Tropfen am Zug

Wenn Flüssigkeiten auf einer Unterlage bewegt werden, treten ähnliche Reibungskräfte auf wie bei Festkörpern

Manche Wissenslücke hält sich erstaunlich lange. Während die Reibung zwischen einem festen Körper und einer Unterlage seit 200 Jahren bestens erforscht ist, wussten Physiker über die Bewegung von Flüssigkeiten auf festen Oberflächen bislang nur wenig. Dabei spielt das Verhalten von Tropfen nicht zuletzt in der Technik eine wichtige Rolle, etwa beim Drucken mit Rotationsmaschinen oder wenn Regentropfen auf Fensterscheiben abperlen. Nun haben Forscher des Max-Planck-Instituts für Polymerforschung in Mainz zum einen die Reibungskräfte zwischen Tropfen unterschiedlicher Flüssigkeiten und verschiedenen Oberflächen gemessen. Zum anderen sind sie der Frage nachgegangen, ob Tropfen über eine Unterlage rollen oder gleiten.

Vermutlich kennt jeder das Phänomen: Wassertropfen bleiben an einer Glasscheibe hängen, auch wenn man diese aus der Waagrechten kippt. Erst ab einem gewissen Winkel gleiten sie an ihr ab. Wobei sich da schon die Frage stellt, ob die Tropfen tatsächlich über die Oberfläche gleiten oder ob sie darüber rollen. Lösen konnten die Mainzer Forscher diese Frage noch nicht. Aber sie haben erste Hinweise für die Antwort gefunden, indem sie winzige Partikel in die Flüssigkeit mischten, einen Tropfen beleuchteten und die Bewegung des Tropfens und der Partikel darin filmten. „Mit dieser relativ geringen Auflösung betrachtet, sieht es so aus, als ob Tropfen über eine Oberfläche rollten“, sagt Rüdiger Berger, Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Polymerforschung in Mainz. „Allerdings konnten wir den Vorgang nicht an der Grenze zwischen dem Tropfen und der Oberfläche beobachten. Möglicherweise gleitet die Flüssigkeit da eher.“

Dass Tropfen gleiten und rollen können, deckt sich mit der Alltagserfahrung, nach der Flüssigkeiten auf wasserabweisenden Flächen eher abperlen, also rollen, während sie über wasseranziehende Materialien eher zu fließen scheinen. Wie genau sich ein Tropfen über eine Oberfläche bewegt, bestimmt auch die Reibungskräfte zwischen der Flüssigkeit und der Unterlage aus. „Das ist wie bei einem Auto“, erklärt Rüdiger Berger. „Wenn es fährt, rollen die Reifen über die Straße, und die Reibung ist niedrig. Wenn es aber stark bremst, rutschen die Reifen eher über die Straße – zumindest wenn es kein ABS hat. Im Vergleich zum rollenden Reifen ist hier die Reibung viel größer.“

Erkenntnisse für die Entwicklung von Windschutzscheiben

Die Forscher untersuchten daher die Reibung von Tropfen auf einer Oberfläche. Wenn Gegenständen aus einem festen Material über eine Unterlage gezogen werden, ist Physikern schon lange klar, welche Reibungskräfte wirken. Und Jeder Schüler bekommt das im Physik-Unterricht vorgeführt: Der Lehrer zieht an einer Federwaage, die an einem Klotz befestigt ist. Er zieht stärker und stärker, die angezeigte Kraft wächst. Bis sich der Klotz schließlich in Bewegung setzt. Während der Körper dann auf der waagrechten Unterlage gleitet, zeigt die Federwaage wieder eine kleinere Kraft. Die Erklärung: Zunächst hält die so genannte Haftreibung den Gegenstand fest. Erst wenn die Zugkraft die Haftreibung überwindet, gleitet der Körper. Nun wirkt die schwächere Gleitreibung. Um den Körper gleiten zu lassen, muss also eine geringere Kraft aufgewendet werden.

Ein einfaches Experiment, seit Jahrzehnten auf dem Lehrplan. „Es hat uns gewundert, dass es dieses Experiment nicht auch mit Flüssigkeiten gab“, sagt Rüdiger Berger. Dabei gäbe es gute Gründe zu untersuchen, welche Kraft notwendig ist, um Tropfen auf Oberflächen zu bewegen. „Etwa um Windschutzscheiben zu entwickeln, an denen Regentropfen einfach abgleiten“, sagt Rüdiger Berger. Oder um besser zu verstehen, wie sich Farbtropfen verhalten, wenn sie von einer rotierenden Druckplatte auf Papier oder ein anderes Material übertragen werden. Erkenntnisse darüber könnten helfen, den Druckprozess zu optimieren, sodass dabei ein schärferes Druckbild herauskommt oder weniger Farbe gebraucht wird.

Ein Reibungsexperiment für Flüssigkeiten

Rüdiger Berger und seine Kollegen haben sich also einen eleganten Versuch ausgedacht, um die Kräfte zu messen, die einen Tropfen aus der Ruhe bringen. Sie tauchen ein dünnes Glasröhrchen, eine so genannte Kapillare, in ein Wassertröpfchen, das auf einer Siliziumplatte ruht. Dann ziehen die Forscher an der Unterlage und bewegen mit ihr den Tropfen. Da Wasser die Glaskapillare sehr gut benetzt, hält diese den Tropfen fest. Die Zugkraft biegt nun das Glasröhrchen. Das entspricht dem Experiment, in dem ein Lehrer mit einer Federwaage an einem Klotz zieht. Die Kraft wird im Tropfenexperiment jedoch nicht mit einer Federwaage gemessen, sondern durch einen Laserstrahl, der an dem Glasröhrchen reflektiert wird. Das Licht wird dabei umso stärker abgelenkt, je mehr sich das Röhrchen biegt, je kräftiger also der Tropfen an der Kapillare zieht.

In dem Experiment der Mainzer Physiker ergab sich ein ähnliches Bild wie bei dem Versuch mit einem festen Körper: Zunächst steigt die Kraft immer weiter an, solange die Flüssigkeit noch an der Unterlage haftet. Doch sobald sich der Tropfen bewegt, sinkt sie rasch ab, um schließlich ein konstantes Niveau zu erreichen. Im Prinzip galt das für alle Flüssigkeiten und Unterlagen, mit denen die Wissenschaftler das Experiment wiederholten, etwa für die organische Flüssigkeit Hexadekan, eine ionische Flüssigkeit auf Silizium oder Wasser auf einer mit Titandioxid-Nanopartikeln beschichteten Oberfläche.

Übergangsbereich zwischen Haft- und Gleitreibung

„Die Reibung eines Tropfens teilt sich in einen statischen und einen kinetischen Bereich, ganz wie bei einem Festkörper“, sagt Rüdiger Berger. Demnach erfahren auch Flüssigkeiten zunächst eine Haftreibung, die größer ist als die Gleitreibung. Deshalb bleibt ein Tropfen zunächst auf einer gekippten Unterlage haften und gleitet erst ab einem gewissen Winkel. Im Unterschied zu Festkörpern gibt es jedoch zwischen Haft- und Gleitreibung einen Übergangsbereich, in dem die Reibung kontinuierlich abnimmt.

Auch wenn bei allen getesteten Flüssigkeiten die Haft- größer als die Gleitreibung war, unterschieden sich die Kräfte in ihrer Größe doch erheblich. So bewegte sich der Wassertropfen erst bei einem Zug von etwa 120 Mikronewton bewegte, während das Hexadekan schon bei 40 Mikronewton loslief. Auch für die Gleitreibung ergab sich eine ähnliche Bandbreite.

Reibungsexperimente auch mit Vogelfedern

Diese Messungen flankierten die Forscher mit einer weiteren Untersuchung, die auf der derzeitigen Theorie des Tropfenverhaltens beruhte. Mit einer Kamera maßen sie zunächst die Winkel, die Tropfen mit einer Unterlage bilden. In der Bewegungsrichtung, also an seiner Vorderseite, ist dieser stets stumpfer als an seiner Hinterseite. Zusammen mit der Breite des Tropfens lässt sich aus diesen Winkelmessungen die Reibungskraft während der Tropfenbewegung berechnen. „Die Ergebnisse stimmen qualitativ gut mit den Messwerten überein“, sagt Berger. Bei manchen Flüssigkeiten und Oberflächen kommt es aber zu einer deutlichen Abweichung, zum Beispiel bei Wasser auf Silizium. Das zeige, dass die Theorie bislang zu stark vereinfache und die Haft- und Gleitreibung von Tropfen nur grob beschreiben könne, so Rüdiger Berger.

Daher wollen er und seine Kollegen etwa den Kontaktwinkel von Tropfen in Bewegung mit einem optischen Mikroskop genauer als mit der Kamera messen. „Wir wollen im Detail sehen, wie sich eine Flüssigkeit an einer Oberfläche verhält“, erklärt Berger. Dabei werden sie vermutlich auch besser erkennen, wie genau Rollen und Gleiten bei der Bewegung von Tropfen zusammenspielen. Zudem möchten die Physiker noch mehr Materialien untersuchen, auch biologische Oberflächen wie etwa Vogelfedern. „Eine Ente will Wasser möglichst schnell und mit möglichst wenig Kraft loswerden, wenn sie von einem Teich losfliegt“, erklärt Berger. Auch hier ist die Reibung zwischen Wasser und dem Federkleid entscheidend. Der Ente dürfte das Ergebnis einer entsprechenden Messung zwar ziemlich egal sein, aber Materialwissenschaftler könnten davon möglicherweise Anregungen für Oberflächen bekommen, an denen Flüssigkeiten reibungslos abgleiten.

CJM

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