelt werden. Die Forschungsgruppe hat dazu erfolgreich Verfahren aus der ultraschnellen Laserspektroskopie für die Rastersondenmikroskopie adaptiert und so ein neuartiges Rastersondenmikroskop geschaffen, das gleichzeitig atomare räumliche Auflösung und kurze Zeitauflösung besitzt [1]. Die Abtastspitze des Mikroskops wird über einem magnetischen Atom positioniert, wo kurze Strompulse das Atom in einen energetisch angeregten Zustand versetzen. Die dann entstehende magnetische Dynamik wird stroboskopisch durch zeitversetzte, schwächere Probe-Pulse vermessen (siehe Abb. 2b).
Dazu nutzt man den Magnetowiderstand, um die magnetische Ausrichtung des Atoms zeitaufgelöst in ein elektrisches Signal zu verwandeln. Dabei zeigt sich, dass sich einzelne magnetische Atome auf den meisten Oberflächen nicht wie stabile klassische Magnete verhalten. Sie wechseln innerhalb weniger Nanosekunden bis maximal Mikrosekunden die Ausrichtung ihrer Magnetisierung. Grund dafür ist ein magnetischer Tunneleffekt, der durch das Wechselspiel der Orbitale der Atome und der Symmetrie ihrer unmittelbaren Umgebung hervorgerufen wird. Es gibt Ansätze, Seltenerdelemente auf speziellen Oberflächen zu nutzen, in denen dieser magnetische Tunneleffekt minimiert wird.
Stabile Magnete durch antiferromagnetische Kopplung zwischen Atomen
Alternativ dazu lassen sich wenige magnetische Atome durch antiferromagnetische Wechselwirkung miteinander koppeln. Diese Wechselwirkung kann durchgeschicktes Positionieren der Atome zueinander eingestellt werden. Im Gegensatz zur ferromagnetischen Wechselwirkung, die in den meisten Magneten genutzt wird, führt antiferromagnetische Wechselwirkung dazu, dass benachbarte Atome gegensätzlich eine ausgerichtete Magnetisierung haben. Dadurch stabilisiert sich ein Quantenmagnet aus Eisenatomen bereits, wenn nur acht Atome miteinander gekoppelt werden. Es kommt zum Phasensprung zwischen Quantenmagnetismus und klassischem Magnetismus [2] und der atomar kleine Magnet kann als magnetisches Bit fungieren.
Zudem minimiert die antiferromagnetische Anordnung der Atome die Empfindlichkeit des Magneten gegenüber äußeren Einflüssen. So gelang es, den Prototyp eines ultradichten magnetischen Speicherelements herzustellen, in dem sich ein Byte digitale Information, also acht Bits, in nur 96 Atomen speichern lässt [3] (siehe Abb. 3). Durch Reihen von antiferromagnetisch gekoppelten Atomen lassen sich sogar Informationen übertragen und einfache Rechenoperationen durchführen [4]. Zwar funktioniert der antiferromagnetische Datenspeicher bisher nur bei sehr tiefen Temperaturen (5 Kelvin), das Prinzip ist aber auch auf Anwendungen bei Raumtemperatur übertragbar. Es gibt erste spintronische Schaltkreise, die Antiferromagnete als Speicherelemente verwenden. Antiferromagnete für Datenspeicherung zu nutzen, ist vielversprechend, da sie zumindest theoretisch weitaus höhere Packungsdichten und miniaturisierte Datenspeicher ermöglichen als herkömmliche Speichermedien aus ferromagnetischen Materialien.
Hochempfindliche Sensoren im atomaren Maßstab
Neben möglichen Anwendungen in der Datenspeicherung eröffnen Quantenmagnete einmalige Möglichkeiten, grundlegende Prinzipien der Quantenmechanik zu testen. Eine wesentliche Eigenschaft quantenmechanischer Systeme ist ihre Fähigkeit, Überlagerungszustände zu bilden. Ein Nanomagnet, in einem Überlagerungszustand, kann quasi in zwei verschiedene Richtungen gleichzeitig orientiert sein. Dieses paradoxe Verhalten entzieht sich unserer Intuition, da klassische Magnete dies nicht können. Für Quanteninformationsanwendungen sind Überlagerungszustände aber sehr wichtig. Mit ihnen lassen sich beispielsweise Daten abhörsicher übertragen oder neuartige Computer entwickeln. Speicherelemente, die Überlagerungszustände nutzen, sogenannte Qubits, bilden die Grundlage dieser Technologie. Es werden verschiedene physikalische Systeme auf ihre Verwendbarkeit getestet. Erste Erfolge ließen sich unter anderem mit Dotieratomen in Silizium [5], supraleitenden Bauelementen oder Stickstoff-Defekten in Diamant (NV-Zentren) [6] erzielen.
Eine große Herausforderung besteht darin, die Quantenbits genau zu positionieren und mit ihnen zu interagieren. Das macht atomare Quantenmagnete zu interessanten Kandidaten für Quantenbits [7]. Sie können atomar präzise positioniert werden, und kürzlich ließ sich ein Effekt nachweisen, der das gezielte Einstellen von Überlagerungszuständen in einzelnen Quantenmagneten ermöglicht. In kleinen Quantenmagneten aus nur drei Eisenatomen, wie sie unsere Forschungsgruppe herstellt, führt der magnetische Tunneleffekt zur Ausbildung von Überlagerungszuständen. Während dieser Effekt die Datenspeicherung behindert, kann er für Quantencomputer sehr nützlich sein. Dieser Tunneleffekt reagiert sehr empfindlich auf äußere Einflüsse, wodurch er kontrollierbar wird. Da seine magnetische Wechselwirkung mit der Abtastspitze des Rastertunnelmikroskops sehr stark vom Abstand zum Quantenmagneten abhängt, lässt sich damit der magnetische Zustand des Quantenmagneten sehr genau bestimmen [8].
Der gleiche Effekt, mit dem der Überlagerungszustand des dreiatomigen Quantenmagneten eingestellt werden kann, macht ihn auch zu einem hochempfindlichen magnetischen Sensor. Dabei lassen sich kleinste magnetische Felder im Bereich weniger Mikroelektronenvolt nachweisen. Diese Empfindlichkeit reicht aus, um andere atomar kleine Nanomagnete, zum Beispiel ein antiferromagnetisches Bit (siehe Abb. 4), noch in einer Entfernung von einigen Nanometern zu detektieren. So kann die magnetische Orientierung eines Nanomagneten ausgelesen werden, ohne die Abtastspitze des Rastersondenmikroskops über dem Nanomagneten zu positionieren. Dank solcher nichtlokaler Messmethoden lässt sich der Zustand mehrerer Nanomagnete gleichzeitig erfassen. Dies ist besonders für die Erforschung von magnetischen Korrelationen wichtig und könnte schaltbare Kommunikation zwischen magnetischen Quantenbits in einem Quantencomputer ermöglichen.
Ausblick
Atomar präzise gestaltete Quantenmagnete bieten faszinierende Möglichkeiten, Effekte der Quantenmechanik experimentell greifbar und künftig auch technologisch nutzbar zu machen. Für die Herstellung neuer quanten-spintronischer Bauelemente sind atomar präzise Herstellungsmethoden notwendig. Solche Verfahren befinden sich bereits in der Erprobung. Die Möglichkeiten reichen von Atomlagen-Laserdeposition [9] bis hin zu chemischer Synthese von Molekülen zur anschließenden Integration in nanoskaligen Elektroden [10].