Frühe Weichenstellung im Embryo
Chromatin-Enzyme bestimmen das Zellschicksal während der Entwicklung

Frühe epigenetische Steuerung: Histon-Modifikationen und Transkriptionsfaktoren legen kurz nach der Befruchtung fest, welche Gene aktiviert werden – entscheidend für die spätere Ausbildung korrekter Zellidentitäten
Unabhängige Prozesse: Chromatinzugänglichkeit und Genaktivierung scheinen in der frühen Entwicklung getrennt regulierbar – entgegen früherer Annahmen.
Balance entscheidend: Das Enzym CBP aktiviert durch H3K27ac wichtige Gene, H3K27me3 verhindert Fehlschaltungen – beide sind zentral für die richtige Zellprogrammierung.
Unser Leben beginnt mit einer einzigen Zelle, die das Potenzial besitzt, sich in die mehr als 250 verschiedenen Zelltypen unseres Körpers zu entwickeln. Forschungsteams aus Freiburg und Mailand versuchen den noch nicht vollständig verstandenen Prozess zu verstehen, der dafür sorgt, dass am Lebensanfang aus einer Zelle schließlich Nervenzellen, Hautzellen oder Muskelzellen werden.
Das Team um Nicola Iovino am Max-Planck-Institut für Immunbiologie und Epigenetik in Freiburg untersuchte hierfür, wie epigenetische Mechanismen die frühe Zelldifferenzierung im Embryo der Fruchtfliege Drosophila melanogaster steuern. Mithilfe von Einzelzell-Technologien analysierten die Forschenden parallel die Zugänglichkeit des Erbguts über das Chromatin sowie die eigentliche Aktivität relevanter Gene. Ihre Ergebnisse zeigen ein präzis abgestimmtes Zusammenspiel epigenetischer und transkriptioneller Prozesse, die sicherstellen, dass jede Zelle ihre richtige Identität erhält und beibehält. Zudem gewann das Team die überraschende Erkenntnis, dass die Chromatinzugänglichkeit und die Genexpression in der frühen Embryonalentwicklung unabhängig voneinander reguliert werden können.
Wie das Chromatin die Zellidentität lenkt

Die Zellkerne des ZGA-Embryos sind mit DAPI gefärbt und manuell basierend auf ihrer Position im Embryo eingefärbt worden. Eine Uniform Manifold Approximation and Projection (UMAP) der Genexpression sowie der Zugänglichkeit von Promotoren oder Enhancern stellt den jeweiligen Beitrag jeder Analyse zur Identifikation zellulärer Zustände dar. Jeder Punkt repräsentiert einen einzelnen Zellkern.
Während der zygotischen Genomaktivierung (ZGA), dem Moment, in dem das embryonale Erbgut erstmals aktiv wird, werden tausende Gene gleichzeitig aktiviert, um die verschiedenen Zellidentitäten hervorzubringen, aus denen sich schließlich die spezialisierten Zelltypen entwickeln. „Sehr vereinfacht gesprochen, gelingt dies, indem spezielle regulatorische Abschnitte des Erbguts genutzt werden, die wie Steuerzentralen arbeiten. Sie bestimmen, welche der Histon-Modifikationen und Transkriptionsfaktoren in einem Zelltyp binden müssen, um die Spezialisierung einzuleiten“, erklärt Francesco Cardamone, Co-Erstautor der Studie aus Freiburg. Histon-Modifikationen verändern die Struktur des Chromatins, also wie stark die DNA verpackt ist, und haben Einfluss auf die Genexpression, genauso wie die Transkriptionsfaktoren, die an die DNA binden und für den Start der Genexpression unerlässlich sind.
„Wir fanden heraus, dass bereits wenige Stunden nach der Befruchtung die Zugänglichkeit des Erbguts an sogenannten Enhancer-Regionen wichtiger ist für die Bestimmung der Zellidentität als die Zugänglichkeit an Promotern,“ erklärt Nicola Iovino. „Wir beobachteten zudem eine bemerkenswerte Koordination verschiedener epigenetischer Mechanismen, die zusammenarbeiten, um falsche Gene auszuschalten und die richtigen Gene zur passenden Zeit zu aktivieren – damit können Zellen ihre spezifischen Funktionen entwickeln.“
Molekulare Dirigenten der frühen Entwicklung
So verhindert die von der Mutter vererbte Histon-Modifikation namens H3K27me3, dass Gene, die nur in bestimmten Zelltypen aktiv werden sollen, in anderen Zellen ungewollt angeschaltet werden. Diese »Schutzfunktion« vermeidet eine Fehlprogrammierung der Zellen in der frühen Embryogenese. Im Gegensatz dazu hat das Protein CBP, das die Histon-Modifikation H3K27ac setzt, die gegenteilige Aufgabe: Es aktiviert transkriptionelle Programme, die dafür sorgen, dass Zellen ihre richtige Identität ausbilden können. “Fehlt die Modifikation, kommt es zum vollständigen Stillstand der Enhancer-Aktivität und der Transkription, wodurch die Zellen in einem undifferenzierten Zustand gefangen bleiben, was gravierende Folgen für die Entwicklung hat“, so Co-Erstautorin Annamaria Piva aus Mailand.
Ähnlich wie in einem Orchester koordinieren diese Faktoren das Zusammenspiel von Transkriptom und Epigenom: Während H3K27me3 unerwünschte Genaktivierungen verhindert, ist die durch CBP-vermittelte H3K27-Acetylierung unerlässlich, um die Differenzierung von Zellen in Gang zu setzen. „Dieses Gleichgewicht ist entscheidend – wird es gestört, kann der Embryo keine korrekten Zellidentitäten etablieren, was zum Entwicklungsstillstand führt“, erklärt die Mitautorin Yinxiu Zhan vom European Institute of Oncology in Mailand.
Chromatinzugänglichkeit bleibt trotz Transkriptionsstopp bestehen
Eine besonders überraschende Entdeckung war zudem, dass Chromatinzugänglichkeit und Genexpression in der frühen Embryonalentwicklung unabhängig voneinander reguliert werden können. Bisher ging man davon aus, dass offene Chromatinstrukturen automatisch zur Aktivierung von Genen führen. Die Forscher haben jedoch entdeckt, dass sich das Chromatin, also die Verpackung der DNA im Zellkern, auch dann weiter öffnet, wenn das für die Genaktivierung wichtige Protein CBP fehlt. Für das Team um Nicola Iovino deutet das darauf hin, dass es separate Mechanismen für die Chromatinorganisation und die tatsächliche Aktivierung der Gene gibt.
Die Ergebnisse der Studiee unterstreichen die enorme Bedeutung epigenetischer Regulation in der frühen Embryogenese und untermauern die Vorstellung, dass die Weichen für die spätere Gewebebildung sehr früh in der Entwicklung gestellt werden, noch bevor morphologische Veränderungen sichtbar sind. Die Erkenntnisse helfen, grundlegende Prozesse der embryonalen Entwicklung, wie die zygotische Genomaktivierung und die Festlegung der Zellschicksale, besser zu verstehen.
Die Daten der Studie sind interaktiv zugänglich unter: https://iovinolab.shinyapps.io/scmultiomeZGA/
NI/FC/MR