Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Polymerforschung
Polymersynthese – nicht so einfach
Obwohl Plastik und vor allem Plastikabfall in den Meeren viel öffentliche Diskussion auf sich ziehen, sind Polymere wegen ihrer reichen Anwendungsmöglichkeiten aus unserem Leben nicht wegzudenken. Deshalb ist die Forderung nach praktischen und ergiebigen Herstellungsverfahren von Polymeren nur verständlich Die gebräuchlichste Synthesemethode ist die Polymerisation aktivierter Olefine unter der Einwirkung eines Initiators. Sie kann nicht nur einfache Kettenmoleküle liefern, sondern auch komplexere Molekülformen wie Multiblöcke, Sterne oder Netzwerke. Hinzu kommt als Synthesemethode die Polykondensation geeigneter funktionalisierter Monomere. Die Polymerforschung in all ihren spannenden physikalischen und biologischen Facetten wäre ohne diese klassischen Synthesewerkzeuge nicht denkbar.
Der Hang zum Einfachen, „alles geschieht in einem Topf und am Schluss wird ausgefällt“, ist also berechtigt, er wird aber bisweilen als Alibi für mangelnde Strukturphantasie und Experimentierkunst herangezogen. Zudem wird argumentiert, man ziele schließlich auf nützliche Materialeigenschaften und damit die Funktionen von Polymeren und die könne man auch durch supramolekulare Organisation im Zuge der Verarbeitung herbeiführen. Das ist wahr, aber Komplexität der angestrebten Materialfunktionen erfordert in der Regel auch Komplexität der molekularen und supramolekularen Strukturen. Dann darf Polymersynthese nicht nur, sondern sie muss komplizierter sein. Schauen wir auf wirklich ehrgeizige Ziele der Materialforschung, wie zum Beispiel neue miniaturisierbare Formen elektronischer Schaltungen oder eine klinisch relevante Gentherapie. Anhand zweier Makromoleküle soll nun gezeigt werden, dass wirklich anspruchsvolle Funktionen auch anspruchsvolle Synthesen erfordern: Graphen-Nanostreifen (GNRs) als eine neue Klasse von elektronischen Halbleitern und formstabile dreidimensionale Makromoleküle, sogenannte Dendrimere, als Vehikel zum Transport von DNA. Im ersten Fall werden Kohlenstoff-Sechsringe zu honigwabenartigen Strukturen verknüpft, im zweiten Fall werden sie auf engstem Raum, aber gegeneinander verdrillt, gepackt.
Graphen-Nanostreifen
Graphene, monolagige Ausschnitte aus dem Graphitgitter, haben dank ihrer spannenden physikalischen Eigenschaften weitreichende Entwicklungen in der Materialwissenschaft stimuliert. Sie sind in der Tat zweidimensionale Polymere, scheinen aber eher eine Spielwiese für die Physik als eine Herausforderung für die Chemie zu sein. Dieses Dilemma beleuchtet ein allgemeines Charakteristikum der Materialforschung. Wir leben in einer stofflichen Welt, also wird der Chemiker, der diese Stoffe erzeugen kann, der Forschung auch vorangehen, aber die größeren Lorbeeren fallen dem Physiker oder Biologen zu, der die neuen Stoff- Eigenschaften entdeckt und nutzt.
Graphene zeichnen sich durch eine extrem hohe Beweglichkeit von elektrischen Ladungen aus. Die Mobilität der Ladungen ist besonders wichtig für Halbleiter als aktive Komponenten effizienter Feldeffekttransistoren, die nahezu omnipräsente Bestandteile elektronischer Schaltungen sind. Dennoch bleibt diese Besonderheit von Graphenen wertlos, weil ihre Elektronenstruktur verschwindende Bandlücken aufweist und deshalb der elektrische Strom durch diese Halbleiter immer „an“, aber nie „aus“ wäre. Wenn man sich, was naheliegt, nicht mit einem Schalter zufrieden geben will, der nie „aus“ sein kann, muss man die Bandlücke des Graphens öffnen. Dies kann durch geometrische Begrenzung des Elektronensystems geschehen, wie sie in sogenannten Graphen-Nanostreifen vorkommt. Xinliang Feng und Aki Narita, die Pioniere unserer Graphenforschung, haben solche Graphen-Nanostreifen (GNRs) über eine Vorläufer-Route synthetisiert [1]. Sie haben diese GNRs sogar trotz Längen von 600 Nanometern löslich gemacht, so dass sich die entstehenden Halbleiter zu elektronischen Bauteilen verarbeiten lassen [2]. Steife Makromoleküle dieser Länge - schließlich will man ausreichend breite Kanäle zwischen Elektroden überbrücken und auch an Einzelmolekülen experimentieren – lassen sich durch herkömmliche Polykondensationen kaum erzielen. Deshalb haben sie eine Polyaddition entwickelt, die unter laufender Neubildung von Kohlenstoff-Sechsringen, aber völlig ohne Fehler abläuft.
Über diesen Erfolg freuen sich unsere Partner aus der Physik. Sie fragen aber weiter, wie sich die elektronische Bandstruktur der GNRs optimieren ließe. Also haben wir Längen und Breiten dieser neuen Polymertypen variiert. Dabei haben wir aber bald gelernt, dass die Art der Peripherie, also etwa eine Sessel- oder Zick- Zack-Form, viel entscheidender für die elektronischen Eigenschaften ist [3]. Es war die geschickte Variation der Monomer-Bausteine, welche hier zum Ziel führte. Jedoch traten zwei Probleme auf: Zunehmende Größe der Monomer-Bausteine, welche hier zum Ziel führte. Jedoch traten zwei Probleme auf: Zunehmende Größe der Makromoleküle limitiert deren Löslichkeit, und Verkleinerung der GNR-Bandlücken bewirkt Instabilität. Was will man jedoch mit elektronisch attraktiven Halbleitern, die nicht stabil sind? Deshalb sind wir einen ganz anderen Weg der Polymersynthese gegangen. Hier muss zunächst betont sein, dass diese alternative Route ohne unsere Partner aus der Oberflächenphysik, insbesondere Roman Fasel von der EMPA in Zürich, nicht möglich gewesen wäre. Dabei werden reaktive Monomere aus der Gasphase auf eine Oberfläche abgeschieden, thermisch oder photochemisch aktiviert und dann zur Polymerisation gebracht [4]. Es entstehen wiederum Vorläufer-Polymere aus verdrillten Sechsringen, die dann in einem zweiten Schritt bei höherer Temperatur zu Graphen-Nanostreifen eingeebnet werden. Die faszinierenden Besonderheiten einer solchen Polymerchemie an Oberflächen sind: 1) die Stabilisierung der reaktiven Monomer-Intermediate, die allerdings auf der Oberfläche mobil bleiben, sich treffen und polymerisieren, 2) die Kontrolle der Polymerbildung und ihrer atomaren Präzision im realen Raum durch Rastersonden-Mikroskopie, 3) die ortsselektive Dotierung der GNRs durch Auswahl der Bausteine, 4) das Ablösen der Nanostreifen von der Oberfläche zur weiteren Verarbeitung in Schaltungen, aber vor allem 5) die Entstehung von GNRs mit Zick- Zack-Rändern [5] (siehe Abb. 1).
Wie eine Kombination von Mikroskopie und Spektroskopie zeigt, entstehen dadurch elektronische Zustände, die an den Kanten lokalisiert sind und Spins (ungepaarten Elektronen) ausbilden. GNRs versprechen somit nicht nur neue Möglichkeiten der Miniaturisierung, die mit Silizium-Halbleitern kaum umsetzbar sind, sondern auch eine „Spintronik“ statt der herkömmlichen „Elektronik“. Dabei werden statt Elektronen „Spins“ als elementare magnetische Dipole transferiert.Dies wiederum brächte deutliche Vorteile etwa für die Informationsspeicherung. Auch auf einem ganz anderen Feld der Technologie erlaubt die Charakterisierung der GNRs durch Rastersondenmethoden einen Durchbruch, nämlich dem der „Superlubrizität“ [6] Sie tritt da auf, wo sich Werkstücke möglichst ohne Reibung gegeneinander bewegen. Ohne auf alle diese Aspekte eingehen zu können, erscheint die Prognose nicht zu gewagt, dass die Synthese von Makromolekülen nach Immobilisation von Vorläufer-Molekülen an Oberflächen einerseits und die Nutzung von Graphen-Nanostreifen andererseits die Polymerchemie nachhaltig verändern werden. Aber auch hierbei gilt: Polymersynthese ist nicht so einfach.
Dendrimere als perfekte funktionale Nanoteilchen
Ende der siebziger Jahre publizierte der Arbeitskreis von Fritz Vögtle eine Idee zur Synthese sogenannter Dendrimere, baumartig verzweigter Makromoleküle mit dreidimensionaler Struktur [7]. Viele profilierte Arbeitsgruppen nahmen sich von da an der Dendrimer-Synthese anSomit erfolgte unser Einstieg im Jahr 2000 in ein ziemlich reifes Forschungsgebiet. Was war dennoch der Kick? Wir synthetisierten solche Dendrimere, die, wie eingangs erwähnt, nur aus gegeneinander verdrillten Kohlenstoff-Sechsringen aufgebaut sind (siehe Abb. 2).
Unser Verfahren folgte dank wiederholter Additionen einem ähnlichen Prinzip wie bei den Graphen- Nanostreifen, nur wurden statt AB-Monomeren (A und B bezeichnen komplementäre, miteinander reagierende chemische Funktionen) A2B-Systeme verwendet (siehe Abb. 3). Diese führen zwangsläufig zur Verzweigung in immer neue Polymerarme, bilden beim Wachstum der Moleküle aber keinerlei Defekte. Die entstehenden Polyphenylen-Dendrimere (PPDs) sind in der Tat einzigartig. Sie lassen sich bis zu einem Molekulargewicht von 1,9 Mega-Dalton monodispers und defektfrei synthetisieren, sie sind löslich, extrem stabil, und sie sind formpersistent, weil sie keine Verbiegung der Arme erlauben. Deshalb lassen sich in die so entstehenden, molekular definierten Gerüste aktive Einheiten einbauen (Elektrolyte, Farbstoffe, Katalysatoren, Liganden für Metallionen). Dabei kommt es stets zu einer elektronisch und geometrisch perfekten Ortsdefinition innerhalb funktionaler Nanoteilchen [8].
Anders hergestellte Dendrimere sind häufig defektreich, nicht formpersistent und chemisch instabil. Zudem sind sie vielfach zelltoxisch, was in unseren Dendrimeren nicht der Fall ist (siehe unten). An dieser Stelle kann der erhebliche Nutzen unserer Dendrimere für die Materialwissenschaft nur angedeutet werden: So entstehen Licht-Sammelkomplexe, Rezeptoren für die Sprengstoff-Sensorik und organolösliche, weil durch unpolare Schalen umhüllte Elektrolyte. Ein jüngstes, besonders faszinierendes Beispiel sind aber synthetische Analoga von Albuminen. Albumine dienen in unserem Körper als Vehikel zum Transport unpolarer Moleküle wie Fettsäuren. Sie finden aber auch Anwendung in der Formulierung von Krebsmitteln. Bringt man auf die Oberflächen der sehr unpolaren PPDs, wie Brenton Hammer es getan hat, einzelne polare Gruppen auf, so führen die nebeneinander liegenden hydrophilen (wasserfreundlichen) und hydrophoben (wasserabweisenden) Flecken zu einer Art Frustration jeglicher Solvathülle (siehe Abb. 4).
Die sphärischen Dendrimer-Makromoleküle sind deshalb in Wasser, aber auch in organischen Solventien löslich und treten effizient durch eine Zellmembran hindurch. In der Tat gelang es, den heiligen Gral solcher Experimente zu erreichen, indem man an Endothel-Zellen den Durchtritt der Dendrimere durch die Blut-Hirn-Schranke nachwies [9]. Zugleich besitzen diese sphärischen Makromoleküle im Inneren Hohlräume, in denen lipophile Gastmoleküle transportiert werden, und das geschieht sogar effizienter als mit den natürlichen Albuminen selbst. Noch wichtiger ist, dass diese PPDs mit exakt eingestellter Struktur die Aufnahme von Adenoviren in Zellen deutlich verbessern. Adenoviren sind im Augenblick die wichtigsten Kandidaten, die klinisch für die Gentherapie untersucht werden. Sie internalisieren aber bekanntlich nicht besonders gut in viele Krebszellen und in Stammzellen, und genau das wird jetzt dank ihrer Wechselwirkung mit den „gefleckten“ Dendrimeren möglich. Die sich nun eröffnenden therapeutischen Möglichkeiten sind kaum zu überschätzen. Es ist die komplexe, aber gezielt entworfene und hergestellte – dreidimensionale – Makromolekülstruktur, die eine bisher lang gesuchte Funktion der Realität näher bringt. Doch das war nur der Anfang: Denn subtile Synthese ist das eine, Aggregation der Dendrimeren mit Viren, Zellaufnahme der Aggregate und in-vivo-Experimente sind das andere. Dass diese möglich wurden, verdanken wir der Kooperation mit Tanja Weil und ihrer Arbeitsgruppe, die somit Polymerchemie auf eine neue Ebene heben.
Was kann der Polymersynthese besseres und schöneres geschehen, als dass sie es wert ist, fortgeführt zu werden und vielleicht irgendwann Menschen nützt? Ich verweise deshalb auf unsere Kooperationspartner, denen ich dankbar bin und deren weitere Arbeit, ob an Graphenen, Dendrimeren, Chromophoren, Polyolefinen oder anderen Funktionsmaterialien, ich mit Freuden verfolgen werde. An dieser Stelle müsste ich vielen anderen Partnern unserer Forschung und vor allem Mitarbeitern danken. Wenn ich nur einige namentlich erwähnt habe, so mag das gegenüber den vielen, die jetzt ungenannt bleiben, nicht gerecht sein. Allen aber kommt ein wichtiger Platz in den Annalen unserer Gruppe und in meinen Erinnerungen zu. Keinesfalls ungenannt bleiben dürfen Martin Baumgarten, Markus Klapper, Joachim Räder und Manfred Wagner, die mich durch meine Zeit am MPI für Polymerforschung begleitet haben.