Braunalgen entwickeln sich nach Sanduhr-Modell
Die mittlere Embryonalentwicklung ist bei Tieren, Pflanzen und Algen auffallend ähnlich
Jüngste Beobachtungen von Forschern des Max-Planck-Instituts für Biologie Tübingen und der Universität Dundee haben ergeben, dass Braunalgen das gleiche Sanduhrmuster während der Entwicklung aufweisen wie Tiere und Pflanzen. Dieses Muster zeigt, dass sich Embryonen desselben Stammes in den frühesten und spätesten Stadien äußerlich und molekular unterscheiden, sich aber in der mittleren Embryonalperiode ähneln. Die Vorgänge während der Entwicklung komplexer mehrzelliger Organismen sind folglich universeller, als bislang bekannt.
Zwischen einem Huhn, einem Fisch oder einem Elefanten kann man leicht unterscheiden. Doch in ihren frühen Entwicklungsstadien weisen diese Arten eine auffallende Ähnlichkeit auf. Obwohl ihre Embryonen unterschiedliche Ursprünge haben und sich zu Arten mit unterschiedlichen Merkmalen und Größen entwickeln, durchlaufen sie zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Wachstums einen Engpass in der Entwicklung, in dem ihre Zellen fast identisch sind.
Dieses Sanduhrmodell der embryonalen Evolution geht davon aus, dass die Arten in den frühen und späten Entwicklungsstadien eine erhebliche Variabilität aufweisen, während ein mittleres Embryonalstadium bemerkenswert festgelegt ist. Dieses Modell wurde sowohl bei Tieren und Pflanzen als auch bei Pilzen beobachtet. Bei Braunalgen wurde sein Vorhandensein bisher nicht untersucht. Braunalgen stellen die drittkomplexeste Entwicklungslinie der Erde dar. Vergleichbar mit einigen Pflanzen, was die Raffinesse der Entwicklungsmuster angeht. Sie sind komplexe fotosynthetische Organismen mit einer anderen Evolutionsgeschichte als Grünpflanzen. Zum Beispiel haben Braunalgen keine echten Wurzeln, Stämme oder Blätter. Dennoch haben sie unabhängig von den Pflanzen analoge komplexe mehrzellige Strukturen entwickelt.
Aktivität uralter Gene
Die neueste Studie von Biologen des Max-Planck-Instituts für Biologie Tübingen zeigt ein Sanduhrmuster in der Fucus-Braunalge, das neue Einblicke in die Evolution der Vielzelligkeit ermöglicht. Sie haben das Transkriptom untersucht - eine Bibliothek aller aktiven Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt. „Es war erstaunlich, ein konserviertes Stadium in der Embryogenese der Braunalgen zu entdecken, in dem uralte Gene in ähnlicher Weise exprimiert werden wie in Tier- und Pflanzenembryonen. Dies ist das Markenzeichen des Sanduhrmodells, das auf alle komplexen Lebensformen zutrifft“, kommentiert Erstautor und Doktorand Jaruwatana Sodai Lotharukpong.
Die Studie zeigt, dass Fucus-Embryonen in den frühen und späten Entwicklungsstadien eine größere Varianz aufweisen. Gleichzeitig ist die mittlere Embryonalperiode entscheidend für die Festlegung des Körperplans des erwachsenen Organismus. Dieses Muster spiegelt die Entwicklungsprozesse in anderen mehrzelligen Eukaryonten wider und unterstreicht, dass bestimmte Entwicklungsstadien für die Evolution der Komplexität von Lebensformen entscheidend sind. „Es ist selten, dass man im gesamten Lebensbaum allgemeine Muster findet. Wir haben nun ein gemeinsames Prinzip gefunden, das erklärt, wie sich Entwicklungsprozesse über unabhängige Abstammungslinien komplexer mehrzelliger Organismen hinweg entwickeln“, fügt Lotharukpong hinzu.
Gene für Körperpläne der Braunalgen
Das Forschungsteam arbeitet weiter an der Erforschung der Gene und Gennetzwerke, die den unterschiedlichen Körperplänen der Braunalgen zugrunde liegen. „Diese Ergebnisse zeigen, dass das Entwicklungs-Sanduhrmodell eine entscheidende Rolle bei der Gestaltung komplexer Körperpläne spielt. Das Verständnis dieses Modells ist entscheidend, um weiter zu erforschen, wie Organismen im gesamten Stammbaum des Lebens erfolgreich einen gesunden vielzelligen Körper entwickeln und erhalten“, erklärt Hajk-Georg Drost, außerordentlicher Professor für digitale Biologie und Royal Society Wolfson Fellow an der Universität Dundee.
Die Entdeckung bereichert unser Verständnis der funktionellen Biologie von Braunalgen und der Evolution komplexer mehrzelliger Systeme. Sie unterstreicht, wie wichtig es ist, verschiedene Lebensformen zu untersuchen, um die grundlegenden Prinzipien und Komplexitäten der Evolution aufzudecken. Diese Forschung erinnert uns an die komplizierten Verbindungen, die alle lebenden Organismen miteinander verbinden.