Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, Teilinstitut Hannover
Gravitationswellen im All beobachten: LISA auf der Zielgeraden
Observing gravitational waves in space: LISA on the home stretch
Drei Jahrzehnte Planung und Entwicklung
Der ersten Ideen für die Messung von Gravitationswellen im All stammen aus den 1970er und 1980er Jahren. Das moderne Konzept hat seine Wurzeln im Jahr 1993 in einem Vorschlag europäischer Forschender unter Leitung von Karsten Danzmann, heute Direktor am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik. Zusammen mit ähnlichen Planungen in den USA wurde daraus die „Laser Interferometer Space Antenna“ (LISA), die die europäische Raumfahrtagentur ESA im Jahr 1995 in ihr Programm „Horizon 2000 Plus“ aufnahm. Bis zum heutigen Stand kurz vor der Umsetzung war es noch ein langer Weg.
Verschiedene Systemstudien und Untersuchungen der zugrundeliegenden Technologie führten 2007 zur Aufnahme von LISA als Kandidatenmission in das „Cosmic Vision Program“ der ESA. So war LISAs Weg zu einer der drei großen ESA-Missionen der „L-Klasse“ eröffnet. Nach dem kostenbedingten Rückzug der NASA aus dem Projekt im Frühjahr Jahr 2011 wurde das Konzept als kleinere, rein europäische Mission umgestaltet. Neben Änderungen des Aufbaus gab es zweimal Umbenennungen: zuerst in „Next Gravitational-wave Observatory“ (NGO) und dann in „eLISA“ (das „e“ stand für „evolved“).
Im Jahr 2013 wählte das Science Programme Committee (SPC) der ESA das „Gravitational Universe“ als wissenschaftliches Ziel für eine der L-Missionen aus – zu diesem Zeitpunkt mit eLISA als möglichem Missionskonzept. Während in den folgenden Jahren die Mission weiter entwickelt wurde, startete die Demonstrationsmission LISA Pathfinder Ende 2015 ins All. Bis Mitte 2017 bewies sie, dass die für LISA erforderlichen Schlüsseltechnologien (Trägheitssensoren, Laser-Messsystem, berührungsfreies Kontrollsystem und ein extrem präzises Antriebssystem) funktionieren und die LISA-Anforderungen bei weitem übertreffen – der nächste Schritt war getan.
LISA als L3-Mission der ESA
Im Juni 2017 wählte das SPC LISA – nun wieder unter dem ursprünglichen Namen und unter Beteiligung der NASA – als dritte große Mission (L3) im Cosmic-Vision-Plan der ESA aus und läutete damit die Phase des Missionsdesigns und der Kostenevaluation ein.
Bereits im Januar 2018 bestand LISA die „Mission Definition Review“ mit Bravour. Sie hatte zuvor eine Reihe verschiedener Prüfverfahren erfolgreich durchlaufen, die sicherstellen, dass die Mission in ihrer Gesamtheit zweckmäßig, ausgereift und ihre Komponenten aufeinander abgestimmt sind.
Im Frühjahr 2022 schließlich erreichte LISA den nächsten entscheidenden Meilenstein. In der „Mission Formulation Review“ prüften Fachleute von ESA, NASA sowie aus Wissenschaft und Industrie die geplante Mission auf Herz und Nieren und gaben grünes Licht für die nächste Entwicklungsphase: Die Mission ist durchführbar und ihre Technologie und Planung sind ausgereift.
In der aktuellen Phase bestätigen die beteiligten Länder und internationalen Partner ihre Zusagen. Zudem werden die Missionsanforderungen und deren Überprüfung definiert, um Ende 2023 in die „Adoption“ zu gehen. Dabei übernimmt die ESA die Mission vom LISA-Konsortium.
Das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik ist seit jeher federführend bei LISA. Das Teilinstitut Hannover leitet die Entwicklung des interferometrischen Messsystems und baut es gemeinsam mit internationalen Partnern; dessen Herzstück, das Phasenmeter, wird direkt am Teilinstitut entwickelt. Das Institut ist zudem in zahlreichen und umfangreichen Teilprojekten und Arbeitspaketen der optischen Meteorologie federführend. Es betreibt die weltweit größten Labore für die bei der LISA-Mission genutzte Interferometrie.
Gravitationswellen-Messung im All
LISA als einzigartiges Observatorium im All wird auf der Erde nicht messbare Gravitationswellen beobachten. Irdische Anlagen wie LIGO, Virgo, KAGRA und der deutsch-britische Detektor GEO600 bei Hannover beobachten seit 2015 wie die Raumzeit vibriert, wenn Schwarze Löcher und Neutronensterne kollidieren. Auf der Erde lassen sich nur Gravitationswellen vergleichsweise hoher Frequenzen (im Audiobereich zwischen ca. 10 Hz und einigen Kilohertz) beobachten. Deutlich langsamere Schwingungen bleiben aufgrund der irdischen Seismik und der zu geringen Größe unseres Planeten unmessbar
Im All – fernab von irdischen Störungen und mit viel Platz – soll LISA aus drei Satelliten bestehen, die der Erde auf ihrer Bahn um die Sonne im Abstand von rund 50 Millionen Kilometer folgen. Sie spannen dabei ein nahezu gleichseitiges Dreieck mit einer Kantenlänge von 2,5 Millionen Kilometer auf. Durch hin- und herlaufendes Laserlicht überwacht LISA diese Abstände und weist die von Gravitationswellen verursachten Änderungen im Pikometer-Bereich nach.
Ganz neue Gravitationswellen
LISA wird Gravitationswellen mit Frequenzen im Bereich zwischen 0,1 mHz und 0,1 Hz messen. In diesem Frequenzbereich gibt es viele astrophysikalische Quellen:
- Doppelsysteme extrem massereicher Schwarzer Löcher in den Zentren ferner Galaxien,
- kleine Schwarze Löcher (einige 10 bis 100 Sonnenmassen), die deutlich massereichere Schwarze Löcher umrunden und in diese hineinfallen,
- extrem kompakte Doppelsterne in unserer Milchstraße,
- Doppelsysteme Schwarzer Löcher mit Sternmassen einige Jahre bevor sie verschmelzen,
- ein Gravitationswellen-Hintergrundrauschen und
- evt. vollkommen unerwartete Quellen.
Alle diese Gravitationswellenquellen erlauben ganz neue Untersuchungen der Relativitätstheorie, der Entstehungsgeschichte unseres Universums und vieler anderer Themen. Die Mission wird zusammen mit anderen astronomischen Observatorien die Multi-Messenger-Astronomie vorantreiben. Dazu zählen auch zukünftige erdgebundene Gravitationswellen-Detektoren der dritten Generation wie das Einstein-Teleskop und Cosmic Explorer, an deren Entwicklung das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik ebenfalls beteiligt ist.