Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Komplexe Hydride als Materialien für die Wasserstoffspeicherung

Complex Hydrides as Hydrogen Storage Materials

Autoren
Schüth, Ferdi; Felderhoff, Michael; Bogdanovic, Borislov
Abteilungen

Heterogene Katalyse (Prof. Dr. Ferdi Schüth)
MPI für Kohlenforschung, Mülheim an der Ruhr

Zusammenfassung
Falls unser Energiesystem auf Wasserstoff als wesentlichen Energieträger umgestellt werden soll, ist die Speicherung von Wasserstoff eine der größten Herausforderungen. Die zurzeit verfügbaren Lösungen sind in vielen Punkten unbefriedigend. Komplexe Hydride, insbesondere Natriumalanat, sind die am weitesten entwickelte, auf chemischer Speicherung beruhende Alternative. Durch Entdeckung und Optimierung eines Katalysators konnte die Geschwindigkeit der Wiederbeladung des entladenen Hydrids in den Minutenbereich gesenkt werden. Das Konzept der katalytischen Beschleunigung der Be- und Entladung erscheint generalisierbar, sodass Hoffnung besteht, weitere technisch nutzbare komplexe Hydride zu entdecken.
Summary
If our energy system is transformed to a hydrogen economy, the storage of hydrogen is one of the biggest challenges. All presently available solutions are unsatisfactory with respect to a number of different points. Complex hydrides, especially sodium alanate, are in an advanced development stage as chemical storage alternative. After discovery and optimization of a catalyst, the rehydrogenation times could be reduced to only a few minutes. The concept of catalytic enhancement of the rates of de- and rehydrogenation seems to be generalizable, so that there is hope for the discovery of further technically useful complex hydrides.

Warum Wasserstoffspeicherung?

Das in den nächsten Jahrzehnten zu erwartende Auslaufen des Ölzeitalters und die damit verbundene Umstellung unseres Energiesystems ist eine der größten Herausforderungen, vor denen die Menschheit im 21. Jahrhundert steht. Bei der Diskussion über ein zukünftiges Energiesystem wird häufig stark auf den Ersatz von Erdöl und Erdgas als Energiequelle fokussiert. Oftmals wird dabei übersehen, dass Öl, Gas und die daraus hergestellten Produkte eine ähnlich wichtige Rolle als Transport- und Speicherform für Energie spielen. Die Notwendigkeit, eine alternative Form für diese Zwecke zu finden, wird zudem durch die Tatsache verstärkt, dass einige der regenerativen Energiequellen unstetig anfallen, wie etwa Windenergie und Solarenergie.

Derzeit wird Wasserstoff als Grundlage einer zukünftigen Energieinfrastruktur intensiv diskutiert [1]. Er ist zwar selbst keine Energiequelle, sondern muss unter Nutzung anderer Energiequellen erst hergestellt werden, als Transport- und Speicherform hat er jedoch eine Reihe von Vorteilen. Er ist gasförmig, was die Handhabung im Vergleich etwa zu Feststoffen deutlich vereinfacht. Außerdem kann er auf unterschiedliche Weise in Nutzenergie umgewandelt werden, wobei als Produkt nur Wasser entsteht: In der Brennstoffzelle kann aus Wasserstoff direkt elektrische Energie erzeugt werden, oder er kann verbrannt werden, um Wärmeenergie oder mechanische Energie zu erzeugen. Diesen Vorteilen stehen aber auch gravierende Nachteile gegenüber. Er ist leicht brennbar und in Mischung mit Luft entstehen hochexplosive Gemische, das so genannte „Knallgas“. Als eines der größten mit dem Übergang zu einer Wasserstoffwirtschaft verknüpften Probleme stellt sich aber zunehmend die Speicherung von Wasserstoff heraus, insbesondere wenn es um relativ geringe Mengen geht, wie sie etwa für Brennstoffzellen-getriebene Autos erforderlich sind.

Derzeitige Technologie

Zurzeit werden zwei wesentliche Entwicklungslinien verfolgt, die auch bereits Eingang in Fahrzeugprototypen gefunden haben, die Druckspeicherung und die Speicherung von Wasserstoff in flüssiger Form. Bei der Druckspeicherung wird der Wasserstoff unter einem Druck von mehreren zehn Megapascal in Druckbehältern aus faserverstärkten Kunststoffen eingeschlossen. Die meisten Prototypen arbeiten bei einem Druck von 35 MPa, also dem 350-fachen des Atmosphärendrucks, einzelne Tanks sind aber bis 70 MPa ausgelegt worden. In flüssiger Form liegt Wasserstoff erst bei Temperaturen unter 20 K (-253 °C) vor, was die Lagerung in extrem gut isolierten Behältern erforderlich macht, da ansonsten die Verluste durch Verdampfung viel zu groß werden. Obwohl sowohl Druckspeicher als auch Flüssigspeicher technisch realisierbar sind, haben beide Technologien gravierende Nachteile: Bei der Druckspeicherung sind die Tanks extrem teuer, zudem ist die volumenbezogene Speicherdichte relativ schlecht: Um eine Fahrstrecke von 400 km zu realisieren, benötigt man inklusive des Tanks ein Volumen von etwa 30 L, wenn man als Kraftstoff Diesel für einen effizienten Verbrennungsmotor ansetzt. Der bei 70 MPa Druck gespeicherte Wasserstoff für ein Brennstoffzellen-betriebenes Auto würde dagegen ein Volumen von etwa 200 L inklusive Tank einnehmen. Auch das Gewicht des Tanksystems wäre etwa dreimal so hoch wie bei einem Dieselfahrzeug (Abb. 1). Die volumenbezogene Speicherdichte bei flüssigem Wasserstoff ist etwas besser, allerdings kommt hier ein neues Problem hinzu: Auch eine noch so gute Isolierung verhindert den Eintrag von Wärme in den Tank nicht vollständig, sodass immer ein Teil des Wasserstoffs verdampft. Den dadurch verursachten Druckanstieg kann der Tank bis zu einer gewissen Grenze tolerieren, dann aber – bei den besten Tanks nach mehreren Tagen – muss sich ein Überdruckventil öffnen und Wasserstoff beginnt, kontinuierlich zu entweichen, sodass nach einiger Zeit der Tank leer ist.

Sowohl die Druck- als auch die Flüssigspeicherung führen zudem zu Energieverlusten, da bei der Kompression oder Verflüssigung ein erheblicher Teil (10-30 %) des Energieinhalts des Wasserstoffs aufgewendet werden muss, der nicht zurückgewonnen werden kann. Aufgrund all dieser Probleme ist die Suche nach alternativen Verfahren zur Wasserstoffspeicherung ein hochaktuelles Forschungsgebiet mit großer Bedeutung für künftige Energiesysteme.

Komplexe Hydride für die Wasserstoffspeicherung

In manchen chemischen Verbindungen lässt sich Wasserstoff deutlich dichter packen als in flüssiger Form oder als komprimiertes Gas [2]. In Abbildung 2 ist die volumetrische gegen die gravimetrische Speicherdichte für eine Reihe unterschiedlicher Verfahren zur Wasserstoffspeicherung aufgetragen. Um akzeptable Tankgrößen und Tankgewichte zu erreichen, sind volumetrische Speicherdichten deutlich über 5 L Wasserstoff pro 100 L Material und gravimetrische Dichten wesentlich über 5 kg Wasserstoff pro 100 kg Material erforderlich. Damit fallen eine Reihe bekannter Metallhydride bereits heraus. Die verbleibenden Materialien finden sich in der Gruppe der so genannten komplexen Hydride, in denen der Wasserstoff an ein Metallzentrum gebunden ist und das entstehende komplexe Ion eine negative Ladung trägt. Zusammen mit positiv geladenen Metallionen kann das komplexe Hydrid als Feststoff entstehen.

In der Regel ist es aber nicht ausreichend, dass das Hydrid ausreichende Mengen an Wasserstoff genügend dicht einlagern kann. Um ein solches Material technisch nutzen zu können, muss der Wasserstoff unter relativ milden Bedingungen auch wieder aus dem Speichermaterial entfernt werden können. Ideal wären dabei Temperaturen, die dem Niveau gängiger, mit Wasserstoff betriebener Brennstoffzellen entsprechen, also knapp unter 100°C. Bei dieser Temperatur sollte der Wasserstoff mit einem Druck von etwa 0,5 MPa zur Verfügung stehen. Zudem sollten die Drücke bei der Wiederbeladung (Rehydrierung) des Speichermaterials nicht zu hoch sein, vorzugsweise unter 5 MPa, da sonst ein schweres und voluminöses Druckgehäuse für das Speichermaterial vorgesehen werden müsste.

Werden all diese Randbedingungen berücksichtigt, bleibt aus der Gruppe der bekannten komplexen Hydride nur das Natriumalanat (NaAlH4) als mögliches Wasserstoffspeichermaterial. Dieses und verwandte Systeme werden in der Abteilung heterogene Katalyse intensiv untersucht. NaAlH4 in reiner Form ist für einen technischen Einsatz untauglich. Das liegt daran, dass zum einen die Wasserstofffreisetzung viel zu langsam ist, zum anderen eine Wiederbeladung mit Wasserstoff nur unter extremen Bedingungen und auch dann nicht vollständig erfolgt. Ausgangspunkt dieser Arbeiten war daher die Entdeckung von Manfred Schwickardi und Borislav Bogdanovic [3], dass beide Reaktionen, die Wasserstofffreisetzung und die Wiederbeladung erleichtert werden, wenn man Übergangsmetallverbindungen, vorzugsweise Titanverbindungen, in geringen Mengen zusetzt, die als Katalysator für die entsprechenden Reaktionen wirken.

Der Katalysator zur Beschleunigung der Reaktion

Während in den ersten Arbeiten die Rehydrierung noch mehrere Stunden dauerte und unvollständig blieb, wurden die Katalysatoren und die Verfahren zur Einbringung der Katalysatoren mittlerweile so weit optimiert, dass die entsprechenden Zeiten im Bereich weniger Minuten liegen, was für den technischen Einsatz ausreichend ist. Ein so optimiertes Material wird durch Mahlen von Natriumhydrid und Aluminium, den Vorläuferverbindungen für das Natriumalanat unter einem Druck von etwa 10 MPa Wasserstoff in Anwesenheit weniger Prozent des bislang besten Katalysatorvorläufers Scandiumchlorid (ScCl3) hergestellt. Um die Prozesse während des Vermahlens verfolgen zu können, wurde die Mahlkapsel der Kugelmühle mit Sensoren für Druck und Temperatur ausgestattet, die Signale werden über Funk aus der Mahlkapsel an ein Aufzeichnungsgerät übertragen (Abb. 3). Dies ist erforderlich, da Kabelverbindungen zur Mahlkapsel keine ausreichend hohe mechanische Stabilität aufweisen und nach kurzer Zeit brechen. Dieses Verfahren hat sich auch zur Synthese einer Reihe anderer Verbindungen als sehr leistungsfähig erwiesen und sich – als Nebenprodukt der Entwicklung des Wasserstoffspeichermaterials – zu einem eigenständigen Forschungsthema entwickelt.

Lange Zeit unklar blieben allerdings der Zustand des Katalysators während der Reaktion und seine Wirkungsweise. Durch eine Kombination zahlreicher unterschiedlicher Techniken (Chemische Analyse, Röntgendiffraktion, NMR-Spektroskopie, Elektronenmikroskopie und Röntgenabsorptionsspektroskopie) konnte aber mittlerweile für den am häufigsten verwendeten Titankatalysator ein konsistentes Bild entwickelt werden [4, 5], das in der Folge von anderen Gruppen im Wesentlichen bestätigt wurde. Danach wird das Titan des als Vorläufer eingesetzten Titantrichlorids (TiCl3) während des Vermahlens durch einen Teil des NaAlH4 zunächst zum nullwertigen Zustand reduziert, wobei außerdem metallisches Aluminium, Natriumchlorid und Wasserstoff entstehen. Das Titan bildet während dieses Prozesses eine Legierung mit dem Aluminium und verbleibt in diesem Zustand während der Dehydrierungs/Rehydrierungszyklen, wobei sich lediglich seine Konzentration in der Legierung mit dem Aluminium ändert.

In diesem Zustand entfaltet das Titan seine katalytische Wirkung. Eine Funktion des Titans ist die Dissoziation der Wasserstoffmoleküle, die erforderlich ist, damit der Wasserstoff bei der Rehydrierung aus der Gasphase in das komplexe Hydrid übergehen kann. Isotopenaustauschexperimente, in denen „normale“ Wasserstoffatome des Hydrids gegen Deuterium („schwere“ Wasserstoffatome) ausgetauscht wurden, belegen dies klar. Eine genaue Analyse der Geschwindigkeiten aller ablaufenden Prozesse zeigt jedoch, dass das Titan noch mindestens eine weitere Funktion haben muss, die derzeit noch unklar ist und intensiv untersucht wird.

Die maximale Speicherkapazität, die mit NaAlH4 erreicht werden kann, liegt knapp über 5 Gew.%, da nur drei der vier Wasserstoffatome reversibel ausgetauscht werden können. Dies ist für den technischen Einsatz vermutlich noch zu niedrig. Allerdings haben weitergehende Arbeiten mittlerweile gezeigt, dass die Erkenntnisse zur Beschleunigung der Reaktion generalisierbar sind und auch andere Alanate ähnliche Effekte zeigen. Erstaunlicherweise sind nur wenige Alanate und andere komplexe Hydride bekannt und gut charakterisiert, und es gibt Hoffnungen, unter den unbekannten Systemen weitere zu finden, die eine genügend hohe Speicherkapazität mit ausreichender Stabilität verbinden. Arbeiten in dieser Richtung werden in den nächsten Jahren weiter vorangetrieben, um damit einen Beitrag zur Lösung eines der größten Probleme beim möglichen Übergang auf ein Wasserstoff-Energiesystem zu leisten.

Originalveröffentlichungen

F. Schüth:
Mobile Wasserstoffspeicher mit Hydriden der leichten Elemente.
Nachrichten aus der Chemie 54, 24-28 (2006).
F. Schüth, B. Bogdanovic, M. Felderhoff:
Light metal hydrides and complex hydrides for hydrogen storage.
Chemical Communications (Cambridge, U. K.) 2004, 2249-2258.
B. Bogdanovic, M. Schwickardi:
Ti-doped alkali metal aluminium hydrides as potential novel reversible hydrogen storage materials.
Journal of Alloys and Compounds 253, 1-9 (1997).
C. Weidenthaler, A. Pommerin, M. Felderhoff, B. Bogdanovic, F. Schüth:
On the State of Titanium and Zirconium in Ti- or Zr-doped NaAlH4 Hydrogen Storage Material.
Physical Chemistry – Chemical Physics 5, 5149-5153 (2003).
M. Felderhoff, K. Klementiev, W. Grünert, B. Spliethoff, B. Tesche, J. M. Bellosta von Colbe, B. Bogdanović, M. Härtel, A. Pommerin, F. Schüth, C. Weidenthaler, B. Zibrowius:
Combined TEM-EDX and XAFS studies of Ti-doped sodium alanate.
Physical Chemistry – Chemical Physics 6, 4369-4374 (2004).
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