Forschungsbericht 2006 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik

Eine Ikone der Kosmologie und ihr mathematischer Hintergrund

An icon of cosmology and its mathematical background

Autoren
Rendall, Alan D.
Abteilungen

Geometrische Analysis und Gravitation (Prof. Dr. Gerhard Huisken)
MPI für Gravitationsphysik, Golm

Zusammenfassung
Dieser Artikel beschreibt neuere Entwicklungen in der Kosmologie, die mit einer bestimmten Kurve (hier Ikone genannt) zusammenhängen. Diese Kurve geht aus den Beobachtungen der kosmischen Hintergrundstrahlung hervor. Dabei wird erklärt, wie man mithilfe der Mathematik, insbesondere mittels Analysis und Geometrie, versucht, ein besseres theoretisches Verständnis dieser Kurve und anderer naturwissenschaftlicher Phänomene zu erreichen.
Summary
This article describes recent developments in cosmology, in particular those connected with a certain curve (referred to here as 'icon') which arises from observations of the cosmic microwave background radiation. In this context it is explained how scientists try to get a better theoretical understanding of this curve and other questions in science with the aid of mathematics, especially analysis and geometry.

Seit den frühen 1960er-Jahren ist bekannt, dass wir von diffuser Mikrowellenstrahlung umgeben sind. Für diese Entdeckung bekamen Arno Penzias und Robert Wilson 1978 den Nobelpreis für Physik. Die Eigenschaften der Strahlung sind seit etwa 300 000 Jahren nach dem Urknall praktisch unverändert - dieser Zeitraum ist für ein Universum, das mehrere Jahrmilliarden alt ist, relativ kurz! Nur die Energie der Mikrowellen und damit ihre Temperatur hat sich geändert. Die Strahlung hat sich als Reaktion auf die Ausdehnung des Universums abgekühlt. Inzwischen beträgt die Temperatur nur noch 2,73 K, also -270,42 °C. Indem die Astronomen die Temperatur dieser Mikrowellen-Hintergrundstrahlung in verschiedenen Richtungen am Himmel messen, bekommen sie eine Photographie von dem Zustand des Universums zu diesem sehr frühen Zeitpunkt. Die Temperatur ist in ihrer Richtungsabhängigkeit sehr gleichmäßig: Die Abweichungen sind nicht größer als eins zu hunderttausend!

Der Satellit COBE (Cosmic Background Explorer) hat in den frühen 1990er-Jahren gezeigt, wie gleichmäßig diese Temperatur in allen Richtungen ist, und konnte gleichzeitig die kleinen Schwankungen messen (Abb. 1).

Für diese Arbeit bekamen John Mather und George Smoot im Jahr 2006 den Nobelpreis für Physik. Seit COBE wurde die Genauigkeit dieser Messungen enorm gesteigert. Die bisherigen Messungen dieser Art gipfelten in den Daten des Satelliten WMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe). Ein Hauptergebnis dieser Arbeit ist ein Graph der Häufigkeit der Schwankungen mit verschiedenen Skalen auf der Himmelskugel (Abb. 2). Diese Kurve und ihr theoretisches Gegenstück werden heutzutage immer wieder in Präsentationen über Kosmologie gezeigt. Sie hat inzwischen den Status einer Ikone erreicht und ist zu einem Symbol der dramatischen Fortschritte in der Kosmologie in den letzten zehn Jahren geworden.

Im Folgenden wird erklärt, warum diese Kurve für die Kosmologie so wichtig ist. Darüber hinaus wird beschrieben, welche Rolle die Mathematik für das Verständnis der theoretischen Herleitung dieser Kurve spielt.

Die Kosmologie - ein besonderer Zweig der Naturwissenschaften

Ziel der Kosmologie ist es, die Struktur unseres Universums auf den größten beobachtbaren Skalen zu modellieren. Eine weniger bescheidene Variante dieser Aussage wäre, dass die Kosmologie das Universum als Ganzes beschreiben möchte. Es darf aber nicht vergessen werden, dass während die Kosmologen ihre Aufmerksamkeit auf die größten Skalen richten, dabei viele Phänomene, die auf kleineren Skalen stattfinden vernachlässigt werden. Die Theorien in der Kosmologie können mit astronomischen Beobachtungen verglichen werden. Vor zehn Jahren waren die für kosmologische Modelle relevanten Daten sehr begrenzt. Inzwischen ist das ganz anders und man redet manchmal von „Präzisionskosmologie“: Heute gibt es eine Fülle von Daten, deren Menge und Vielfalt rasant wachsen.

Es gibt aber einen Aspekt der Kosmologie der ungewöhnlich ist, wenn man sie mit anderen Gebieten der Naturwissenschaften vergleicht. Es ist nicht möglich, mit dem Universum irgendwelche Experimente zu machen. Man kann über Parallel-Universen spekulieren, aber ganz konkret gibt es nur das eine Universum. Es ist nicht möglich, die kosmologische Entwicklung zu ändern, und man kann nicht einmal passiv die Entwicklungen mehrerer Universen beobachten. Die beste uns zur Verfügung stehende Möglichkeit ist, mehrere große Teilbereiche des Universums zu beobachten und dabei herauszufinden, wie ähnlich oder wie verschieden sie sind.

Angesichts dieser Besonderheit der Kosmologie könnte man daran zweifeln, ob man überhaupt konkrete Messungen durchführen kann, um sie mit kosmologischen Modellen zu vergleichen. Die Ikone, dieses Bild, das aus den Messungen der Hintergrundstrahlung entsteht, ist ein prägnantes Beispiel dafür, dass dies tatsächlich gelingt. Hier hat man ein konkretes Messergebnis vor sich, das es zu erklären gilt.

Zur Theorie der Ikone

Mithilfe von theoretischen Überlegungen kann man Vorhersagen über die Gestalt der Ikone machen. Das heißt, man errechnet innerhalb eines bestimmten Modells, wie die Kurve aussehen sollte, wenn die Theorie stimmt. Man überprüft dann, inwiefern die theoretische Kurve mit der aus den Messdaten gewonnenen übereinstimmt. Wichtig sind die Lage und Höhe der Maxima der Kurve („Berge“) in Abhängigkeit von den Parametern des verwendeten Modells. Zum Beispiel verrät die Lage des ersten Berges etwas über die mittlere Energiedichte der gesamten Materie im Universum. Dabei werden Beiträge von Bestandteilen, die nicht direkt beobachtet werden können, wie z. B. Dunkle Materie und Dunkle Energie, ebenfalls berücksichtigt. Indem man die Messungen von WMAP mit anderen - z. B. Daten über Supernovae - kombiniert kommt man zu einem selbstkonsistenten Modell unseres Universums (das so genannte ,Concordance Model’), welches insbesondere die bemerkenswerte Tatsache beinhaltet, dass die Geschwindigkeit, mit der sich unser Universum ausdehnt, ständig zunimmt.

Unter den bekannten physikalischen Kräften ist diejenige, die in der Kosmologie die wichtigste Rolle spielt, die Gravitation. Deshalb ist es nicht überraschend, dass die theoretischen Modelle, die benutzt werden, um Vorhersagen über die Gestalt der Ikone zu machen, ganz wesentlich die Allgemeine Relativitätstheorie (ART), die angemessene Beschreibung der Gravitation in diesem Zusammenhang, verwenden. Sie werden in der Sprache der Mathematik formuliert. Es wäre allerdings falsch zu denken, dass es sich dabei um eine Routine-Rechnung handelt, bei der nur wohlbekanntes mathematisches Wissen eingesetzt wird. Das Ergebnis entsteht aus einer Kombination von verschiedenen theoretischen Elementen, und unser Verständnis dieser Elemente ist alles andere als vollständig.

Die beschleunigte Expansion des Universums

Ein Teil in diesem Puzzle ist die Modellierung der beschleunigten kosmischen Expansion. Wenn a den Abstand zwischen zwei typischen Galaxien bezeichnet, ist die Änderungsrate von a (mit a' bezeichnet) positiv. Dies bedeutet, dass der Abstand zwischen den Galaxien zunimmt. Nichts anderes als dies meinen die Kosmologen, wenn sie sagen, dass das Universum expandiert. Die zeitliche Änderungsrate von a' (mit a'' bezeichnet) ist nach den neuesten Beobachtungen ebenfalls positiv. Die relativen Geschwindigkeiten der Galaxien nehmen zu, d.h. dass sich das Universum beschleunigt ausdehnt. Die Dynamik der kosmischen Expansion wird von der Gravitation regiert. Da die Gravitation zu einer Anziehung zwischen den Galaxien führt, könnte man erwarten, dass die Expansion dadurch abgebremst würde. Da jedoch das Gegenteil beobachtet wird, muss es etwas geben, was zu einer Abstoßung der Galaxien führt. Im Rahmen der ART sieht die Sache folgendermaßen aus: Um ein positives a'' zu erhalten, braucht man entweder ein Modell, das eine kosmologische Konstante enthält - eine von Einstein vorgeschlagene Modifikation der ART - oder aber exotische Materie mit negativem Druck. Diese Materie heißt deshalb exotisch, weil keine Form der Materie, die man im Labor oder im Sonnensystem findet, diese Eigenschaft hat. Beide Möglichkeiten werden als Dunkle Energie bezeichnet. Es ist wichtig zu wissen, dass, obwohl eine kosmologische Konstante viele der vorhandenen Daten gut erklärt, die Beobachtungen der nächsten Jahre diese Möglichkeit ausschließen könnten. Deshalb ist es sinnvoll, die andere Möglichkeit zu erkunden, und Materiemodelle mit negativem Druck werden zurzeit intensiv erforscht. Das einfachste und am häufigsten untersuchte Modell für Dunkle Energie ist ein nichtlineares Skalarfeld, ein Begriff der im Folgenden erklärt wird.

Modelle für die Dunkle Energie

Unser Universum ist auf hinreichend großen Skalen homogen. Das heißt, wesentliche Größen wie die Energiedichte hängen nur von der Zeit ab und sind räumlich konstant. In diesen Modellen sind alle Punkte des Raumes äquivalent. In einem solchen Modell wird ein Skalarfeld durch eine Zahl φ(t) zu jedem Zeitpunkt t charakterisiert. Es gibt verschiedene Arten von Skalarfeldern, die durch die potenzielle Energie V(φ), assoziiert mit einem gegebenen Wert von φ, charakterisiert werden. Zum Beispiel wird in einem Fall diese potenzielle Energie durch φ2 gegeben. Es gibt ein einfaches anschauliches Bild, das hilft, die zeitliche Entwicklung von φ(t) zu verstehen. Mathematisch wird diese Entwicklung durch eine Gleichung beschrieben, ähnlich jener Gleichung, welche die Bewegung einer Kugel beschreibt, die auf der durch den Graph von V gegeben Kurve rollt. Dabei wirkt auf die Kugel ein konstantes Gravitationsfeld und ihre Bewegung wird durch eine gewisse Reibung beeinflusst. Dadurch wird intuitiv plausibel, wie die Kugel sich verhält. Sie rollt letzten Endes nach unten, verliert durch die Reibung Energie, und bleibt bei einem Minimum des Potenzials, wenn es ein solches gibt, stehen (Abb. 3a). Wenn dagegen das Potenzial immer zu größeren Werten von φ hin abfällt, kann man erwarten, dass der Wert φ(t) unendlich mit t wächst (Abb. 3b).

Es ist leider nicht so leicht, diese intuitive Überlegung in einen mathematischen Beweis über Eigenschaften der Expansion des Universums umzuwandeln. Trotzdem ist es tatsächlich so, dass die Intuition in vielen Fällen ein richtiges Bild der zeitlichen Entwicklung des Skalarfeldes liefert, wie es in den letzten Jahren vom Verfasser und Kollegen bewiesen worden ist. Eine wesentliche Schwierigkeit dabei ist, dass die Reibung von der Dynamik des Skalarfeldes abhängt und diese Dynamik wiederum von der Reibung. Man muss also beide Abhängigkeiten zusammen bestimmen.

Anwendung von Dynamischen Systemen

Mathematisch führt die Untersuchung der Dynamik eines Skalarfeldes, das mit dem Gravitationsfeld wechselwirkt, im einfachsten Fall auf ein System von gewöhnlichen Differentialgleichungen oder, wie man oft sagt, auf ein Dynamisches System. Der zweite Name deutet auf die Art, wie man das Problem betrachtet, nämlich eher geometrisch als algebraisch. Wenn ein Phänomen durch eine Differentialgleichung beschrieben wird, ist es angenehm, wenn man eine Lösung explizit hinschreiben kann als Kombination von vertrauten Funktionen wie Sinus und Kosinus. Das ist aber nur in den einfachsten Fällen möglich. Wenn es nicht möglich ist, greift man oft auf Approximationen zurück, indem man vermeintlich kleine Größen vernachlässigt, oder das Problem auf dem Computer simuliert. Die Mathematiker jedoch haben den Ehrgeiz, die exakten Eigenschaften der Lösungen des Modells zu bestimmen und entsprechende Beweise zu führen. Die Vorgehensweise ist relativ schwierig, liefert am Ende aber eine größere Sicherheit der Ergebnisse. Es ist nicht so leicht wie bei weniger strengen Ansätzen, unerwartete Aspekte des Problems zu übersehen. Die Eigenschaften des Modells, die auf diese Weise bewiesen werden können, sind oft qualitativer Natur und können gut in einem Bild zusammengefasst werden, das alle Lösungen darstellt (<>bAbb. 4).

Ausblick

Das Verständnis der homogenen Modelle in der Kosmologie ist nur ein Anfangspunkt und in der Zukunft muss besser verstanden werden, wie inhomogene Strukturen die kosmische Entwicklung beeinflussen. Mit der mathematischen Untersuchung dieser Fragen hat man gerade erst angefangen, dennoch gibt es bereits interessante Ergebnisse. Um weiterzukommen, werden leistungsfähige Techniken aus der Analysis notwendig sein und die geometrische Anschauung wird zweifellos auch einen wichtigen Beitrag leisten. Wenn es möglich ist, die mathematischen Schwierigkeiten auf diesem Gebiet zu meistern, wird man ein tieferes mathematisches Verständnis anderer Puzzleteile erlangen können, die die Theorie der Ikone der Kosmologie beinhaltet.

Zur Redakteursansicht