Die Signatur des Geschmacks
Ein Start-up in Martinsried entwickelt eine neue Technologie für die Getränke- und Lebensmittelindustrie. Anhand von Whisky wird die Anwendung geprüft
Text: Barbara Abrell
Ein Verschnitt von Whiskys aus verschiedenen Fässern, das Blending, ist eine Kunst für sich. Whisky-Blender sind Koryphäen ihrer Zunft. Wie Maler Farben mischen, um Stimmungen auf die Leinwand zu bannen, so kombinieren die Experten in Destillen Geschmacksrichtungen, um „flüssiges Gold“ zu kreieren. Sie folgen hierbei ihrer Intuition, die auf Erfahrung und einem ausgeprägten Geschmacks- und Geruchssinn beruht.
Obwohl zahlreiche Duft- und Geschmacksstoffe gemessen werden können, ist das technische Erfassen eines vielfältigen Geschmacks – wie dem von Whisky – heutzutage nicht möglich. Das Start-up „Harmonize“, das am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried angesiedelt ist, will diese Lücke schließen und eine neue Technologie für die Getränke- und Lebensmittelindustrie zur Anwendungsreife bringen. „Ziel ist dabei nicht, die menschliche Leistung zu ersetzen, sondern der Industrie ein Werkzeug an die Hand zu geben, Geschmack zu optimieren, die Qualität zu sichern oder neuartige Produkte zu entwickeln“, sagt Christoph Wichmann, Physiker und Geschäftsführer des jungen Teams.
Geschmack ist individuell
Der Geschmack von Whisky wird durch viele Faktoren bestimmt: Da sind zum einen die Gerste und das verwendete Wasser, die Grundprodukte des schottischen Nationalgetränks. Aber auch die Art des Mälzens, die Destillation und die verwendeten Fässer entscheiden maßgeblich mit, ob ein Whisky mundet oder nicht. Während manche Leute ein torfiges Aroma präferieren, schätzen andere beispielsweise eine fruchtige Note.
Die Anzahl und die Kombination der Moleküle, die an die Chemorezeptoren in Mund und Nase andocken und damit das Geschmacksempfinden beeinflussen, sind nicht genau bekannt; man schätzt sie auf mehrere Hunderttausend. Um diese messbar zu machen, nutzt das „Harmonize“-Team, das aus drei Wissenschaftlern und einer Produktmanagerin besteht, Technologien, die ihnen aus ihrer Forschung vertraut sind: Massenspektrometrie und künstliche Intelligenz.
Das Massenspektrum hilft ihnen dabei, bei bekannter Ladung die Masse von Molekülen zu bestimmen. „Dabei kommt es nicht darauf an, um welche Moleküle es sich konkret handelt, sondern um die einzigartige Signatur des Whiskys“, sagt Hamid Hamzeiy, der die Datenverarbeitung und -analyse verantwortet. Ein neuartiges Softwaretool, das sich Methoden der künstlichen Intelligenz bedient, soll dabei helfen, die Moleküle quantitativ zu erfassen.
Ein Whisky, der hält, was er verspricht
Der Bioinformatiker Hamid Hamzeiy hatte die Idee, Whisky als Proof of Principle zu verwenden, bei einem Symposium in Schottland. Zusammen mit Daniil Pokrovsky hatte er sich eine teure Flasche Whisky gekauft. „Trotz des hohen Preises waren wir vom Geschmack enttäuscht“, so Pokrovsky. „Ein teures Produkt sollte auch halten, was es verspricht.“
Um diesem Ziel näher zu kommen, arbeitet das „Harmonize“-Team eng mit dem größten deutschen Whiskyproduzenten zusammen, der ihnen die Proben für ihre Messungen zur Verfügung stellt. „Alle diese Proben, die in unterschiedlichen Fässern reifen, haben etwa 55 bis 60 Prozent Alkoholgehalt“, sagt Hans Kemenater, der Geschäftsführer der Slyrs-Destillerie. Bei 3500 Fässern, welche alle ihre eigene Charakteristik haben, erhofft er sich Anregungen, welche Whiskys gemischt werden können, um gleichbleibende Qualität zu gewährleisten.
An Whisky wollen Christoph Wichmann, Hamid Hamzeiy, Daniil Pokrovsky und Paulyna Mendoza Quintero beweisen, dass ihre Technologie funktioniert. Mittelfristig ist geplant, das Geschäft auch auf andere Getränke und Lebensmittel auszuweiten. „Wir sind überzeugt, dass hierfür ein sehr großes Potenzial besteht“, so die Marketing-Expertin Mendoza Quintero.
Dass es dabei auch ein Risiko eingeht, ist dem Team bewusst. Aber sie wissen, worauf sie sich einlassen. „Die Freiheit, neue Wege einzuschlagen, reizt mich“, sagt Christoph Wichmann. So sieht es auch Daniil Pokrovsky. Nach seinem Postdoc hatte er gute Angebote aus der Wissenschaft und Industrie. Er entschied sich jedoch für den Weg in die Selbstständigkeit. Aber ja, „I am damn scared“, sagt der junge Wissenschaftler. Das Team gebe ihm jedoch Sicherheit.
„Ein gutes Netz von Unterstützern ist ein wichtiger Erfolgsgarant“, sagt Christoph Wichmann. So wird „Harmonize“ von Max-Planck-Innovation und der Max-Planck-Förderstiftung beraten. Jürgen Cox vom Max-Planck-Institut für Biochemie ist wissenschaftlicher Mentor, Experten aus der Whiskyindustrie helfen beim Markteintritt. Seit September 2021 wird das „Harmonize“-Team über den Exist-Forschungstransfer gefördert. Ein schöner Erfolg, der ihnen erstmals Planungssicherheit ermöglicht.