Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für Nachhaltige Materialien GmbH
Entwicklung nachhaltiger Legierungen für anspruchsvolle Einsatzbedingungen
Salzige und feuchte Seeluft, Wetterschwankungen und extreme Temperaturen: Unter diesen unwirtlichen Bedingungen generieren Offshore-Windkraftanlagen umweltfreundlich Strom. Doch die Windräder verschleißen und korrodieren nach geraumer Zeit und müssen nach rund 20 Jahren ausgewechselt werden. Eine kostspielige Angelegenheit. Ähnlichen Herausforderungen müssen Rohre in Biomassekraftwerken, Flugzeugtriebwerke oder Kompressorschaufeln in Dampfturbinen standhalten. Um die Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit dieser Anwendungen zu erhöhen, braucht es daher robuste Materialien, die sich zugleich kostengünstig herstellen lassen. An der MPI für Eisenforschung GmbH (MPIE) haben wir Legierungen entwickelt, die genau diesen Anforderungen entsprechen.
Aus der Erdkruste zur Flugzeugturbine
Als besonders nachhaltig erweisen sich hierbei Legierungen auf Basis von Eisen und Aluminium, die zwei am häufigsten vorkommenden Metalle in der Erdkruste. Fügt man diese Substanzen in bestimmten Mengenverhältnissen zusammen, so bilden sich als intermetallische Phasen bezeichnete Verbindungen, die Eisenaluminide. Diese Legierungen zeichnen sich durch mehrere für die Industrie besonders interessante Eigenschaften aus: Sie sind sehr korrosionsbeständig, haben eine hohe Verschleißfestigkeit und sind aufgrund ihrer geringen Dichte besonders leicht. Außerdem benötigen sie keine zusätzlichen teuren Legierungselemente, um die Werkstoffeigenschaften zu verbessern, und lassen sich mit herkömmlichen Prozessrouten wie Gießen, Walzen und Schmieden herstellen [1].
Zwar gibt es Eisenaluminid-Legierungen bereits seit den 1930er Jahren, und wesentliche Anwendungen etwa für Industrieöfen, Turbinen oder in der chemischen Industrie wurden auch schon in den 50er Jahren getestet. Doch diese Legierungen hatten neben ihren vielen Vorzügen einen entscheidenden Nachteil: Bei hohen Temperaturen waren sie nicht fest genug. Deshalb ließen sich solche Legierungen bisher nicht in Flugzeugtriebwerken, Biomassekraftwerken oder als Bremsscheiben in Windkraftanlagen nutzen.
Es fehlte schlicht an Konzepten, diese Materialien so zu entwerfen, dass sie auch bei hohen Temperaturen von über 700°C nicht an Festigkeit verlieren. An der MPI für Eisenforschung GmbH haben wir unsere neuen Legierungen so konzipiert, dass sie alle wichtigen Eigenschaften verbinden und sich dabei zugleich gut bei hohen Temperaturen einsetzen lassen. Unterstützt durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) arbeiten Siemens, Rolls Royce Deutschland, Leistritz Turbinentechnik und Otto Junker zusammen mit dem MPIE, dem Karlsruher Institut für Technologie und dem mit der Rheinisch-Westphälische Technische Hochschule Aachen (RWTH) assoziierten Forschungszentrum Access zusammen, um unsere Legierungen für industrielle Prozesse und Anwendungen zu optimieren.
Hohe Festigkeit bei hohen Temperaturen
Dazu forschen wir an Prozessen, mit denen sich das Gefüge eines Werkstoffs gezielt beeinflussen lässt. Denn wie seine verschiedenen Bestandteile räumlich angeordnet sind, welches Volumen und welche Form sie einnehmen und wie die Grenzflächen zwischen den verschiedenen Bestandsmaterialien beschaffen sind, bestimmt wesentlich die Werkstoffeigenschaften. Über das Legierungsdesign lässt sich kontrollieren, wie die einzelnen Phasen im Werkstoffgefüge entstehen und wie sie sich verteilen. Wir können beispielsweise die Eigenschaften des Produkts für unterschiedliche Anwendungen so maßschneidern, dass es sich für den Einsatz bei hohen Temperaturen eignet und zugleich mechanisch stark belastbar ist [2].
Die mechanische Festigkeit einer Legierung bei hohen Temperaturen lässt sich dadurch erreichen, indem man sie so konzipiert, dass sich kontrolliert nanometer-kleine Ausscheidungen bilden. Solche nanoskaligen Ausscheidungen entstehen, wenn ein Legierungselement im festen Zustand nur beschränkt löslich ist und die Löslichkeit mit fallender Temperatur abnimmt. Thermodynamisch ist es möglich, Art und Verteilung der Ausscheidungen so zu steuern, dass diese beispielsweise nur an Korngrenzen oder aber fein verteilt im Gefüge angeordnet sind. Mit dem entsprechenden Grundlagenwissen lässt sich so die Verteilung der Ausscheidungen über das industrielle Prozessieren der Legierung beeinflussen und damit die Eigenschaften bauteilgerecht anpassen.
Welches Legierungskonzept für welche Prozessroute?
Bei Bauteilen, die wir im Guss herstellen, können wir neben der Zusammensetzung die Abkühltemperatur so regulieren, dass sich entlang der Korngrenzen feine Ausscheidungen aus Borverbindungen gleichmäßig anlagern. Dadurch wird ein Bauteil insbesondere bei tiefen Temperaturen leichter verformbar. Diese Eigenschaft ist gerade dann wichtig, wenn die Materialien später regelmäßig größeren Temperaturunterschieden ausgesetzt sind. So heizen sich etwa Bremsscheiben für Windkraftanlagen an der Oberfläche auf bis zu 900 °C auf, wenn der Rotor abbremst.
Andere Bauteile wie Turbinenschaufeln, die mechanisch hoch belastet sind, lassen sich am besten durch Schmieden herstellen. Hier kombinieren wir gezielt Schmiedetemperatur und Umformgrad und unterziehen das Produkt gegebenenfalls noch einer gesonderten Wärmebehandlung, so dass innerhalb der Legierung eine zusätzliche, fein verteilte Metallverbindung entsteht, die den Bauteilen die gewünschte Festigkeit verleiht.
Kostengünstig und nachhaltig
Die Industrie rechnet mit Einsparungen im zweistelligen Prozentbereich, wenn vergleichsweise teure Nickel-Chrom-Stähle oder noch kostspieligere Nickel-Basislegierungen gegen unsere Eisenaluminid-Legierungen ausgetauscht werden. Und was noch viel wichtiger ist: Unsere Legierungen sind durch ihre hohe Verschleißfestigkeit und Korrosionsbeständigkeit auch langlebiger. Zudem sind sie recyclebar und leichter. Momentan arbeiten wir mit unseren Projektpartnern daran, die optimalen Legierungskonzepte für die verschiedenen Prozessrouten festzulegen. Neben unserem Knowhow in Sachen Legierungen sind die am MPIE verfügbaren, hochauflösenden Charakterisierungsmethoden entscheidende Faktoren für unsere kooperierenden Industriepartner.
Somit bieten die am MPIE entwickelten Eisenaluminid-Legierungen eine kostengünstige und nachhaltige Alternative zu hochlegierten Stählen und Nickel-Basislegierungen, vor allem wenn es um den Einsatz bei hohen Temperaturen in harschen Umgebungen geht [3].