„Flugtaxis werden bald kommen“
Ballungszentren ersticken zusehends am Verkehr. Mit kleinen Fluggeräten etwa als Lufttaxis könnte der Personentransport daher vor allem in Megastädten in die dritte Dimension ausweichen, und zwar schon ab dem Jahr 2025. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Unternehmensberatung Horváth & Partners. Wir sprechen mit Heinrich H. Bülthoff, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik, über die aktuelle Studie, die Schritte, die zum individualisierten Flugverkehr noch nötig sind, und die Erkenntnisse aus dem myCopter-Projekt. In dieser EU-Forschungsinitiative hat ein Team um Heinrich Bülthoff von 2011 bis 2014 die Perspektiven für den individuellen Luftverkehr untersucht.
Herr Bülthoff, für wie realistisch halten Sie die Vorhersage, dass ab 2025 in den ersten großen Städten Menschen mit individuellen Fluggeräten transportiert werden.
Ich halte das für durchaus realistisch. Im großen Stil wird das bis dahin zwar wahrscheinlich noch nicht stattfinden. Aber ich denke, dass die ersten Feldversuche auf jeden Fall laufen werden. Und das wird sich dann langsam erweitern. Es gibt inzwischen 120 Firmen, die auf diesem Gebiet arbeiten. Uber ist da zum Beispiel extrem aktiv.
Wird diese Form der Mobilität dann nur denen zur Verfügung stehen, die sich heute schon mit dem Helikopter fliegen lassen?
So wie Uber sich das vorstellt, dass es Lufttaxis für jedermann geben wird, wird es am Anfang sicher nicht sein. Erst einmal wird es tatsächlich eher eine Möglichkeit für VIPs sein, zum Beispiel von einem Flughafen in die Stadt zu kommen, in Frankfurt arbeiten daran jetzt die Fraport AG und die Firma Volocopter. Wir haben für Frankfurt auch ähnliche Fragen untersucht. Langfristig werden die Kosten für Flugtaxis mit großen Stückzahlen dann sicherlich sinken, sodass mehr Menschen diese Transportmittel nutzen können.
Warum sollte der individuelle Personenverkehr zumindest teilweise in die Luft verlegt werden?
Wir geben unendlich viel Geld für den Straßenbau aus und verbrauchen sehr viel Fläche für Straßen. Außerdem stehen die Menschen gerade in den Ballungszentren immer länger im Stau. Ich bin deshalb auch dafür, mehr Geld in den Bahnverkehr zu stecken. Lufttaxis sind da eine weitere Alternative.
Sie forschen selbst schon seit den 2000er-Jahre daran, ob und wie ein individueller Flugverkehr möglich ist. Von 2011 bis 2014 gab es dazu sogar das europäische myCopter-Projekt. Wie waren die Reaktionen da?
Als ich Anfang der 2000er-Jahre gesagt habe, dass wir Lufttaxis vielleicht in 15 bis 20 Jahren erleben werden, bin ich noch belächelt worden. Das war auch noch so, als wir ein Nachfolgeprojekt für myCopter anleiern wollten und ich die großen Helikopter-Hersteller gefragt habe, ob sie nicht Interesse hätten mitzumachen. Aber da waren wir noch ein bisschen zu früh dran. Als das chinesisches Unternehmen Ehang dann 2016 sein Konzept für individuelle Fluggeräte auf der Consumer-Electronics-Messe in Las Vegas vorstellte, ist auch die Automobilindustrie darauf angesprungen.
Welche Erkenntnisse haben Sie im myCopter-Projekt gewonnen?
Wir haben gezeigt, dass individueller Transport in der dritten Dimension möglich ist. Dafür haben wir sowohl technische Fragen als auch Aspekte der Akzeptanz bearbeitet. Bei der Technik ging es zum Beispiel um Automatisierung und Mensch-Maschine-Schnittstellen, die wir gemeinsam mit der ETH, dem DLR und der Universität Liverpool untersucht haben und denen ich mich jetzt auch mit meiner Emeritus-Arbeitsgruppe widme.
Wird der Pilotenschein also den Führerschein ablösen?
Natürlich können wir nicht jeden Autofahrer zum Helikopterpiloten machen. Aber mithilfe von Automatisierung kann man das Fliegen sehr einfach machen. Unsere Studenten können inzwischen in zwei Stunden lernen, einen Helikopter zu steuern. Alleine um einen herkömmlichen Helikopter im Schwebeflug zu stabilisieren, brauchen angehende Piloten in der Regel zehn Stunden. Für einen Flugschein braucht man dann nochmal mindestens 40 bis 50 Stunden. Das ist sicherlich zu aufwendig und zu teuer, um die vielen notwendigen Lufttaxifahrer auszubilden. Mit den richtigen Mensch-Maschine-Schnittstellen und Automatisierung sollte das eher möglich sein.
Apropos Automatisierung: Werden die Fluggeräte langfristig überhaupt noch einen Piloten brauchen oder werden sie früher oder später autonom fliegen?
Das hofft Uber natürlich, weil sie dann keine Taxifahrer mehr brauchen. Obwohl man jetzt schon vollautonom fliegen kann, wird man am Anfang jedoch immer noch einen Piloten benötigen, weil sich ein Passagier sicher nicht in ein Lufttaxi setzen wird, wenn da vorne kein Pilot drinsitzt. Aber wenn die Leute mehr und mehr die Assistenzsysteme in Autos akzeptieren, wird es irgendwann auch autonome Fahrzeuge geben. Und dann werden im nächsten Schritt auch autonome Flugtaxis kommen. Volocopter ist inzwischen in Dubai sogar schon autonom geflogen und plant jetzt auch Versuche in Singapur. Und auch in den USA haben einige Metropolen Interesse angemeldet, solche Feldversuche zu machen.
Welche technischen Verbesserungen sind noch notwendig, um der Technik zum Durchbruch zu verhelfen?
Weil alle derzeit geplanten Fluggeräte voll elektrisch oder hybrid betrieben werden, ist die Reichweite durch die Batterietechnik sehr limitiert. Und Lärm ist auch noch ein Thema. Multikopter zum Beispiel sind zwar leiser als ein Helikopter, aber ob das leise genug ist, weiß ich nicht. Ich denke, dass die Technik in diesen Punkten noch weiterentwickelt werden muss. Aber da fließt gerade sehr viel Geld rein. Daher bin ich zuversichtlich, dass Flugtaxis bald kommen werden.
Sie haben die Akzeptanz bereits angesprochen. Diesen Aspekt haben Sie auch im myCopter-Projekt untersucht. Was ist dabei herausgekommen?
Wir haben dazu Menschen in Liverpool, Tübingen und Zürich befragt, weil wir dort den Leuten in Fokusgruppen in Simulatoren das Gefühl geben konnten, wie es ist, zur Arbeit zu fliegen. Dann haben wir die Teilnehmer gefragt, was sie davon halten würden. Da kamen große Unterschiede raus. In Liverpool gab es die Leute, die jeden Morgen im Stau stehen, weil sie über eine Brücke müssen. Die konnten in der Simulation einfach über die Brücke fliegen und fanden das ganz toll. In Zürich haben viele gesagt: Wir haben schon eine super Infrastruktur hier, aber die kommt auch an ihre Grenzen. In der Rush Hour können wir uns einen individuellen Luftverkehr vorstellen, aber nicht am Wochenende. Da möchten wir auf dem Balkon sitzen und nicht etwas über den Balkon fliegen sehen. Das ist auch eine Frage der Privatsphäre. Um die Akzeptanz in dieser Hinsicht zu verbessern, könnte man Flugkorridore über den Autobahnen einrichten, wo es den Verkehr ohnehin schon gibt.
Und wie haben die Menschen in Tübingen reagiert?
Eher ablehnend. Viele hier haben gesagt, es könne nicht effizient sein, in der Luft zu sein. Aber die Fluggeräte, die derzeit entwickelt werden, werden alle elektrisch betrieben. Wenn der Strom dann auch aus regenerativen Quellen kommt, kann das durchaus effizient und nachhaltig sein. Der Lärm war auch ein großes Thema. Wir haben aber damals schon gesagt, dass ein persönliches Fluggerät zunächst wahrscheinlich nicht in der Innenstadt abheben kann. Dann müsste man Park-and-Fly Plätze einrichten, so wie es heute Park-and-Ride gibt. Schließlich gab es die Angst, dass den Menschen etwas auf den Kopf fällt.
Ist diese Angst völlig unbegründet?
Es ist schon interessant, wie schlecht die Menschen Wahrscheinlichkeiten wahrnehmen. Die 3000 Verkehrstoten, die wir pro Jahr haben, akzeptieren wir. Das Unfallrisiko ist in der Luft aber viel niedriger als auf der Straße, weil ein Lufttaxi einem Hindernis nicht nur seitlich, sondern auch nach oben und unten ausweichen kann. Außerdem können wir etwas Entsprechendes wie die automatische Kommunikation zwischen Autos im Luftverkehr einfach fordern und einsetzen. Dagegen wird es auf den Straßen in den nächsten Jahrzehnten immer noch Autos geben, die diese Car-to-Car-Kommunikation nicht haben.
Was passiert, wenn ein Flugtaxi eine Panne hat?
Man kann ein persönliches Fluggerät zwar nicht einfach abstellen, wie ein Auto am Straßenrand stehen bleibt, wenn der Motor versagt. Aber die neuen Konzepte für Lufttaxis sehen extrem viel Redundanz vor, sodass man auch noch ein Notlandefeld anfliegen kann, wenn es nötig wird. Unser Partner an der EPFL Lausanne hat sogar schon untersucht, wie sich solche Landeplätze automatisch erkennen lassen.
Die Akzeptanz hängt auch von der Klärung in Rechtsfragen etwa im Versicherungsfall ab. Diese Probleme sind noch nicht einmal für das autonome Fahren gelöst. Wie könnte man damit im individuellen Luftverkehr umgehen?
Ich glaube, Uber zum Beispiel wird für Schadensfälle Rücklagen bilden oder mit Versicherungsgesellschaften verhandeln, und dann wird das einfach bezahlt.
Unklar ist auch noch die Frage der Regulierung: Im Luftverkehr gibt es sehr strenge Regeln. Stehen die dem individualisierten Fliegen nicht entgegen?
Die Regulierungsfrage haben wir immer für das größte Hindernis gehalten. Aber auch da passiert sehr viel. Die FAA, die Luftfahrtbehörde der USA, und auch die zuständigen Behörden in Europa sind neuen Konzepten gegenüber inzwischen relativ offen. Probleme mit der Regulierung gibt es noch mit den Landeplätzen in der Stadt, deshalb werden die am Anfang wahrscheinlich eher am Rand der Stadt liegen.
Das Interview führte Peter Hergersberg.