Was Zellen in Form bringt
Irgendwann vor etwa vier Milliarden Jahren begann sich das Leben abzukapseln. Die ersten Zellen entstanden – geschützte Räume, die den Zusammenschluss komplexer Moleküle begünstigten. Petra Schwille vom Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried und Rumiana Dimova vom Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam loten Grenzen zellulären Lebens aus. Die beiden Forscherinnen untersuchen die Dynamik von Biomembranen.
Text: Elke Maier
Manchmal ist Leben eine Streitfrage. Zumindest dann, wenn es um dreieinhalb Milliarden Jahre alte Fossilien geht. Nachdem ein amerikanischer Paläontologe 1993 in Westaustralien mikroskopisch kleine Versteinerungen entdeckt hatte, diskutierten Experten jahrzehntelang, ob es sich dabei um die Überreste von Lebewesen handelte oder um mineralische Strukturen, die nur so aussahen wie Zellen.
Umso weniger verraten solche uralten Relikte darüber, wie aus unbelebter Materie die ersten Zellen hervorgingen und nach welchen Prinzipien die frühesten Lebensformen funktionierten. Ein Blick auf die heutige Lebewelt hilft auch kaum weiter: Nach Jahrmilliarden Evolution gibt es auf der Erde nirgends mehr Leben, das den allerersten Formen gleicht.
Wissenschaftler auf dem Gebiet der Synthetischen Biologie versuchen daher, den Funktionsprinzipien des Lebens im Labor auf die Spur zu kommen. Im Forschungsnetzwerk MaxSynBio haben sich dazu neun Max-Planck-Institute zusammengeschlossen mit dem Ziel, eine künstliche Zelle mit Minimalausstattung zu erschaffen, als kleinsten gemeinsamen Nenner des Lebens sozusagen. Die beteiligen Wissenschaftler befassen sich dabei mit unterschiedlichen Aspekten lebender Systeme – Energiezufuhr, Stoffwechsel und Bewegung ebenso wie Wachstum und Teilung.
„Wir versuchen, die Abläufe des Lebens in einzelne Module zu zerlegen und diese zu einem funktionierenden System zusammenzubauen“, sagt die Biophysikerin Petra Schwille, Direktorin am Martinsrieder Max-Planck-Institut für Biochemie und Koordinatorin von MaxSynBio. So wie auch ihre Kollegin Rumiana Dimova vom Potsdamer Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung untersucht sie die Mechanismen, die dafür sorgen, dass sich eine Zelle teilen und damit vervielfältigen kann. Im Fokus der Forscherinnen ist dabei die Zellhülle – jene dünne Membran aus flüssigen Fettmolekülen, welche die Zelle nach außen abgrenzt und die das Entstehen von Leben überhaupt erst ermöglichte.
Denn Leben ist das Ergebnis von chemischen Allianzen. Nur wenn sich zahllose Einzelbausteine in der richtigen Art und Weise zusammenlagern, können sich so komplexe Moleküle wie Proteine oder Nukleinsäuren überhaupt bilden. Dafür müssen die molekularen Partner einerseits in ausreichender Konzentration vorliegen, damit sie sich begegnen und verbinden können. Anderseits dürfen die ersten zarten Bande auch nicht gleich wieder auseinandergerissen werden, was in einer wässrigen Umgebung leicht der Fall wäre.
Ein geschützter Raum macht Leben möglich
Ein geschlossener Raum musste also her – ein Raum, wie ihn die ersten Zellen boten: „Die Zelle ist das, was Leben ausmacht“, sagt Petra Schwille, „anders ist Leben gar nicht denkbar.“ Entscheidend ist dabei die Hülle: Sie muss einerseits stabil sein und ausreichend Schutz bieten; andererseits aber auch flexibel, um Wachstum und Teilung zu ermöglichen, denn Leben braucht Vermehrung.
Die ersten Protozellen waren vermutlich einfache, wassergefüllte Bläschen aus Fettsäuren, die selbstreplizierende RNA-Moleküle enthielten. Moderne Zellen hingegen sind von einer Plasmamembran aus Phospholipiden mit eingelagerten Proteinen umgeben. Diese Hülle schafft einen geschützten Raum, in dem die zahllosen chemischen Reaktionen ablaufen, die Leben ausmachen; zusätzlich ermöglicht sie den gezielten Transport von Substanzen von außen nach innen und umgekehrt. Dabei ist sie mechanisch stabil und gleichzeitig hochflexibel, sodass die Zelle wachsen und sich teilen kann. „Omnis cellula e cellula“ – jede Zelle entsteht aus einer Zelle, schrieb im Jahr 1855 der Pathologe Rudolf Virchow.
Wie aber bringt man eine Zelle im Labor dazu, sich zu teilen? Und zwar so, dass zwei gleich große, lebensfähige Tochterzellen entstehen? Diese Frage beschäftigt Petra Schwille und ihre Arbeitsgruppe. Mithilfe der sogenannten Min-Proteine, die bei dem Darmbakterium Escherichia coli die Zellteilung steuern, möchten die Wissenschaftler diesen grundlegenden Vorgang nachstellen.
Gegenüber von Schwilles Büro im Martinsrieder Max-Planck-Institut befindet sich der Reinraum der Abteilung. Wer dort hinein will, muss zuerst über ein Schuhregal steigen, in dem ein Paar Plastikpantoffeln steht. Gleich hinter der Tür verstellt es den Weg ins nächste Labor, wohin kein Stäubchen gelangen darf. „Hier zieht man sich die Straßenschuhe aus“, sagt Petra Schwille. „Wir haben das Regal quergestellt, damit niemand einfach hineinläuft.“ In Gedanken versunken, könnte das sonst leicht passieren – und das nächste Experiment womöglich ruinieren.
Im Reinraum stehen ein Rasterelektronenmikroskop und mehrere Mikromanipulatoren, um damit winzige Kammern und feinste Kanälchen in Kunststoff- und Silikonplatten zu fräsen. In diesen nur wenige Tausendstel Millimeter großen Vertiefungen studieren die Forscher das Verhalten der Min-Proteine unter kontrollierten Bedingungen. Selbst kleinste Staubkörnchen würden die feinen Strukturen sofort verstopfen. „Die Min-Proteine orchestrieren die Zellteilung bei E. coli“, sagt Petra Schwille: „Sie zeigen der Zelle an, wo ihre Mitte liegt und damit die richtige Stelle, um sich zu teilen.“
In der stäbchenförmigen E. coli-Zelle strömen dazu die beiden Proteine MinD und MinE zwischen den beiden Zellpolen hin und her. Triebfeder für das unablässige Pendeln ist das Wechselspiel zwischen den beiden Proteinen: Sie lagern sich zu Komplexen zusammen, binden an die Zellwand und lösen sich wenig später als Reaktion auf bestimmte biochemische Signale wieder ab. Auf ihrem Weg durch die Zelle verbringen die Min-Proteine die kürzeste Zeit in der Zellmitte. Dadurch entsteht ein Konzentrationsgradient, der ein anderes Protein namens FtsZ in die Mitte dirigiert: „Nachdem die Min-Proteine die Mitte festgelegt haben, formt FtsZ an dieser Stelle einen zentralen Ring, der den tatsächlichen Teilungsprozess initiiert“, erklärt die Wissenschaftlerin. Ohne FtsZ können sich die Zellen nicht teilen und wachsen stattdessen immer weiter in die Länge.
Buntes Treiben in Kammern nach Maß
Die Zellteilungs-Proteine für ihre Experimente gewinnen die Martinsrieder Forscher direkt aus E. coli. Dafür züchten sie die Mikroben in Glaskolben und Petrischalen. Nachdem sie die Proteine aus den Zellen isoliert und aufgereinigt haben, heften sie daran winzige fluoreszierende Anhängsel, die unter UV-Licht leuchten. So können sie die Bewegungen der Proteine im Mikroskop live verfolgen.
Dafür geben die Wissenschaftler die Min-Proteine in die maßgeschneiderten Kammern und Kanälchen. Diese haben sie zuvor mit dünnen Lipid-Schichten ausgekleidet, um die Verhältnisse im Zellinnern nachzubilden. Mit solch einem künstlichen System ist es Petra Schwille und ihrer damaligen Doktorandin Katja Zieske im Jahr 2013 erstmals gelungen, die Min-Proteine auch außerhalb einer lebenden Zelle oszillieren zu lassen: Die Moleküle formen dabei kunstvolle Muster, und das allein mittels Selbstorganisation. Über die Form der Kammern können die Forscher diese Muster beeinflussen. Nach Zugabe des FtsZ-Proteins lässt sich in dieser artifiziellen Umgebung sogar das erste Stadium eines Teilungsrings erzeugen.
Das alles klappt mittlerweile auch in künstlichen Zellhüllen. Um diese herzustellen, verwenden die Forscher dieselben Phospholipide, die auch in der Plasmamembran moderner Zellen vorkommen. Jedes dieser Moleküle besitzt einen wasseranziehenden Kopf mit einer Phosphatgruppe sowie zwei wasserabstoßende Schwänze aus langen Kohlenwasserstoffketten. Um den entgegengesetzten Vorlieben gerecht zu werden, ordnen sich die Phospholipide gerne in Doppelschichten an – die Köpfe außen, die Schwänze innen. So liegen sie auch in der Zellwand als nur wenige Millionstel Millimeter dünne Doppelschicht vor.
In einem Wasser-Lipid-Gemisch formieren sich Phospholipide leicht zu kleinen Bläschen. Durch mechanische Bewegung, etwa beim Zentrifugieren, lässt sich der Prozess steuern. Das nutzt nicht nur die Industrie zur Herstellung von Liposomen als Transportvehikel für Kosmetika oder Medikamente. Auch die Martinsrieder Forscher stellen auf diese Weise ihre Lipidbläschen als Modelle für Protozellen her. Ausgangsbasis ist ein Wasser-Lipid-Gemisch mit darin enthaltenen Zellteilungs-Proteinen, die in die Bläschen eingeschlossen werden.
In diesen künstlichen Zellhüllen oszillieren die Min-Proteine ähnlich wie in lebenden Zellen, und auch der FtsZ-Teilungsring formiert sich. Diese Oszillationen, die einzig und allein durch Selbstorganisation zustande kommen, faszinieren Petra Schwille auch noch nach Jahren. „Unser nächstes Etappenziel ist es, die künstliche Zelle damit tatsächlich zur Teilung zu bewegen“, sagt sie. Dazu fahnden die Forscher noch nach weiteren Faktoren, die bei der Teilung eine Rolle spielen.
Dass im Prinzip auch schon simple physikalische Mechanismen ausreichen, um die Teilungsfähigkeit von Zellen zu beeinflussen, zeigt die Arbeit von Rumiana Dimova am Max-Planck-Institut für Kolloid- und Grenzflächenforschung in Potsdam. Die aus Bulgarien stammende Biophysikerin leitet eine Arbeitsgruppe in der Abteilung „Theorie und Bio-Systeme“ von Reinhard Lipowsky.
Derzeit hat die Wissenschaftlerin ein noch höheres Arbeitspensum als sonst, denn sie ist Herausgeberin und Mitautorin des Mammutwerks The Giant Vesicle Book, das noch in diesem Jahr erscheinen soll. Die Giants – zu Deutsch Riesenvesikel – sind spezielle, bis zu 100 Mikrometer (tausendstel Millimeter) große Lipid-Bläschen und für Rumiana Dimova das perfekte Modellsystem: Sie lassen sich nicht nur leicht herstellen und handhaben, sondern aufgrund ihrer Größe auch gut manipulieren und beobachten: So können die Forscher im Mikroskop direkt sehen, wie die Zellmembran etwa auf bestimmte chemische Stoffe oder elektrische Impulse reagiert.
Um die Riesenvesikel zu gewinnen, greifen Dimova und ihr Team meist auf fertige, im Laborbedarf erhältliche Phospholipide und Lösungen zurück. „Das ist sehr komfortabel, allerdings bekommt man auf diese Weise ein stark vereinfachtes Modellsystem“, sagt die Wissenschaftlerin. Werden für bestimmte Experimente Vesikel benötigt, die ihrem natürlichen Vorbild möglichst ähnlich sind, nutzen die Forscher daher lebende Zellen, die sie einer Mixtur aus unterschiedlichen Chemikalien aussetzen.
Der Chemie-Cocktail animiert die Zellen zur Bildung sogenannter Blebs – kleine Ausstülpungen der Zellwand, die wachsen und sich schließlich als Riesenvesikel abschnüren. Weil diese dieselben Substanzen enthalten wie die Zelle, von der sie stammen, eignen sie sich besonders gut als lebensnahes Modell. Die Potsdamer Forscher nutzen sie, um zu herauszufinden, wie sich physikalische Faktoren auf Form, mechanische Eigenschaften, Wachstum und Teilungsfähigkeit der Zellhülle auswirken. Dazu lenken sie den Blick ins Innere der Riesenvesikel.
Öltröpfchen in einer Salat-Vinaigrette
Eine lebende Zelle beherbergt in ihrem Innern unterschiedliche Organellen, die jeweils bestimmte Funktionen übernehmen: Die Ribosomen beispielsweise stellen Proteine her, die Mitochondrien sichern die Energieversorgung. Diese klassischen Organellen sind von einer oder sogar zwei Membranen umhüllt. Daneben gibt es in der Zelle aber auch membranlose Organellen: Kompartimente ohne feste Begrenzung, am ehesten vergleichbar mit den Öltröpfchen in einer Salat-Vinaigrette. In diesen Reaktionsräumen ohne feste Begrenzung konzentrieren sich etwa Proteine oder Ribonukleinsäuren (RNAs), sodass spezifische Reaktionen ablaufen können.
Das wahrscheinlich bekannteste aus der Gruppe dieser membranlosen Organellen ist der Nukleolus im Innern des Zellkerns, wo Bauteile für die Ribosomen produziert werden. Dieses sogenannte Kernkörperchen wurde bereits in den 1830er-Jahren beschrieben. Seither haben Forscher viele solcher flüssigen Kompartimente identifiziert. Manche davon existieren nur für kurze Zeit und lösen sich dann wieder auf. Man findet sie im Zellkern, im Zellplasma oder direkt auf der Innenseite der Zellhülle. „Die membranlosen Organellen zählen derzeit zu den Hot Topics in der Biophysik“, sagt Rumiana Dimova.
Wie entstehen solche flüssigen Strukturen im ebenfalls flüssigen Zellinnern und wie schaffen sie es, ihre Form zu wahren? Was passiert, wenn derartige Einschlüsse auf die Zellmembran treffen? Und welchen Einfluss hat das auf die Form der Zelle? Fragen wie diese sind bisher kaum untersucht, doch nimmt das Forschungsgebiet gerade mächtig Fahrt auf.
Die Potsdamer Wissenschaftler nutzen die Riesenvesikel, um in deren Innern die Bildung solcher membranloser Kompartimente zu simulieren: „Der Mechanismus dahinter ist Phasenseparation“, sagt Rumiana Dimova – derselbe Mechanismus, der bei einer gut durchmischten Salat-Vinaigrette dafür sorgt, dass sich Öltröpfchen herausbilden, sobald man sie abstellt und in Ruhe lässt. Um ein Zwei-Phasen-System zu kreieren, lassen die Forscher ihre Vesikel in einer Lösung wachsen, der sie zwei wasserlösliche Polymere – Polyethylenglykol (PEG) und Dextran – zugesetzt haben.
„Die Polymere werden in den Riesenvesikeln eingeschlossen“, erklärt die Wissenschaftlerin. „Anschließend erhöhen wir die osmotische Konzentration des umgebenden Mediums. Dadurch dringt das Wasser aus den Vesikeln durch die Membran nach draußen, und die Konzentration im Innern steigt. Die erhöhte Polymerkonzentration im Inneren führt dazu, dass sich dort zwei Phasen separieren: Es bilden sich zwei getrennte, im Mikroskop gut sichtbare Tröpfchen.
Rumiana Dimova und ihr Team untersuchen, wie diese mit der Zellmembran interagieren: Was passiert, wenn ein solches Tröpfchen auf eine Membran trifft? Bleibt es bei der bloßen Berührung oder kommt es zur Benetzung – dem sogenannten Wetting? „Auf die Dynamik der Membran, etwa deren Krümmungsverhalten, hat dies einen entscheidenden Einfluss“, sagt die Wissenschaftlerin.
Ein solches Zwei-Phasen-System bietet den Forschern sogar die Möglichkeit, die Zusammensetzung membranloser Organellen nachzustellen. Dazu lassen sie ihre Vesikel in einer Lösung wachsen, die – anstelle von PEG und Dextran – Biopolymere wie Proteine und RNA enthält. „Proteine und RNA sind die Hauptbestandteile membranloser Organellen“, so Dimova. „Und mögliche Berührungspunkte mit Membranen gibt es in der Zelle zuhauf – nicht nur an der Innenseite der Zellhülle, sondern etwa auch am Endoplasmatischen Retikulum.“ Dabei handelt es sich um ein membranumgrenztes, reich verzweigtes Kanalsystem, das mehr als die Hälfte aller zellulären Membranen ausmacht.
Ein Ballon, aus dem die Luft entweicht
Darüber hinaus lassen sich die Riesenvesikel sogar zur Teilung bewegen – allein dadurch, dass die Forscher die osmotische Konzentration außerhalb des Vesikels weiter erhöhen. Der Innendruck fällt infolgedessen so weit ab, dass die Tröpfchen auseinanderdriften, bis sie schließlich die Innenseite der Vesikelhülle berühren. Diese hat inzwischen jede Spannung verloren – ähnlich einem Ballon, dem die Luft entwichen ist. Dort, wo ein Tröpfchen die Membran benetzt, kann sich diese ausbuchten und als Vesikel abschnüren.
„Unsere Versuche zeigen, dass einfache physikalische Prozesse wie Phasenseparation und Wetting einen enormen Einfluss auf die Formgebung von Zellen und deren Organellen haben“, sagt Rumiana Dimova. Je nach lokaler Membranspannung oder -krümmung kann sich die Hülle nicht nur nach außen, sondern auch nach innen einstülpen. „Solche Abschnürungen ermöglichen es, Zellwandmaterial, das gerade nicht gebraucht wird, flexibel zu verstauen“, so die Wissenschaftlerin. Möglicherweise haben derartige Strukturen sogar evolutionär eine Rolle gespielt, als Vorläufer von membranumschlossenen Organellen wie dem Endoplasmatischen Retikulum.
Warum aber ist die Zellteilung in der Natur so kompliziert, wenn es doch auch einfacher geht? Wieso hat die Evolution ein so komplexes System wie das Min-System bei E. coli hervorgebracht? „Warum-Fragen sind in der Biologie noch schwieriger zu beantworten als in den anderen Naturwissenschaften“, sagt Petra Schwille. „Einen objektiven Grund, warum diese Art der Zellteilung besser sein sollte als jede andere, gibt es eigentlich nicht. Auf die Stäbchenform der Bakterien ist sie allerdings gut optimiert, und vermutlich haben die Oszillationen auch noch Nebeneffekte – sie könnten etwa helfen, bei die DNA gleichmäßig in die Tochterzellen zu verteilen. Aber sicher ist das nicht.“
Fest steht dagegen, dass das Auseinanderdividieren des Erbmaterials und die eigentliche Teilung der Zelle eine Schlüsselstelle auf dem Weg zu neuem Leben sind. Damit zwei lebensfähige Tochterzellen entstehen, müssen beide Prozesse perfekt aufeinander abgestimmt sein. Die exakte räumliche und zeitliche Koordination, die dafür notwendig ist, erfordert ein ausgeklügeltes System.
Wird es aber jemals möglich sein herauszufinden, wie sich die ersten Zellen von ihrer Umwelt abkapselten und wie die Zellteilung in Gang kam? Woher soll man wissen, was sich am Übergang von unbelebter zu belebter Materie tatsächlich abgespielt hat? Solche Einwände kontert Petra Schwille ganz pragmatisch: „Um die Grundprinzipien des Lebens zu verstehen, müssen wir uns nicht daran festbeißen, wie die ersten Zellen funktioniert haben“, schreibt sie in einem Essay. „Stattdessen sollten wir uns auf die grundlegenden Module lebender Systeme konzentrieren. Die ersten funktionierenden Fluggeräte, die Menschen gebaut haben, waren ja auch nicht aus Federn gemacht.“
AUF DEN PUNKT GEBRACHT
- Im Forschungsnetzwerk MaxSynBio haben sich neun Max-Planck-Institute zusammengeschlossen mit dem Ziel, eine künstliche Zelle mit Minimalausstattung zu schaffen. Wissenschaftler konzentrieren sich dabei auf die grundlegenden Mechanismen lebender Systeme wie Wachstum und Teilung.
- Bei dem Darmbakterium Escherichia coli wird die Zellteilung durch die sogenannten Min-Proteine gesteuert. Diese bilden innerhalb der Zelle einen Konzentrationsgradienten der anzeigt, wo die neue Zellwand eingezogen werden soll.
- Schon einfache physikalische Mechanismen wie Phasenseparation und Benetzung haben einen enormen Einfluss auf die Form, die mechanischen Eigenschaften, das Wachstum und die Teilungsfähigkeit von Zellen.
GLOSSAR
Organell: Abgrenzbarer Bereich innerhalb einer Zelle, dem eine bestimmte Funktion zugeordnet werden kann.
Plasmamembran: Biomembran, die jede heute lebende Zelle umgibt. Sie grenzt die Zelle zur Außenwelt hin ab und vermittelt gleichzeitig den Austausch; darüber hinaus erfüllt sie noch viele weitere Funktionen.
Protozellen: Vorläuferstrukturen der ersten Zellen. Aus ihnen sollen vor etwa vier Milliarden Jahren die ersten Lebensformen hervorgegangen sein.
Ribonukleinsäure (RNA): Einzelsträngiges Makromolekül, bestehend aus vier verschiedenen Stickstoffbasen, einem Zucker- und einem Phosphatrest. In der Zelle übernimmt RNA vielfältige Aufgaben. Sie ist unter anderem dafür zuständig, die Bauanleitung für die Proteine von der DNA im Zellkern an die Ribosomen zu übermitteln.
Wetting (Benetzung): Beschreibt das Verhalten von Flüssigkeiten beim Kontakt mit Festkörpern – in diesem Fall der Lipidmembran. Wetting beeinflusst die physikalischen Eigenschaften der Membran und hat damit Einfluss auf Form und Teilungsfähigkeit.