Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung
Zirkadiane Regulierung des Herzstoffwechsels
Einleitung
Zircadiane Rhythmen sind Prozesse in fast allen Zellen von Säugetieren, die in einem Rhythmus von etwa 24 Stunden ablaufen. Sie steuern das Verhalten im Hinblick auf wiederkehrende Veränderungen der Umwelt, wie zum Beispiel Lichtverhältnisse (z.B. Sonnenaufgang) oder Fütterungszeiten, und korrespondieren mit Verhaltensweisen, wie dem Schlaf-Wach-Zyklus. Diese Prozesse haben ihren Ursprung in molekularen Veränderungen in der Zelle. Es handelt sich um ein System von Transkriptionsfaktoren, die an die Erbsubstanz binden, um die Expression zentraler Uhrenkomponenten zu beeinflussen. Im Herz-Kreislaufsystem reguliert die circadiane Rhythmik unter anderem die Aktivität von Blutdruck, Stoffwechsel und Stressreaktion. In Anbetracht dieser Bedeutung ist es wenig überraschend, dass eine Störung der zirkadianen Rhythmen, wie bei Schichtarbeit oder im Alter, Folgen für die Gesundheit hat.
Obwohl die Zusammenhänge sowohl durch klinische Daten als auch durch grundlegendere Experimente an Mäusen gestützt sind, sind ihre genauen molekularen Mechanismen nicht gut verstanden. Wir konnten bereits zeigen, dass die Unterbrechung der Uhr in den Herzmuskelzellen von Mäusen zu einer frühen Sterblichkeit und einer gravierenden Dysregulierung des NAD+-Stoffwechsels führt [1 - 3].
NAD+ ist ein Cofaktor, der an vielen Stoffwechselprozessen beteiligt ist. Der Verlust von NAD+ aus dem Herzen ist ein häufiges Merkmal von Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Herzinsuffizienz und scheint sich, ähnlich wie zirkadiane Rhythmen, mit dem Alter zu verändern. Es besteht also eine komplexe Beziehung zwischen Alterung, Herzinsuffizienz, NAD+-Stoffwechsel und zirkadianen Rhythmen.
Eine Vorstufe von NAD+ reprogrammiert zirkadiane Rhythmen im alternden Herzen
Um dieses komplexe Netzwerk von Ursachen und Wirkungen zu untersuchen, haben wir die RNA-Expression und die NAD+-Spiegel im Herzen junger und alter Mäuse untersucht. Wir konnten zeigen, dass die NAD+-Spiegel bei älteren weiblichen Mäusen zum Tageshöchststand tatsächlich verringert waren und zur Veränderung der Expression verschiedener Transkripte führt. Im Gegensatz dazu fanden wir bei jüngeren Mäusen, deren NAD+-Spiegel im Normbereich lagen, eine deutlich größere Anzahl tageszeitabhängiger Transkripte.
Ältere Mäuse zeigten dazu eine leichte Herzvergrößerung. In unseren ersten Studien zu diesem System [1] zeigten wir, dass der Hauptweg der NAD+-Produktion unter der Kontrolle zirkadianer Faktoren steht und durch Störung der inneren Uhr stark beeinträchtigt wird. Die Gabe von Nikotinamid-Ribosid (NR), einer Vorstufe von NAD+, konnte die Herzfunktion der Mäuse bis zu einem gewissen Grad wiederherstellen und ihr Sterben verzögern [2].
In der Vergangenheit wurde berichtet, dass eine Behandlung mit NAD+ dem Alterungsprozess entgegenwirkt und kürzlich auch in klinischen Studien am Menschen zur Verbesserung der Herzinsuffizienz eingesetzt wurde. Daher wollten wir die Wiederherstellung des NAD+-Spiegels untersuchen: wir verabreichten weiblichen Wildtyp-Mäusen während des gesamten Alterungsprozesses NR im Trinkwasser (im Alter von 2 Monaten bis 12 Monaten). Diese Behandlung reichte aus, um das tageszeitliche Transkriptom alter Mäuse teilweise wieder in einen jugendlicheren Zustand zu versetzen. Auch trat die bei älteren Mäusen beobachtete natürliche Herzvergrößerung bei den mit NR behandelten Mäusen nicht auf, und die Expression von Markern für Herzversagen war stark reduziert. Die RNA-Spiegel der Kernkomponenten der inneren Uhr wurden durch die NR-Behandlung jedoch nicht beeinflusst. Dies deutet entweder auf einen Mechanismus auf einer anderen Regulierungsebene hin, z. B. der Ebene der Proteine, oder auf das Fehlen einer direkten NAD+-Rückkopplung in die innere Uhr des Herzens.
NAD+ beeinflusst die “innere Uhr des Herzens“
Es ist somit anzunehmen, dass Nicotinamid-Ribosid die tageszeitlich spezifische Transkription im Herz beeinflusst und eine Erhöhung des NAD+-Spiegels somit den Alterungsprozessen des Herzens entgegenwirkt.
Vor kurzem konnte eine andere Forschungsgruppe nachweisen, dass SIRT1, ein Enzym, das regulatorische Funktionen innerhalb der Zelle hat und NAD+ abhängig ist, die zirkadianen Mechanismen der inneren Uhr beeinflusst. SIRT1 reguliert die Stabilität einer der zentralen Komponenten der inneren Uhr, PER2. Während viele zirkadiane Funktionen gewebespezifisch sein können und nicht von Zelltyp zu Zelltyp übertragbar sind, wurde dieser Mechanismus bislang nicht mit speziellem Augenmerk auf PER2 im Herzen untersucht.
Hierfür haben wir ein genetisch verändertes Mausmodell eingesetzt, in dem die Komponente der Uhr PER2 an das Enzym Luziferase gekoppelt ist. Durch diese Kopplung ist es möglich, durch Gabe eines Substrats (Luziferin) Lumineszenz zu erzeugen. Ein speziell dafür ausgelegtes Biolumineszenzmikroskop ermöglicht uns, PER2-Proteinspiegel einzelner Zellen in Echtzeit zu messen.
Mit Hilfe dieses Ansatzes ist es uns gelungen, PER2-Rhythmen in erwachsenen Herzmuskelzellen sichtbar zu machen und ihre Veränderung über den Alterungsprozess darzustellen. Weiterhin konnten wir zeigen, dass wir in Herzmuskelzellen neugeborener Mäuse durch Modulation des NAD+-Spiegels eine Veränderung der Rhythmik herbeiführen können.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der NAD+-Spiegel selbst in einem ansonsten unbelasteten, alternden Herzen die zirkadiane Rhythmik beeinflusst, und dass bereits das Altern allein zu Veränderungen in der Expression von Ausgangsgenen und im NAD+-Spiegel führt [4].
Ausblick
Weitere Forschung ist nötig, um zu verstehen, wie NAD+ im in die innere Uhr des Herzens eingreift. Unsere Techniken schaffen eine solide Grundlage, um diese komplexen Wechselwirkungen weiter zu untersuchen. Gleichzeitig arbeiten wir daran, unser vorhandenes Repertoire an Fähigkeiten und Kooperationen zu erweitern, um ein tieferes Verständnis anderer Mechanismen zu erlangen. Damit hoffen wir, wichtige, bislang unterschätzte Aspekte der derzeit laufenden klinischen Studien zur gezielten Beeinflussung von Rhythmen und NAD+ bei Herzinsuffizienz aufzudecken.