Forschungsbericht 2020 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, Teilinstitut Hannover
Einstein@Home entdeckt Schwarze-Witwe-Pulsar
Neutronensterne
Wenn einem Stern zum Ende seines Lebens der Brennstoff ausgeht, stößt er seine äußeren Schichten in einer Supernova-Explosion ab. Sein Kernbereich hingegen fällt unter der eigenen Schwerkraft in sich zusammen. Ist der ursprüngliche Stern nicht zu massereich, entsteht aus dem Kern ein Neutronenstern. Diese Objekte bestehen aus extrem dichter und teilweise exotischer Materie, haben Durchmesser von rund 20 Kilometern und sind schwerer als die Sonne.
Mehr als 2800 Neutronensterne wurden bisher als Pulsare entdeckt. Rotierende Neutronensterne senden von ihren magnetischen Polen gebündelte Strahlung über weite Teile des elektromagnetischen Spektrums aus. Rotiert der Neutronenstern und überstreichen seine Strahlungsbündel die Erde, blinkt er aus irdischer Perspektive wie ein kosmischer Leuchtturm. Die große Mehrheit der bekannten Pulsare ließ sich im Radiobereich aufspüren. Doch bei mittlerweile 250 Pulsaren gelang dies auch anhand ihrer hochenergetischen Gammastrahlung.
Gammapulsare
Für die Beobachtung von Gammapulsaren kommen Daten des Gammateleskops an Bord des Fermi-Satelliten der NASA zum Einsatz. Mit einer relativ kleinen Sammelfläche von nur einem Quadratmeter empfängt es von typischen Gammapulsaren nur einmal pro Tag ein Photon. Das Blinken im Gammabereich zu finden, ist daher sehr aufwändig, wenn vorab nicht bereits aus Radiobeobachtungen bekannt ist, wie schnell der Pulsar rotiert. Der Grund: typische Pulsare drehen sich in der Zeit zwischen der Messung zweier Gammaphotonen durch das Gammateleskop millionenfach um die eigene Achse. Zudem ändert sich der Abstand zwischen Erde und Pulsar durch die Bahnbewegung der Erde um die Sonne. Durch diese Abstandsänderungen und die endliche Lichtgeschwindigkeit verändert sich der Zeitraum zwischen zwei eintreffenden Pulsen. Hat der Pulsar einen Begleitstern, verkompliziert die daraus resultierende Eigenbewegung des Pulsars mit denselben Folgen wie die Erdbewegung die Suche weiter.
Um einen solchen Gammapulsar mit Begleitstern zu entdecken, müssen wir die Eigenschaften bestimmen, die den Neutronenstern und das Doppelsternsystem beschreiben. Dafür haben wir neue Methoden entwickelt, mit denen sich diese Parameter systematisch und möglichst recheneffizient durchtesten lassen. Können wir den Begleitstern im sichtbaren Licht beobachten, so lassen sich die Suchbereiche für einige Parameter zusätzlich vorab eingrenzen.
Schwarze-Witwen-Pulsare
In engen Doppelsternsystemen erhitzen die Pulsare durch ihre starke Strahlung manche Begleitsterne stark auf der ihnen zugewandten Seite. Dadurch verdampft Material von der Oberfläche des Begleiters, der sich dadurch langfristig vollständig auflösen kann. Daher stammt auch der Spitzname solcher Objekte: Schwarze-Witwe-Pulsare. Schwarze Witwen sind Spinnen, deren größeres Weibchen nach der Paarung das Männchen tötet und verspeist.
Dass der Pulsar-Begleiter einseitig heißer ist, lässt sich mit Teleskopen im sichtbaren Licht beobachten und dazu nutzen, bestimmte Eigenschaften des Doppelsterns wie die Umlaufdauer zu messen.
Hinter einer seit 20 Jahren bekannten Gammastrahlen-Quelle in Richtung des Sternbilds Schlangenträger wurde seit langem ein Doppelstern mit Pulsar vermutet. Deswegen gab es genau solche Beobachtungen optischer Teleskope mit deren Hilfe wir unsere Suche in den Fermi-Daten auf bestimmte Bereiche einschränken konnten. Dennoch mussten wir noch 1017 (also Hundert Millionen Milliarden) verschiedene Parameter-Kombinationen ausprobieren, um mögliche Pulsationen aufzuspüren.
Einstein@Home
Eine solche Suche würde auf einem normalen Computer selbst im günstigsten Fall immer noch mehr als 50 Jahre dauern. Deshalb nutzten wir die immense Rechenleistung des freiwilligen verteilten Rechenprojekts Einstein@Home. Hier wird brachliegende Rechenzeit auf Heimcomputern genutzt. Die Suche wird dazu in kleinere Datenpakete unterteilt, die dann die Heimcomputer der Freiwilligen durchführen. Mit diesem weltweit verteilten Supercomputer war unsere Suche binnen knapp zwei Wochen erledigt (Abbildung 1).
Ein außergewöhnlicher Pulsar
Der Neutronenstern PSR J1653-0158, den wir in dieser Suche gefunden haben, und das Doppelsternsystem in dem er sich befindet, sind in vielerlei Hinsicht besonders (Abbildung 2). Zusammen mit Beobachtungen des Begleitsterns im sichtbaren Licht und dem Studium des Pulsars anhand seiner Gammastrahlung konnten wir viele Eigenschaften ermitteln. Der Pulsar dreht sich mehr als 500-mal pro Sekunde um die eigene Achse und weist eine Masse auf, die doppelt so groß ist wie die unserer Sonne. Der langsam verdampfende Begleiter besitzt nur etwa ein Prozent der Sonnenmasse, ist aber sechsmal dichter als Blei. Dieses sehr ungleiche Paar umkreist sich in nur 75 Minuten und damit schneller als alle vergleichbaren Systeme. Weiterhin konnten wir aus den Langzeitbeobachtungen ableiten, dass das Magnetfeld des Pulsars zwar vielfach stärker als alle künstlich auf der Erde hergestellten Magnetfelder, für einen Neutronenstern aber außergewöhnlich schwach ist.
Suche nach Radiowellen
Nachdem wir den Gammapulsar auf diese Weise genau charakterisiert hatten, suchten wir erneut und sehr gründlich nach Radiostrahlung. Doch obwohl wir einige der größten und empfindlichsten Radioteleskope nutzten, konnten wir keine Radiowellen nachweisen. Der wahrscheinlichste Grund dafür ist, dass das vom Begleitstern abgedampfte Material die Radiowellen verschluckt. Für die hochenergetische Gammastrahlung hingegen stellt es kein Hindernis dar.
PSR J1653-0158 ist erst der zweite schnell rotierende Pulsar, der sich nicht im Radiobereich beobachten lässt. Seine Entdeckung legt nahe, dass es weitere spannende Pulsare wie diesen in unserer Galaxis gibt, die wir nur anhand ihrer Gammastrahlung entdecken können. Wir sind daher zuversichtlich, dass wir zukünftig mit unseren Methoden weitere bislang unerkannte Pulsare in Doppelsternsystemen finden werden.