Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme
Neue Tanzbewegungen für Elektronen in Supraleitern
Max-Planck-Institut für Physik komplexer Systeme, Dresden
Supraleiter sind faszinierende Materialien: Sie können Strom widerstandsfrei leiten und magnetische Felder vollkommen verdrängen. Obwohl sich dieser Materiezustand in bekannten Materialien nur erreichen lässt, wenn diese genügend tief gekühlt werden, reichen heutige Anwendungen von effizientem Energietransport über die Erzeugung starker Magnetfelder in medizinischen Magnetresonanztomographen und Quantentechnologien wie hochprezisen Messungen winzigster magnetischer Felder. Vor allem Supraleiter, die nur wenig gekühlt werden müssen (sogenannte Hochtermpatursupraleiter), bleiben jedoch ein Rätsel: Denn wir verstehen die Bewegungen der supraleitenden Elektronen noch nicht genau.
Experimentell können wir zwar ermitteln, ob und wann ein Material supraleitend wird. Allerdings lässt sich die exakte Bewegung einzelner oder mehrerer Elektronen im Festkörper nicht messen. Desweiteren interessieren Physikerinnen und Physiker dafür, welche Eigenschaften eines Materials nun genau zur Supraleitung führen. Dazu untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene theoretische Modelle von Wechselwirkungen zwischen Atomen und Elektronen, deren Lösung jedoch lange Zeit als äußerst schwierig galt.
Hierbei können moderne Computersimulationen weiterhelfen. Um zu verstehen, wie sich eine große Anzahl an Elektronen bei tiefen Temperaturen verhält, müssen wir ihre Bewegung genau genug berechnen. Im Gegensatz zu klassichen Teilchen wie Billardkugeln sind Elektronen nanoskopische Objekte und lassen sich durch ein Quantenvielteilchenproblem beschreiben, das exponentiell schwierig in der Anzahl der Teilchen ist. Falls ein System aus Elektronen mit nur einem einzelnen Teilchen mehr beschrieben werden soll, gilt es viermal so viele Gleichungen zu lösen. Jedoch gab es gerade in den letzten Jahren bedeutende algorithmische Fortschritte, dank derer wir nun Problemen wie Supraleitung durch wechselwirkende Elektronen auf den Grund gehen können.
Cooperpaare und neuartige Tanzbewegungen
Mit unseren Simulationen haben wir ein bislang unbekanntes Verhalten der Elektronen im sogenannten Hubbard-Modell entdeckt [1], dem als grundlegend angesehenen Modell für Hochtemperatursupraleitung . In Supraleitern binden sich jeweils zwei Elektronen zu sogenannten Cooperpaaren. Diese Paare können entweder starr durch den Festkörper gleiten oder sich um sich selbst drehen, also ein Drehmoment besitzen. Es gibt aber auch einfachere Formen elektronischer Ordnung als Supraleitung. So entsteht etwa eine Ladungsdichtewelle, wenn an manchen Orten mehrere Elektronen zu finden sind als an anderen und diese Dichteverteilung wellenförmig ist.
Lange Zeit nahm man an, dass Supraleitung und Ladungsdichtewellen nicht gleichzeitig können. Diese Vermutung konnten wir nun widerlegen. Wir stießen auf eine faszinierende Kombination aus Ladungsdichtewellen und Supraleitern, einen sogenannten "Supersolid", in dem Cooperpaare neuartige Drehbewegungen ausführen [1]. Auf jeder einzelnen Dichtewelle drehen sich einzelne Cooperpaare ähnlich einer Tanzbewegung paarweise umeinander. Springt ein Paar jedoch von einer Welle zur anderen, beginnt das Paar sich um eine weitere Achse zu drehen. Es führt also zusatzlich zur Walzerbewegung einen Art Saltobewegung aus, während es von Ladungsdichtewelle zu Ladungsdichtewelle tunnelt.
Neue Algorithmen lösen offene Probleme
Computergestützte Ansätze konnten neuerdings auch weitere große Erfolge in unserem Verständnis der stark korrelierten Elektronen liefern. Tensor-Netzwerk-Methoden können das exponentiell schwierige Quantenvielteilchen-Problem so stark vereinfachen, dass sich eine weit größere Anzahl von Elektronen prezise auf heutigen Supercomputern berechnen lässt. Diese Methoden fußen in tiefen Erkenntnissen der Quanteninformationstheorie. Es zeigte sich, dass sogenannte Tensor-Netwerke eine sehr effiziente Beschreibung von komplizierten Wellenfunktionen meherer Elektronen bieten. Die Darstellung einer komplexen Wellenfunktion als Tensor-Netzwerk gleicht in etwa der Darstellung eines Bildes in komprimierter Form des JPEG-Formats.
Im Speziellen gibt es mathematisch fundierte Argumente, dass sich Wellenfunktionen von Systemen am absoluten Temperaturnullpunkt effizient durch Tensor Netwerke darstellen lassen. Doch es war lange unklar, ob sich auch elektronische Systeme bei höheren Temperaturen effizient simulieren lassen. Das ist aber ausgesprochen wichtig, um echte Materialien zu verstehen und unter Umständen auch die Sprungtemperatur eines Supraleiters vorherzusagen. In mehreren Arbeiten haben wir nun gezeigt, dass in der Tat jedweder Temperaturbereich durch Tensor-Netzwerke effizient simulierbar ist [2,3]. So konnten wir genau verfolgen, bei welchen Temperaturen sich Supraleitung, Ladungsdichtewellen und magnetische Ordnung entwickeln.
Quantenmechanische Effekte können auch bei höheren Temperaturen paradoxes Verhalten bedingen. So fanden wir heraus, dass wechselwirkende Elektronen auf einem Dreiecksgitter bei höheren Temperaturen weniger mobil werden als bei niedrigen, ein sogenannter Pomeranchuk-Effekt [3]. Gewöhnlich würde man das Gegenteil erwarten, wobei Teilchen bei höheren Temperaturen mobiler sind und bei niedrigen Temperaturen erstarren.
Das Faszinierende an unserem Forschungfeld ist, dass wir komplexe Materialeigenschaften wie Supraleitung und Magnetismus nun durch Berechnungen mikroskopscher Modelle verstehen können und nebenbei an neuartigen Algorithmen arbeiten, die diese Erkenntnisse erst erlauben.
Literaturhinweise
arXiv: arXiv:2202.05850 [cond-mat.str-el]
Editor’s suggestion
Temperature
arXiv: arXiv:2009.10736 [cond-mat.str-el]
arXiv: 2102.12904 [cond-mat.str-el]