Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Physik

Teilchenbeschleunigung: Elektronen auf der Surfwelle 

Particle acceleration: Electrons on the surfing wave 

Autoren
Caldwell, Allen
Abteilungen
Experimentelle Teilchenphysik
Zusammenfassung
Für Kollisionsexperimente in der Teilchenphysik zeichnet sich eine neue Ära ab. Forschende entwickeln derzeit eine neue Technologie, die große Beschleunigeranlagen wie den Large Hadron Collider (LHC) eines Tages ablösen könnte: Die Plasmabeschleunigung, bei der Teilchen auf einer Welle reiten und so Energie für die Kollision „tanken“.
 
Summary
A new era is emerging for collision experiments in particle physics. Researchers are currently developing a new technology that could one day replace large accelerator facilities such as the Large Hadron Collider (LHC): Plasma acceleration, in which particles ride a wave to "fuel" energy for the collision.

Seit 2008 werden im LHC Protonen auf hohe Energien beschleunigt, bevor sie miteinander kollidieren. Ab 2025 werden der LHC und seine Experimente zu einer noch leistungsfähigeren Teilchenschleuder hochgerüstet, um eine bis zu fünfmal größere Datenausbeute zu erzielen. Damit hoffen wir, das Wesen und das Zusammenspiel der Elementarteilchen immer präziser erforschen zu können.

Neben der Kollision von hochenergetischen Protonen sind auch Kollisionen von hochenergetischen Elektronen mit anderen Teilchen, zum Beispiel mit Positronen (Antiteilchen der Elektronen) oder Protonen von großem Interesse. So eignen sich etwa Elektronen besonders gut, um neue physikalische Phänomene zu erforschen: Anders als Protonen sind Elektronen Elementarteilchen ohne Substrukturen; das vereinfacht die Auswertung von Teilchenkollisionen.

Hohe Energien auf weniger Strecke

Um Elektronen und Positronen auf hohe Energien zu beschleunigen, sind lange Linearbeschleuniger erforderlich. Allerdings sind dieser Technologie durch die maximal erreichbare Stärke der elektrischen Feldern Grenzen gesetzt. Eine der wichtigsten Aufgaben für die moderne Teilchenphysik lautet daher, neue, effizientere Beschleunigungsmethoden zu entwickeln. Das heißt: hohe Energien erzielen bei zugleich geringem Platzbedarf und deutlich weniger Kosten als für herkömmliche Anlagen.

Das Max-Planck-Institut für Physik beteiligt sich an einem internationalen Projekt mit dem Namen AWAKE (Advanced Proton Driven Plasma Wakefield Acceleration Experiment) am CERN. Ausgangspunkt für AWAKE ist ein Plasma, also ein Gas, bei dem die elektrischen Ladungen der Teilchen getrennt vorliegen. Ein Plasma lässt sich dahingehend manipulieren, dass Bereiche mit jeweils großer positiver und negativer Ladung entstehen. Dazwischen herrschen sehr starke elektrische Felder, die wir nutzen können, um elektrisch geladene Teilchen auf hohe Energien zu beschleunigen.

Die Idee, ein Plasma für die Teilchenbeschleunigung zu nutzen, ist nicht neu und wurde ursprünglich auf der Grundlage von Lasern konzipiert [1]. Der Einsatz von Elektronen bietet eine weitere, bereits erprobte Möglichkeit, ein Plasma anzuregen. Im AWAKE-Projekt verwenden wir Protonen [2], genauer gesagt Protonenbündel aus dem SPS-Vorbeschleuniger des LHC, um die Plasmawelle zu treiben. Protonen treffen mit hoher Energie auf das Plasma, so dass nur ein Beschleunigungsschritt benötigt wird, um hohe Energien im Bereich von einem Teraelektronenvolt zu erreichen.

Wie entsteht die Welle im Plasma?

Das Herzstück von AWAKE ist eine am Max-Planck-Institut für Physik entwickelte Plasmazellen-Technologie auf der Basis von Rubidiumdampf. Ein starker Laserpuls wird zur Erzeugung eines Plasmas verwendet. Tritt ein Strahl aus positiv geladenen Protonen in das Plasma ein, zieht er die negativ geladenen Elektronen in seiner Umgebung an und löst eine Plasmaschwingung aus.

Die Oszillation erzeugt abwechselnd Regionen mit niedriger und hoher Elektronenkonzentration im Plasma – die positiven Ionen bewegen sich kaum. Das Muster der höheren und geringeren Elektronendichte bewegt sich mit der gleichen Geschwindigkeit wie der erzeugende Protonenstrahl, und zwar nahe der Lichtgeschwindigkeit. Wird im richtigen Moment ein schnelles Teilchen in das oszillierende Plasma injiziert, dann kann es auf der Welle „reiten“ und wird beschleunigt. Das Verfahren gleicht einem schnellen Motorboot, das eine große Kielwelle hinter sich herzieht, auf der ein Surfer reitet.

Die Verwendung von Protonen birgt allerdings nicht nur Vorteile, sondern auch einige Schwierigkeiten. Mit einer Länge von zehn Zentimetern sind die Protonenbündel viel zu lang, um Millimeter-große Strukturen im Plasma anzutreiben. Ideal wäre eine Länge im Bereich von etwa 100 Mikrometern – hier wären Laserpulse oder Elektronen im Vorteil. Praktischerweise splittet sich der lange Protonenstrahl im Plasma selbst in millimeterkurze Pakete auf -  ein Vorgang, den wir als Selbstmodulation bezeichnen. Um Teilchen zu beschleunigen, ist es wichtig, sie mit einem sehr präzisen Timing in das Plasma einzubringen. Denn die Elektronen sollen möglichst viel Energie aus dem Plasmafeld mitnehmen. Dafür müssen sie im richtigen Moment auf die Welle springen, genauso wie ein Surfer beim Wellenreiten.

Intensive Forschung, Hoffnung auf baldige Anwendungen

Inzwischen können wir den Beginn der Selbstmodulation auf Picosekunden genau takten und die Injektion der Teilchen mit diesem Wissen zeitlich festlegen [3][4]. Es uns bereits gelungen, Elektronen in einer protonengetriebenen Plasmawelle zu beschleunigen [5]. Zudem können wir deren Modulation steuern, sodass sich starke Plasmawellen aufbauen. Daraus ergibt sich ein Schema, bei dem ein erster Plasmaabschnitt dazu dient, die langen Bündel in eine Reihe kurzer Protonen aufzuspalten, gefolgt von einem langen Beschleunigungsabschnitt. Die Elektronen werden zwischen die beiden Plasmasektionen injiziert und in einem einzigen Schritt auf eine Energie nahe der Protonenenergie beschleunigt.

Um jedoch Energien in Höhe von ein Teraelektronvolt zu realisieren, sind lange Plasmen von hunderten von Metern mit einer gleichmäßigen Dichte erforderlich. An der Herstellung solcher Plasmen wird derzeit intensiv geforscht. Wir gehen davon aus, dass wir mit dem Plasma-Verfahren Beschleuniger realisieren können, die bei gleicher Leistung nur etwa fünf Prozent der Strecke heutiger Linearbeschleuniger benötigen. Viele Forschungsgruppen arbeiten daran, noch bestehende Probleme zu überwinden und das Verfahren zu optimieren. Das verleiht Anlass zur Hoffnung, dass es bald erste Anwendungen geben wird, in denen die plasmabasierte Beschleunigung der herkömmlichen Beschleunigung den Rang abläuft.

Literaturhinweise

T. Tajima und J. M. Dawson
Laser Electron Accelerator
Phys. Rev. Lett. 43, 267 (1979
A. Caldwell et al.
Proton-driven plasma-wakefield acceleration
Nature 561, 363 (2018)
F. Batsch et al.
Transition between Instability and Seeded Self-Modulation of a Relativistic Particle Bunch in Plasma
Phys. Rev. Lett., 126 (2021)
L. Verra et al.
Controlled Growth of the Self-Modulation of a Relativistic Proton Bunch in Plasma
Phys. Rev. Lett. 129 (2022)
E. Adli et al.
Acceleration of electrons in the plasma wakefield of a proton bunch
Nature 561, 363 (2018)

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