Forschungsbericht 2016 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, Teilinstitut Hannover
Die Entdeckung des ersten Gravitationswellen-Signals
Gravitationswellen-Astronomie
Albert Einstein sagte Gravitationswellen aus seiner Allgemeinen Relativitätstheorie im Jahr 1916 vorher. Diese Kräuselungen in der Krümmung der Raumzeit sollten danach das Weltall mit Lichtgeschwindigkeit durchlaufen und immer dann entstehen, wenn sich Massen beschleunigt bewegen. Durch die sehr geringe Wechselwirkung dieser Wellen mit Materie war der direkte Nachweis von Gravitationswellen eine der faszinierendsten Herausforderungen der vergangen 50 Jahre.
Am 14. September 2015 machten beide Advanced-LIGO-Interferometer die erste direkte Beobachtung von Gravitationswellen. Die als GW150914 bezeichnete Welle stammte von einem Paar verschmelzender Schwarzer Löcher [1] (Abb. 1). Eine weitere Gravitationswelle von der Verschmelzung Schwarzer Löcher wurde am 26. Dezember 2015 beobachtet [2].
Elektromagnetische Folgebeobachtungen
Die vielversprechendsten Quellen von Gravitationswellen sind Binärsysteme aus Neutronensternen und/oder Schwarzen Löchern. Darüber hinaus gibt es weitere Quellen im Universum wie beispielsweise Supernova-Explosionen oder schnell rotierende, verformte Neutronensterne.
Einige dieser Vorgänge können neben Gravitationswellen andere astrophysikalische Signale wie Photonen (Licht) oder Neutrinos aussenden. Eine gemeinsame Beobachtung einer Quelle mit verschiedenen dieser astrophysikalischen „Boten“ würde das Vertrauen in eine mögliche Gravitationswellen-Beobachtung stark erhöhen. Aus diesem Grund entwickelten die LIGO Scientific Collaboration und die Virgo Collaboration ein gemeinsames Projekt mit anderen Teleskopen: Potenzielle Gravitationswellen-Signale werden dabei in Echtzeit weitergegeben, um Partnerorganisationen eine unverzügliche Beobachtung der Quelle mit ihren Teleskopen zu ermöglichen [3, 4]. Dies erfordert eine Analyse der Daten der Gravitationswellen-Detektoren in Echtzeit.
Datenanalyse mit kurzer Latenzzeit
Als der erste Beobachtungslauf der Advanced-LIGO-Detektoren im September 2015 begann, analysierten mehrere Algorithmen die Daten in Echtzeit. Einer dieser Algorithmen war coherent Waveburst (cWB), der am 14. September nur 3 Minuten nach der Beobachtung eines Ereignisses Alarm schlug [1].
Die LIGO- und Virgo-Kollaborationen hatten cWB entwickelt und nutzen ihn zu dieser Zeit als Hauptalgorithmus für die sogenannte „unmodellierte Suche“ nach kurz andauernden Gravitationswellen-Ausbrüchen. Derartige Suchen stellen eine wichtige der unterschiedlichen Arten von Suchen dar und sollen mit möglichst wenig Annahmen und weit geöffneten „Augen“ nach möglichen Signalen suchen. Diese Heransgehensweise spiegelt die Unkenntnis über die genauen Vorgänge in möglichen Quellobjekten wider. cWB wurde am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut/AEI) in Hannover in der Abteilung „Beobachtungsbasierte Relativität und Kosmologie“ von Bruce Allen betreut; daher war es wahrscheinlich, dass Hannoveraner Forschende als erste interessante Gravitationswellen-Ausbrüche sehen würden.
Die Entdeckung
Mit Sicherheit hatte ich vorher nicht erwartet, dass der 14. September 2015 ein so aufregender Tag werden würde. Ich saß wie üblich bei der Arbeit an meinem Computer im Büro, als ich gegen 11:53 Uhr eine automatisierte Email von der cWB-Suche über einen „interessanten Signalkandidaten“ erhielt. Das überraschte mich nicht besonders, denn üblicherweise erhielt ich einen solchen E-Mail-Alarm pro Tag. Das war ein einfacher Weg um zu prüfen, ob der Suchalgorithmus korrekt funktionierte und mögliche Kandidaten identifizierte.
Aber schon beim ersten Blick auf diesen Kandidaten wurde mir klar, dass er vollkommen anders war als alle anderen, die ich zuvor gesehen hatte. Für meine Überraschung gab es zwei Gründe: Zum einen war das Signal-zu-Rausch-Verhältnis, das angibt, wie weit sich das Signal vom Rauschhintergrund abhebt, mehr als doppelt so hoch wie sonst. Zum anderen zeigte die erste grafische Darstellung ganz klar eine „Zirp“-Signatur, eine typische Eigenschaft von Signalen, die bei der Verschmelzung von zwei Objekten entstehen (Abb. 2, links).
Dass diese beiden Charakteristika zusammen auftraten, war sehr aufregend, denn damit war es fast ausgeschlossen, dass das Kandidatensignal durch zufällige Schwankungen des Rauschens im Detektor entstanden war. Es war fast zu gut um wahr zu sein, sodass mein erster Zweifel war: Ist das eine signal injection – ein künstlich eingespeistes Signal?
Das Signal-Injektionsprogramm
Das Vertrauen in einen möglichen Signalkandidaten lässt sich mit zwei einfachen Fragen zusammenfassen. Zum einen: „Wie oft verpassen wir echte Signale?“ Zum anderen: „Wie viele Gravitationswellen-„Trugbilder“ (scheinbare Signale in der Anwesenheit von reinem Rauschen) sehen wir?“ Die erste Frage lässt sich beispielsweise durch das Einspeisen von künstlichen Gravitationswellen-Signalen in die Messdaten ermitteln und in dem wir herauszufinden, ob unsere Algorithmen diese aufspüren oder nicht.
Es gibt verschiedene Methoden um diese künstlichen Signale zu erzeugen, eine davon bewegt direkt die Testmassen (Spiegel) der Detektoren genau so, wie es eine echte Gravitationswelle täte. Diese Methode kam in der Vergangenheit immer während der Messkampagnen zum Einsatz. Es bestand also durchaus die Möglichkeit, dass genau das nun passiert war. Es war daher vernünftig beim ersten Blick auf das Signal zu fragen: „Ist das eine Signal-Injektion oder könnte es ein echtes Signal sein?“.
Die ersten Stunden am Albert-Einstein-Institut Hannover
Andrew Lundgren ist einer meiner Kollegen am AEI Hannover und gleichzeitig einer der Vorsitzenden der Detector Characterization Group der LIGO Scientific Collaboration, die sich mit den Eigenheiten der Datenaufnahme am besten auskennen. Daher ging ich gleich nach Erhalt der E-Mail-Benachrichtigung in Andrews Büro, um mit ihm zu sprechen. Ich war so überzeugt davon, dass das Kandidatensignal eine Injektion sei, dass mein erster Satz nicht „Wir haben ein Ereignis!“ war, sondern eher „Weißt Du ob es eine signal injection in den Daten gab?“. Andy wollte den Grund meiner Frage wissen und so berichtete ich ihm von dem Ereignis, das cWB vor wenigen Minuten gemeldet hatte. Zu diesem Zeitpunkt stellte ich fest, dass ich so eilig aus meinem Büro aufgebrochen war, dass ich keinerlei Informationen, beispielsweise zum genauen Zeitpunkt des Ereignisses, mitgebracht hatte.
Es dauerte ungefähr eine Stunde, alle notwendigen Tests durchzuführen. Andrew hatte außerdem die Idee, die Techniker vor Ort an den Detektoren anzurufen und sie nach eventuellen Schwierigkeiten an den Instrumenten zu fragen – dort war es noch mitten in der Nacht. In dieser ersten Stunde informierten wir auch unsere Institutskolleginnen und -kollegen, vor allem die aus unserer Arbeitsgruppe, die nach ähnlichen Signalen suchten. So wurde es immer voller und voller in Andrews Büro, wo wir uns alle versammelten und gemeinsam arbeiteten (Abb. 3). Nachdem wir uns sicher waren, dass das Kandidatensignal weiter untersucht werden musste, entschieden wir uns, die LIGO-Virgo-Kollaboration über das Ereignis zu informieren. Mit diesem Zeitpunkt begann das Abenteuer erst richtig!
Von September 2015 bis Februar 2016: Die Geschichte einer Entdeckung
Kann eine Echtzeit-Analyse einen stichhaltigen Nachweis erbringen? Nicht allein, aber sie kann die Forschenden über ein mögliches Signal informieren und weitere Untersuchungen schnell beginnen lassen. Und in der Tat, die LIGO- und Virgo-Forschenden reagierten unmittelbar nach der ersten Information – und dies umfasste Fachleute aus allen Forschungsfeldern in der Kollaboration wie Laserphysik, seismische Isolation der Spiegel, Datenanalyse und vielen mehr.
Von Anfang an war klar, dass alle ihre Expertise würden nutzen müssen, um die erforderlichen Tests rund um das Ereignis vorzunehmen. Dies beinhaltete nicht nur die Verifikation des korrekten Messzustands der Detektoren, monatelange Datenanalyse auf Großrechnern wie Atlas am AEI Hannover, sondern auch sicherzustellen, dass das Signal nicht versehentlich, fälschlicherweise oder sogar in böser Absicht von einem Hacker eingespeist wurde.
All diese Test wurden gemeinsam in der rund 1.000 Personen umfassenden Kollaboration durchgeführt und diskutiert. Normalerweise haben wir Telefon- und Videokonferenzen in kleinen Arbeitsgruppen, doch bei diesem außergewöhnlichen Ereignis waren so viele Personen gleichzeitig daran beteiligt, dass anfänglich sogar die Konferenzsoftware wegen der vielen Teilnehmenden an ihre Grenzen stieß.
Als wir uns sicher waren, dass das Signal echt und die Statistik hieb- und stichfest war, begannen wir die wissenschaftliche Veröffentlichung zu schreiben. Bei mehr als 1.000 Autorinnen und Autoren erfordert es natürlich viel Arbeit und Geduld, bis alle sich auf die Formulierungen geeinigt haben. Aber es hat sich gelohnt – wie jeder in der frei verfügbaren Entdeckungsveröffentlichung nachlesen kann.
Nach all der Arbeit stand fest: Das beobachtete nur 0,2 Sekunden dauernde Signal stimmt mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie für die Gravitationswellen des finalen Umrundens und der letztendlichen Verschmelzung von zwei Schwarzen Löchern mit der 36- und 29-fachen Masse unserer Sonne überein. Das dabei entstehende Schwarze Loch hat die 62-fache Masse unserer Sonne. Das Energieäquivalent von rund 3 Sonnenmassen wurde in einem Sekundenbruchteil in Gravitationswellen umgesetzt – das entspricht einer maximalen Leistung von rund 50-mal der des gesamten sichtbaren Universums. Aus den Beobachtungen wurde auf eine Entfernung von rund 410 Millionen Parsec (1,3 Milliarden Lichtjahre) zu dem System geschlossen.
Durch Charakterisierung der zufälligen Schwankungen des Rauschen in den Advanced-LIGO-Detektoren ermittelten wir die statistische Signifikanz des Signals zu 5,1 Standardabweichungen. Das bedeutet, dass ein solches Signal in den 16 Tagen ausgewerteter Beobachtung weniger als einmal in 200.000 Jahren durch zufällige Rauschschwankungen entstehen kann.
Am 11. Februar 2016 gaben die LIGO- und Virgo-Kollaboration die Entdeckung auf mehreren Pressekonferenzen der Weltöffentlichkeit bekannt; die deutsche Pressekonferenz fand am AEI in Hannover statt (Abb. 4). Ich war nicht an der Vorbereitung der Pressekonferenzen beteiligt, aber nach meiner Teilnahme konnte ich mir vorstellen wie aufwendig die Vorbereitung auch dafür gewesen sein musste. Das war eines der aufregendsten Ereignisse meines Lebens – zumindest bis heute.
„Und was machen wir jetzt?“ 1
Nach den Pressekonferenzen fanden wir nach Monaten intensiver Arbeit schließlich wieder zu einem normalen Schlafrhythmus zurück. Doch war dies das Ende der Geschichte? Mit Sicherheit nicht, es war gerade erst der Anfang.
Gravitationsphysikerinnen und -physiker haben bewiesen, dass der direkte Nachweis von Gravitationswellen möglich ist und wir erwarten durch weitere Steigerungen der Empfindlichkeit deutlich mehr Signale in der Zukunft. Damit beginnt das Zeitalter der Gravitationswellen-Astronomie und damit eine großartige Möglichkeit vollkommen neue Erkenntnisse über das Universum zu erhalten.
1Zitat von Collin Capano aus der ersten Stunde nach Entdeckung des Signals am 14. September 2015 in Andrew Lundgrens Büro.