Forschungsbericht 2008 - Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme, Standort Stuttgart
Raumtemperatur-Ferromagnetismus von Zinkoxid: Ein Korngrenzenphänomen?
Moderne magnetische Materialien (Prof. Dr. Gisela Schütz)
MPI für Metallforschung, Stuttgart
Raumtemperatur-Ferromagnetismus bei transparenten halbleitenden Systemen
Eigentlich gibt es nur wenige Materialien, wie z. B. Eisen, Kobalt und Nickel, die bei Raumtemperatur ferromagnetische Eigenschaften besitzen. Umso erstaunlicher ist es, dass unter bestimmten Umständen sogar ein Halbleiter wie Zinkoxid (ZnO), der mit wenigen Atomprozent Kobalt (Co) dotiert wurde, Ferromagnetismus bei Raumtemperatur aufweist. Diese so genannten „verdünnten magnetischen Halbleiter“ bieten eine Kombination unterschiedlicher Materialeigenschaften – wie z. B. halbleitendes Verhalten, Transparenz und Ferromagnetismus – die ganz neue, technologisch bedeutende Einsatzmöglichkeiten eröffnen. Da ZnO laut theoretischer Berechnungen noch oberhalb von Raumtemperatur (ca. 293 K) ferromagnetisches Verhalten zeigen soll (siehe Abb. 1), gilt es als technologisch sehr vielversprechender Kandidat für den Einsatz in der sogenannten Spinelektronik (oder kurz Spintronik), die auf dem Spin der Leitungselektronen basiert.
Insbesondere ermöglicht das ZnO aufgrund seiner transparenten Eigenschaften magnetisch kontrollierte und/oder sensorische Anwendungen im Bereich der Optik. Dabei werden die optischen Eigenschaften wie z. B. der Brechungsindex, durch den Magnetismus deutlich beeinflusst.
Entsprechend der theoretischen Vorhersage von Dietl et al. [1] wird die langreichweitige ferromagnetische Ordnung durch die beweglichen Ladungsträger, Löcher oder Elektronen vermittelt und durch die parallele Ausrichtung der dann ferromagnetischen Ionen hervorgerufen. Diese Vorhersage induzierte eine Reihe von Untersuchungen, und so konnte in der Tat schon sehr bald danach Ferromagnetismus an ZnO experimentell nachgewiesen werden, wobei noch relativ hohe Co-Konzentrationen nötig waren. Abbildung 2 zeigt den atomaren Aufbau eines solchen ZnO-Gitters, das eine sog. Wurtzit-Struktur aufweist, mit einer Co-Dotierung von 5 Atomprozent (5 %).
Da Ferromagnetismus jedoch auch bei „diamagnetischer“ Dotierung und sogar an reinen Oxiden wie HfO2 und ZnO beobachtet wurde, deutet vieles darauf hin, dass diese anfänglichen Erklärungen für das Phänomen des Ferromagnetismus in Halbleitern nur bedingt Gültigkeit haben.
Um Licht in das Dunkel zu bringen, wurden mithilfe des magnetischen Röntgenzirkulardichroismus (XMCD) Untersuchungen an mit 5 % Co dotierten ZnO-Proben durchgeführt. Diese wurden mithilfe der gepulsten Laserdeposition (PLD) hergestellt (in Zusammenarbeit mit M. Gacic und G. Jakob aus der Gruppe von H. Adrian, Universität Mainz).
Magnetometrie
Um die ferromagnetischen Eigenschaften der gesamten Probe zu untersuchen bzw. nachzuweisen, wird das von der ZnO-Probe erzeugte Magnetfeld mithilfe einer sehr empfindlichen Magnetfeldsonde (Superconducting Quantum Interference Device oder kurz SQUID) vermessen. Diese Methode ist so empfindlich, dass sogar der Magnetismus von nur wenigen ferromagnetischen Atomlagen nachgewiesen werden kann. Typischerweise untersucht man dabei das von der Probe erzeugte Magnetfeld (Magnetisierung) als Funktion eines von außen angelegten Magnetfeldes. Solche Hysteresekurven sind in Abbildung 3 exemplarisch für drei verschieden präparierte Proben und bei verschiedenen Probentemperaturen gezeigt.
Dabei treten relativ hohe magnetische Momente von bis zu 2 µB/Co-Ion auf. Es hat sich gezeigt, dass ein dreilagiger Wachstumsprozess, bei dem das PLD-Schichtwachstum zweimal unterbrochen wurde, das ferromagnetische Verhalten bei 2 K deutlich verbessert (siehe eingefügtes Bild in Abb. 3).
Die für ein ferromagnetisches Verhalten typische Hysterese ist in Abbildung 3 bei der dreilagigen Probe in der Vergrößerung besonders deutlich zu erkennen. Somit zeigt das dreilagige Wachstum einen positiven Effekt auf die ferromagnetischen Eigenschaften der Probe, die sich in den erhöhten Koerzitivfeldern und ausgeprägten Sättigungsmagnetisierungen widerspiegeln. Die zusätzliche Dotierung mit 10 % Lithium führt im Vergleich zur dreilagigen Referenzprobe jedoch zu keiner Verbesserung der ferromagnetischen Eigenschaften.
Magnetischer Röntgenzirkulardichroismus
Um den separaten Beitrag der verschiedenen Elemente zum magnetischen Gesamtmoment herauszufinden, wurden Messungen mithilfe des so genannten magnetischen Röntgenzirkulardichroismus (XMCD) an den Kobalt-L2,3-, Zink-L2,3- und Sauerstoff-K-Kanten durchgeführt. So lassen sich die für den Ferromagnetismus verantwortlichen Elemente eindeutig identifizieren. Die elementspezifischen magnetischen Momente können aber noch detaillierter untersucht werden: Es kann sogar unterschieden werden, ob der Magnetismus der Bahnbewegung (Bahnmoment) oder dem so genannten Spin (Spinmoment) der beteiligten Elektronen zuzusprechen ist.
Dabei wird die Probe mit zirkular polarisiertem Röntgenlicht, das in diesem Fall das Synchrotron BESSY II in Berlin liefert, durchstrahlt. Dadurch entsteht ein charakteristisches Absorptionsspektrum, das von den in der Probe vorhandenen Elementen geprägt ist. Die anregende Röntgenenergie entspricht dabei genau der Energie, die nötig ist, um ein energetisch „tiefer“ gebundenes Elektron in die zu untersuchende „magnetische Schale“ (z. B. in unbesetzte 3d-Zustände vom Co) anzuregen. Die dadurch stark erhöhte Absorption des Röntgenlichts (XAS) – man spricht in diesem Zusammenhang von resonanter Anregung – hängt darüber hinaus deutlich von der Orientierung der Probenmagnetisierung bezüglich der Einfallsrichtung der zirkular polarisierten Röntgenstrahlung ab. Das so genannte XMCD-Spektrum erhält man durch Vergleich (Differenzbildung) der beiden Absorptionsspektren, die für parallel und antiparallel zum Lichtstrahl magnetisierte Proben gemessen wurden (typischerweise erfolgt die Ummagnetisierung durch ein äußeres Magnetfeld, das in unserem Fall bei +/- 2 Tesla liegt). Mithilfe der Summenregeln lassen sich dann aus diesen XMCD-Spektren die oben beschriebenen Spin- und Bahnelemente bestimmen [4].
Unsere XMCD-Untersuchungen wurden in drei verschiedenen Messmodi durchgeführt: Probenstrommessung (TEY), Fluoreszenzsignal (TFY) und in Reflexion. Hierbei kann gezielt zwischen Oberflächen-, Volumen- und Grenzflächeninformation unterschieden werden (Interessierten Lesern empfehlen wir unsere Originalpublikationen [2-4] mit ausführlicheren Erläuterungen).
Kobalt
Zusammen mit den volumen- und grenzflächensensitiven XMCD-Messungen (Fluoreszenz- und Reflexions-Modi; Details siehe [2]) kann Kobalt als „Träger“ des Ferromagnetismus eindeutig ausgeschlossen werden. Die XMCD-Signale zeigen selbst bei tiefen Temperaturen kein ferromagnetisches, sondern lediglich paramagnetisches Verhalten für Kobalt, welches auch bei Tieftemperatur-Magnetisierungsmessungen mit hohen Magnetfeldern [3] quantitativ bestätigt werden konnte. Dies zeigt klar und eindeutig, dass die Kobalt-Ionen nicht – wie ursprünglich angenommen (siehe Abb. 2) – ferromagnetisch geordnet sind und deshalb der Ferromagnetismus nicht durch die oben beschriebenen Modelle (siehe Dietl et al. [1]) erklärt werden kann.
Sauerstoff und Zink
Analog wie bei Kobalt wurden auch am Sauerstoff und am Zink Röntgenabsorptions- bzw. XMCD-Messungen durchgeführt. Da das Signal an der Sauerstoff K-Kante und an den Zink-L2,3-Kanten relativ niedrig ist, wurden größte Anstrengungen, wie z. B. extrem lange Messzeiten unternommen, um ein einzigartig hohes Signal-Rausch-Verhältnis zu erzielen. Beispielhaft sind die Absorptions- und XMCD-Spektren für Sauerstoff in Abbildung 4 dargestellt.
Um verborgene Volumen- und Grenzflächeneffekte auszuschließen, wurden XMCD-Messungen ebenfalls im Fluoreszenz- und Reflexionsmodus durchgeführt (siehe [2]), wobei auch hier kein magnetisches XMCD-Signal beobachtet werden konnte. Somit sind im Rahmen äußerst geringer Fehlergrenzen Sauerstoff und Zink als unmagnetisch zu betrachten. Unsere Ergebnisse wurden inzwischen auch von anderen Gruppen bestätigt [5].
Mögliche Ursachen für den Ferromagnetismus
Generell können schon kleinste Verunreinigungen mit ferromagnetischen Materialien, wie z.B. Eisen, ein ferromagnetisches Probensignal suggerieren. Solche Verunreinigungen wurden jedoch in den von uns mit XMCD untersuchten Proben nicht gefunden. Außerdem wurde bei der Probenpräparation sehr sorgsam vorgegangen: Neben der ausschließlichen Verwendung von Werkzeugen (z.B. Pinzetten) aus Kunststoff oder Keramik wurde auf der Rückseite der Probe vorsorglich ein Molybdän-Blech angebracht, um eine eventuelle Diffusion magnetischer Ionen vom Probenträger in die Probe hinein auszuschließen.
Damit muss der Ferromagnetismus in diesen ZnO-Proben eine andere Ursache haben – aber welche?
Mikrostruktur, Ferromagnetismus und Korngrenzen
Die Tatsache, dass der Ferromagnetismus eindeutig von keinem Element der Probe verursacht wird, zwang uns, eine sehr ungewöhnliche Hypothese ins Auge zu fassen: Sog. Defekte, wie sie z.B. in Form von Leer-, Fehlstellen oder Korngrenzen in vielen Proben vorkommen, könnten den Ferromagnetismus in der ZnO-Probe bewirken. Um die Hypothese zu erhärten, wurden die in der Literatur dargestellten Ergebnisse in dieser Hinsicht genau analysiert.
In der Regel besteht ein Material aus vielen Körnern, die durch die sog. Korngrenzen voneinander getrennt sind. Korngrenzen stellen eine Ansammlung von Defekten dar, so dass in einer ersten Näherung die Anzahl der Korngrenzen bzw. die Korngrenzendichte proportional zur Anzahl bzw. Dichte der Defekte angesehen werden kann. Als Maß dient dafür die sog. spezifische Korngrenzenoberfläche SGB, die sich aus dem Verhältnis von Korngrenzenoberfläche zu Kornvolumen berechnet. Das heißt, je kleiner die Körner, desto dichter das „Korngrenzennetzwerk“ und umso größer die spezifische Korngrenzenoberfläche.
Zu unserer Überraschung zeigte sich eine eindeutige Abhängigkeit zwischen dem Anteil der Korngrenzen am Gesamtvolumen, also der spezifischen Korngrenzenoberfläche SGB und den ferromagnetischen Eigenschaften.
In Abbildung 5 ist für Mangan (Mn)-dotiertes ZnO die Temperatur, bei der die Proben hergestellt wurden, gegen die spezifische Korngrenzenoberfläche SGB aufgetragen. Eine klare Trennlinie zwischen Ferromagnetismus und Para- bzw. Diamagnetismus ist zu erkennen. Nur kompakte Materialien mit hoher Korngrenzendichte zeigen ferromagnetisches Verhalten. Eine solche klare Grenzlinie wurde auch für Kobalt-dotiertes und sogar für reines, undotiertes ZnO gefunden. Für reines ZnO werden jedoch wesentlich größere spezifische Korngrenzenoberflächen, also viel kleinere Körner benötigt, um Ferromagnetismus „zu erzeugen“.
Nanokristallines ferromagnetisches reines ZnO
Auf der Basis der zuvor gezeigten Ergebnisse wurden mithilfe eines relativ neuen Verfahrens, dem so genannten „Liquid-Ceramics“-Verfahren [6], reine ZnO-Proben auf Aluminium- und Saphir-Substraten hergestellt. Mithilfe dieses Verfahrens konnten undotierte reine ZnO-Filme mit sehr kleinen Korngrößen und damit hoher spezifischer Korngrenzenoberfläche präpariert werden, die reproduzierbar Ferromagnetismus bei Raumtemperatur zeigen. Abbildung 6 zeigt die Analyseergebnisse hinsichtlich ihrer Mikrostruktur und ihrer magnetischen Eigenschaften
Interessante Perspektiven
Unsere Ergebnisse geben erstmalig einen starken Hinweis darauf, dass Ferromagnetismus bei Raumtemperatur auch durch die magnetische Ordnung von Elektronen hervorgerufen werden kann, die sich in Defekten, wie z.B. Korngrenzen, Fehl- oder Leerstellen aufhalten. Damit eröffnet sich sowohl eine völlig neue Sichtweise auf den seit langem bekannten Effekt des Ferromagnetismus als auch eine Vielzahl von bedeutsamen Möglichkeiten für die technologische Anwendung.
Mit unseren Ergebnissen kann es möglich werden, eine völlig neue Klasse von ferromagnetischen Verbindungen herzustellen. Dies eröffnet ganz neue Perspektiven, wobei noch sehr viele Fragen, die besonders für Anwendungen z.B. in der Spinelektronik relevant sind, beantwortet werden müssen. Weitere grundlagenwissenschaftliche Untersuchungen sind nötig, um diesen Effekt im Detail zu verstehen: Wie kann das ferromagnetische Verhalten als Funktion der Defektdichte bzw. der Korngrenzendichte quantitativ beschrieben werden? Handelt es sich hierbei um ein universelles Phänomen, das auch bei anderen oxidischen Systemen, wie z. B. Hafniumoxid oder Titandioxid auftritt?
So bleibt Ferromagnetismus bei Raumtemperatur weiter eine spannende Frage und ist auch nach 4000 Jahren noch für Überraschungen gut.