Protein-Kanülen für die Medizin
Wirkstoffe könnten sich eines Tages mit Hilfe bakterieller Gifte in Zellen einschleusen lassen
Sobald sie in den Wirtsorganismus gelangt sind, setzten die Bakterien ihren todbringenden Injektionsapparat ein. Wie die Kanüle einer Spritze stößt dann ein Kanal durch die äußere Schutzschicht der Wirtszelle. Anschließend wird das von einer Kapsel umhüllte giftige Protein injiziert und greift das Zellskelett an. Die Zelle stirbt innerhalb von wenigen Minuten.
Aufklären konnte Raunsers Team diesen tödlichen Mechanismus mit der Kryo-Elektronenmikroskopie, einer Technik, die nur von wenigen Forschungsgruppen weltweit beherrscht wird. Sie ermöglicht es, feinsten Strukturen von Biomolekülen sichtbar zu machen.
Injektion in die Zelle
Nun haben die WissenschaftlerInnen um Stefan Raunser einen Weg gefunden, das Gift in der bakteriellen Nanospritze durch andere Proteine auszutauschen und diese dann in Zellen zu injizieren. Damit der Austausch funktioniert, müssen die Proteine aber bestimmte Kriterien erfüllen: Sie müssen eine bestimmte Größe haben, positiv geladen sein und dürfen nicht mit der Giftkapsel wechselwirken. „Damit haben wir den ersten Schritt auf dem Weg zu unserem großen Ziel gemacht, diese Nanospritzen in der Medizin einzusetzen, um so Medikamente gezielt in Körperzellen einzuschleusen“, beschreibt Raunser den Forschungserfolg.
Um die giftige Ladung in die Wirtszelle schleusen zu können, muss der Injektionsapparat aber zunächst an die Zelle andocken. Die Bakterien wenden eine List an: Sie gaukeln der Wirtszelle vor, der Apparat sei ein Stoff, der gefahrlos aufgenommen werden kann. Dafür befinden sich darauf Bereiche, die von Sensoren auf der Zelloberfläche erkannt werden.
„Im Moment suchen wir nach diesen Andockstellen für das Gift. Wenn wir sie gefunden haben und die Bindung des Gifts an die Zelloberfläche verstehen, wollen wir den Injektionsapparat gezielt verändern, sodass er Krebszellen erkennen kann. Wie bei dem Trick mit dem Trojanischen Pferd, könnte man so ein Killerprotein ausschließlich in Tumorzellen einschleusen. Dies würde völlig neue und nebenwirkungsarme Möglichkeiten in der Krebsmedizin eröffnen“, blickt Raunser in die Zukunft.