„Wir wollen Hüttengas in Kraftstoffe, Kunststoffe oder Dünger umwandeln“
Herr Professor Schlögl, worum geht es bei Carbon2Chem?
Wir wollen weltweit zum ersten Mal im industriellen Maßstab beweisen, dass man CO2 aus einem Stahlwerk nutzbar machen kann, statt es in die Luft zu blasen oder in den Boden zu pressen, wie es bei der umstrittenen Carbon Capture and Storage-Technik geschieht. Beim Carbon Capture and Use wollen wir dagegen die Natur nachahmen, indem wir den Kohlendioxid-Kreislauf schließen. Das geschieht in der Natur durch die Photosynthese, in der CO2 in Zucker umgewandelt wird. Diesen Prozess bauen wir jetzt anorganisch chemisch nach. Wir nehmen also CO2 und Wasserstoff aus erneuerbaren Quellen und bilden daraus nicht Zucker, sondern Methanol. Auf diese Weise wollen wir Hüttengas, also die Abgase von Hochöfen, in Vorläufer für Kraftstoffe, Kunststoffe oder Dünger umwandeln.
Welche Schwierigkeiten gibt es da?
Das System besteht zwar aus Prozessen, die wir alle kennen. Wir wissen, wie wir CO2 aus einem schmutzigen Gasstrom abtrennen können, wir kennen auch die Elektrolyse, mit der wir Wasserstoff erzeugen, und die Methanol-Synthese. Aber im Zusammenwirken ergeben sich enorme Herausforderungen für jeden einzelnen Schritt, weil der Gasstrom variiert und erneuerbare Energien nicht permanent zur Verfügung stehen, das Ganze aber immer funktionieren muss. Und wir reden hier alleine bei Carbon2Chem von 20 Millionen Tonnen CO2. Deshalb müssen alle einzelnen Schritte darauf überprüft werden, ob sie für einen zeitlich variablen Betrieb in der Größenordnung geeignet sind.
Und wenn alle einzelnen Schritte für den Prozess optimiert sind?
Dann haben wir noch eine übergeordnete Herausforderung: Das sind die Kosten. Wir sind am Ende natürlich daran gebunden, dass das ohne Zuwendungen etwa aus Steuermitteln geht. Das gibt uns einen starken Deckel. Dass das unter diesem starken Deckel funktioniert ist nur möglich, wenn alle Einzelschritte optimiert sind. Wir sind im Moment weit weg vom Optimum und die Projektförderung durch den Bund ermöglicht nun die entscheidenden Schritte dorthin.
Warum erforschen Sie den Prozess zunächst an Stahlwerken und nicht etwa an Kohlekraftwerken?
Dafür gibt es mehrere Gründe: Erstens werden Kohlekraftwerke im Zuge der Energiewende vielleicht irgendwann abgeschaltet, wenn Strom nur noch regenerativ erzeugt wird. Stahl lässt sich bislang aber nicht produzieren, ohne Kohle einzusetzen. Zweitens stammen sieben Prozent der weltweiten CO2-Emissionen aus Stahlwerken. Wenn alle Stahlwerke auf der Welt mit einem Carbon2Chem-Prozess arbeiten würden, könnte man schon die Hälfte der CO2-Emissionen der gesamten EU einsparen.
Welche Beiträge kann die Grundlagenforschung auf dem Weg dorthin leisten?
Sie muss zunächst herausfinden, wo das Optimum für den Prozess liegt. Wir von der Max-Planck-Gesellschaft werden als Partner im Konsortium vor allen Dingen die Risiken aufzeigen und in allen Schritten nach den verborgenen Schwierigkeiten und entsprechenden Lösungen suchen.
Was heißt das konkret?
Wir sind zum Beispiel für die Gasreinigung zuständig: Ein wesentliches Problem solcher Prozesse besteht darin, dass es sich bei dem Hüttengas, mit dem wir arbeiten, um Abfall handelt. Und der enthält natürlich alle möglichen Dinge, die Sie nicht haben wollen, nämlich etwa 500 Spurenkomponenten. Und die Zusammensetzung ändert sich zudem laufend. Wir müssen jetzt analytische Methoden, genauer gesagt neuartige Spektrometer entwickeln, um die Spurenkomponenten zu identifizieren, und zwar in Echtzeit an einem Hochofen – das hat noch nie jemand gemacht. Dann werden wir nach Möglichkeiten suchen, die Verbrennungsgase zu reinigen. Und zwar so, dass die Komponenten, die beim weiteren Prozess stören, auch tatsächlich entfernt werden.
Wie gehen Sie das an?
Wir können nicht direkt am Hochofen messen, weil das gefährlich ist und weil da auch nicht alle möglichen Leute rumlaufen dürfen. Deshalb wollen wir das Hüttengas synthetisch nachbauen. Dabei müssen wir berücksichtigen, wie die einzelnen Komponenten untereinander reagieren. Deshalb werden wir ein Labor einrichten, in dem wir so komplexe Gasgemische auch mit schwankender Zusammensetzung erzeugen können, wie wir sie in der Realität vorfinden. Das ist ein Wunderwerk der Technik, das eine ganze Halle füllen wird. Damit werden dann die anderen Projektpartner die weiteren Schritte in dem Prozess untersuchen und optimieren.
Welche weiteren Aufgaben haben Sie und Ihre Mitarbeiter am Fritz-Haber-Institut und am Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion?
Wir werden uns auch mit der Methanol-Synthese beschäftigen, bei der CO2 mit Wasserstoff zu Methanol umgesetzt wird. Schon heute werden 60 Millionen Tonnen Methanol auf diese Weise großtechnisch erzeugt. Aber wir wollen alleine 20 Millionen Tonnen CO2 in Methanol umwandeln. Das ist also eine riesige Anlage, die wir so optimieren müssen, dass der Prozess stabil läuft.
Warum ist das nötig?
Bei so einer großen Anlage kann man es sich voraussichtlich nicht leisten, etwas zwischen zu speichern. Wenn jetzt also zum Beispiel die Sonne nicht scheint und es daher keinen Öko-Strom für die elektrolytische Erzeugung von Wasserstoff gibt, muss man die Anlage abschalten. Darum müssen wir es ermöglichen, eine solche Anlage mit Unterbrechungen zu betreiben. Das ist bei Anlagen dieser Größe bislang nicht möglich, weil die Katalysatoren für die chemische Reaktion beim Ab- und wieder Anschalten zerstört werden. Und das kann man bei so einer Anlage natürlich überhaupt nicht haben.
Was können Sie dagegen unternehmen?
Wir haben am Fritz-Haber-Institut bereits herausgefunden, dass solche Katalysatoren dynamisch arbeiten. Wir müssen jetzt verstehen, wie diese Dynamik von äußeren Randbedingungen abhängt. Das ist die Voraussetzung, um entweder neue Katalysatoren zu entwickeln, die dem Ab- und Anschalten standhalten. Oder wir müsse die Anlage so betreiben, dass der Katalysator nicht leidet.
Können Sie schon absehen, wann die Anlage in Betrieb gehen kann?
Das Projekt ist insgesamt auf zehn Jahre angelegt. In vier Jahren müssen wir zunächst die Grundlagen schaffen, um eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen, ob es geht oder nicht. Der nächste Schritt ist dann für drei Jahre angesetzt. Dabei soll eine Demonstrationsanlage gebaut werden, die schon mehr als 100 Millionen Euro kostet. Diese Anlage entsteht an einer ganz sensiblen Schnittstelle zwischen Stahl- und Chemieindustrie, weil da zwei verschiedene Kulturen aufeinander treffen. Das ist auch ein Grund, warum jetzt schon so viele große Unternehmen eingebunden sind.
Welche Rolle übernimmt das Fraunhofer-Institut Umsicht in dem Konsortium?
Dort ist man darauf spezialisiert, Modelle von solchen großen Prozesse zu erstellen und zu berechnen, wie die einzelnen Teilschritte in dem System zuverlässig zusammenwirken und ob das auch ökonomisch funktioniert. Carbon2Chem ist insofern auch ein gutes Beispiel für die Zusammenarbeit von Fraunhofer- und Max-Planck-Gesellschaft.
Wie schwierig wird es, den Prozess vom Thyssen-Krupp-Stahlwerk in Duisburg auf andere Stahlwerke zu übertragen?
In 50 Stahlwerken weltweit, und zwar den größten, sind die Hüttengase ganz ähnlich zusammengesetzt wie im Duisburger Werk. Daher ließe sich der Prozess dort direkt einsetzen. Aber auch bei den anderen ist das möglich. Das Projekt ist wie bei einem Legokasten aus 15 verschiedenen Modulen aufgebaut. Wir stellen uns das so vor, dass wir die einzelnen Module jeweils auf verschiedene Hüttengase anpassen können.
Bei Carbon2Chem berücksichtigen sie auch soziokulturelle Aspekte. Worum geht es da?
Wenn wir eine solche Anlage, mit der wir Hüttengas in nützliche Produkte verwandeln, entwickeln, sollten wir die Menschen in Duisburg und im Ruhrgebiet von vorneherein einbinden. Wir halten es nicht für sinnvoll, erst einmal alles fertig zu planen, und dann zu hoffen, die Leute werden das schon gut finden. Deshalb versuchen wir, sie mitzunehmen. Ich führe jetzt schon Gespräche mit Politikern vor Ort. Später werden wir dazu Veranstaltungen machen, und ich werde darüber eine Reihe von Vorlesungen halten. Mit dem offenen Vorgehen wollen wir den Menschen zeigen, dass eine solche Anlage keinen Schaden, sondern im Gegenteil viel Nutzen bringt.
Das Gespräch führte Peter Hergersberg