Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Kohlenforschung

Quantenchemische Methoden für elektronische Anregungen in Übergangsmetallkomplexen

Autoren
Helmich-Paris, Benjamin
Abteilungen
Molekulare Theorie und Spektroskopie
Zusammenfassung
In meiner Gruppe arbeiten wir an neuen Rechenmethoden zur Beschreibung von elektronisch-angeregten Zuständen in Molekülen. Diese sollen sich vor allem auf Übergangsmetall-Komplexe anwenden lassen. Um auch Anregungen zwischen organischen Liganden und dem Metall-Zentrum beschreiben zu können, benutzen wir den Ansatz der zeitabhängigen Störungstheorie. Wir konnten dabei erreichen, dass auch Anregungen aus entarteten Grundzuständen möglich sind. Ferner haben wir eine einfache Methode entwickelt, welche die Genauigkeit der berechneten Anregungsenergien verbessert.

Energien und Eigenschaften von Molekülen zu berechnen, ist Gegenstand der Quantenchemie. Durch die Entwicklung der modernen Dichtefunktionaltheorie (DFT) in den 1990er Jahren und deren Implementierung in allgemein-zugänglichen Computerprogrammen ist die Quantenchemie für die chemische Charakterisierung unverzichtbar geworden.

Allerdings sind DFT-Methoden oft zu ungenau, um qualitative Vorhersagen treffen zu können. Für geschlossen-schalige Moleküle, deren Elektronenstruktur sich mit einer einzigen Determinante (single reference (SR)) beschreiben lässt, erzielt man mit coupled-cluster (CC)-Methoden genauere Ergebnisse. Diese Verfahren nutzen aus, dass sie durch Hinzufügen von weiteren Determinanten, die durch Ein-, Zwei- und mehr Elektronen-Anregungen erzeugt wurden, schnell zur exakten Lösung konvergieren. Da die Rechenkosten der CC-Methoden jedoch polynomiell mit der Systemgröße N anwachsen (beispielsweise N8 bei Dreifach-Anregungen), lassen sich diese nur auf kleine Moleküle anwenden.

Für Moleküle mit offenen Schalen, deren Wellenfunktion sich nur durch eine Kombination von mehreren Determinanten (configuration interaction (CI)) beschreiben lässt, fehlen etablierte Methoden mit zuverlässiger Genauigkeit. Gerade in der anorganischen Komplex-Chemie sind offene Schalen und sogenannte Multireferenz (MR)-Fälle eher die Regel als die Ausnahme. So besitzen von den bivalenten oktaedrisch-koordinierten Hexaquo-3d-Übergangsmetall-Komplexen nur drei (V 4A2g, Mn 6A1g und Ni 3A2g) einen high-spin Grundzustand, der sich mit einer einzigen Determinante beschreiben lässt. Der häufigste Übergangsmetall-Komplex besitzt jedoch einen zweifach- (Cr 5Eg und Cu 2Eg) beziehgunsweise dreifach-entarteten Grundzustand (Ti 3T1g, Fe 5T2g und Co 4T1g). Ein MR-Ansatz ist in solchen Situationen unververmeidbar.

Um die Referenzdeterminanten zu erzeugen, verteilen wir hierbei alle relevanten Elektronen in den offenen Schalen (active space (AS)). Die Zahl der Determinanten wächst jedoch faktoriell mit der Zahl der aktiven Orbitale an. So lassen sich oft nicht mehr als 16 aktive Orbitale (entspricht bei 16 Elektronen etwa 165 Millionen Determinanten) wählen. Dieser complete AS (CAS) Ansatz ermöglicht in der Regel, den Grundzustand der meisten Übergangsmetall-Komplexe mit einem Zentrum qualitativ korrekt zu beschreiben. Zudem ist es möglich, durch die Zustandsmittelung (state averaging (SA)) den Grundzustand und die vermeintlich tiefsten angeregten Zustände mit denselben Orbitalen zu berechnen. So können wir d-d-Übergänge in Übergangsmetall-Komplexen unter Bewahrung der Zustandsentartung (Multiplett-Struktur) einfach beschreiben. Die Genauigkeit der mit dieser CAS self-consistent field (CASSCF)-Methode ermittelten d-d-Anregungsenergien sollte anschließend durch Berechnungen der dynamischen Korrelationsenergie verbessert werden. Hochgenaue CC-Methoden für mehrere Referenz-Determinanten stehen für eine routinemäßige Anwendung noch nicht zur Verfügung. Daher begnügt man sich in der Praxis mit störungstheoretischen Methoden in 2. Ordnung (PT2). Diese lassen sich auch auf größere Moleküle anwenden, da die Rechenkosten nur mit N5 skalieren.

Neben fehlenden nutzbaren MR-CC-Methoden hat SA ein weiteres Problem. Anregungen aus Donor- (p) beziehungsweise in Akzeptor-Orbitale (p*) der organischen Liganden erfordern eine Erweiterung des AS um jene Orbitale. Aufgrund der eingeschränkten CAS-Größe lassen sich Ligand-Ligand (LL) beziehungsweise Metall-Ligand-Ladungstransfer (CT)-Übergänge nur unzureichend oder gar nicht beschreiben.

Daher arbeiten wir mit der zeitabhängigen (time dependent (TD)) Störungstheorie. Dieser Ansatz ist für SR-Methoden wie DFT und CC der Standard, um Anregungsenergien zu berechnen. Überträgt man den zeitabhängigen Ansatz auf CASSCF, lassen sich nicht nur d-d-Übergänge in Übergangsmetall-Komplexen durch Ein- beziehungsweise Mehrfach-Anregungen zwischen aktiven Orbitalen berechnen. Es ist zudem möglich, Ein-Elektron-Anregungen in die aktiven Orbitale beziehungsweise aus den aktiven Orbitalen heraus zu beschreiben und somit LL- und CT-Übergänge.

Ein Nachteil der TD-CASSCF-Methode ist jedoch, dass sich bisher nur Anregungsenergien von Molekülen mit nicht-entartetem Grundzustand berechnen lassen. Im Fall einer Entartung des Grundzustandes würde das Lösen der zustandsspezifischen CASSCF-Gleichungen die Entartung brechen. Dieser Bruch der Multiplett-Struktur würde sich dann auf die Anregungsenergie übertragen. Für die bivalenten, oktaedrischen Hexaquo-Übergansmetall-Komplexe bedeutete dies, dass die TD-CASSCF-Methode auf nur drei von acht Komplexen anwendbar wäre.

Um die Multiplett-Struktur von Übergangsmetall-Komplexen mit einem entarteten Grundzustand beschreiben zu können, haben wir eine TD-CASSCF-Variante entwickelt, die mehrere Referenz-Zustände haben kann. Dabei mitteln wir nur über so viele Referenz-Zustände, wie es dem Grad der Grundzustand-Entartung entspricht. Erste Ergebnisse sehen vielversprechend aus. Für die beiden dreifach-entarteten d-d-Übergänge 1 4T2g (0.75 Elektronvolt, 0.76 Elektronvolt, 0.76 Elektronvolt) und 2 4T1g (2.89 Elektronvolt, 2.91 Elektronvolt, 2.91 Elektronvolt) im oktaedrischen [Co(H2O)6]2+ beobachten wir lediglich einen leichten Symmetriebruch von unter 0.02 Elektronvolt. Dieser Fehler in den Anregungsenergien wäre selbst für eine hochgenaue CC3-Rechnung zu verkraften, deren mittlerer absoluter Fehler sich mit 0.03 Elektronvolt abschätzen lässt.

Ein weiterer Nachteil der TD-CASSCF-Methode ist das Fehlen der dynamischen Korrelation. In diesem Jahr haben wir in meiner Gruppe daher an einer Korrektur für die TD-CASSCF-Anregungszustände zur Verbesserung der Genauigkeit gearbeitet. Die Korrektur lässt sich von einem vereinfachten TD-CC-Ansatz ableiten, bei dem Anregungszustände durch Einmischen von doppelt (D)-angeregten Determinanten im PT2-Verfahren berechnet werden. Diese (D)-Korrektur ist damit analog zu den PT2-Methoden des SA-Ansatzes. Für einen Testsatz von 28 Molekülen haben wir durch Anwendung der (D)-Korrektur, den mittleren absoluten Fehler von ursprünglich 1.06 Elektronvolt auf 0.34 Elektronvoltastisch reduzieren können (siehe Abb. 2).

In Zukunft werden wir an iterativen TD-PT2-Methoden arbeiten, um die Genauigkeit weiter zu verbessern. Durch eine effiziente Implementierung werden wir weiter angeregte Zustände von Übergangsmetall-Komplexen untersuchen.

Literaturhinweise

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