Sprachtest als App fürs Smartphone
Wissenschaftler erhalten auf diese Weise mehr Daten zur Sprachverarbeitung im Gehirn
Hurz oder Hund - welches ist ein echtes Wort und welches nicht? Mit solchen lexikalischen Entscheidungsaufgaben versuchen Forscher herauszufinden, was im Gehirn geschieht, wenn Menschen Worte lesen. Bislang fanden solche Experimente in den Sprachlabors der Institute und Universitäten statt, wo die Teilnehmer vor einem Monitor saßen und via Ja- und Nein-Taste über Sinn oder Unsinn der Buchstabenreihe auf dem Bildschirm befanden. Im Rahmen eines internationalen Projekts haben Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Njimegen, Niederlande, zusammen mit einem internationalen Forscher-Team den Klassiker aus ihren Testlabors herausgeholt. Seit Dezember vergangenen Jahres bieten sie die lexikalische Entscheidungsaufgabe als App in sieben Sprachen zum Herunterladen fürs Smartphone an. Binnen vier Monaten gewannen sie auf diese Weise eine Datenmenge, für die sie sonst über drei Jahre brauchten.
"Das ist wirklich in vielerlei Hinsicht revolutionär", sagt der Psycholinguist David Peeters, der am Max-Planck-Institut für den niederländischen Teil der Studie zuständig ist, an der sich Institute und Universitäten aus sechs Ländern beteiligen. "Der koordinierte Einsatz der neuen Kommunikationstechnologie bietet uns die Möglichkeit, unsere Studien in bislang undenkbaren Größenordnungen zu betreiben", sagt er begeistert. "Es könnte gut sein, dass wir damit Dinge über die Funktionsweise des Gehirns erfahren, die bislang durch die kleiner angelegten Versuche in unseren Sprachlabors verborgen blieben", hofft er.
Bei den lexikalischen Entscheidungsaufgaben werden die Probanden üblicherweise mit einem Wort aus ihrer Muttersprache konfrontiert, das auf einem Monitor - oder wie in der aktuellen Studie - auf einem Smartphone-Display erscheint. Ihre Reaktionszeit liefert den Forschern zum Beispiel Aufschluss darüber, ob häufige oder konkrete Wörter schneller erkannt werden als seltene oder abstrakte. Auch zur Erforschung von Sprach- und Lesestörungen bieten solche Versuche wertvolle Datenquellen.
Für den ersten Durchgang entschieden sich die Wissenschaftler, das Projekt in sieben Sprachen durchzuführen, die das lateinische Alphabet verwenden: Englisch, Baskisch, Katalanisch, Niederländisch, Französisch, Malaiisch und Spanisch. Für diese Sprachen platzierten die Wissenschaftler Anwendungsprogramme mit den lexikalischen Entscheidungsaufgaben in den App-Stores eines bekannten Smartphone-Anbieters, der mit Werbung auf die neue Applikation aus dem Sprachlabor aufmerksam machte. Die speziell dafür entwickelten Anwendungen beinhalteten Testdurchläufe mit 50 bis 140 Wörtern, die per Zufallsmodus auf dem Display erscheinen. Außerdem konnten die Teilnehmer freiwillig zusätzliche Informationen wie Alter, Geschlecht, Muttersprache angeben oder, ob sie Rechts- oder Linkshänder sind, und per Mail an die Institutsadresse versenden.
Die Einladung zum „Daddeln für die Wissenschaft“ fand großen Anklang in der Gemeinde der Smartphone-Nutzer. Die meisten Mails erhielten die Forscher bislang von den Niederländern. Über 5000 Antworten hat David Peeters inzwischen von seinen Landleuten bekommen. "Tatsächlich gehört unsere App hierzulande zu den fünf am meisten heruntergeladenen Applikationen in ihrer Kategorie", freut sich der Max-Planck-Forscher über die überraschend große Resonanz.
Erst wenn pro Land mindestens 10000 Testergebnisse vorliegen, wollen Peeters und seine Kolleginnen und Kollegen mit den eigentlichen Analysen beginnen. Doch schon die ersten Zwischenbilanzen klingen vielversprechend. "Zum Beispiel haben wir herausgefunden, dass der Test via Smartphone genauso zuverlässig funktioniert wie unter den Standardbedingungen im Labor", berichtet Peeters. Außerdem zeichne sich schon jetzt ab, dass durch die neue Technik eine weitaus größere Zielgruppe erreicht wird, als auf herkömmlichen Weg. "Normalerweise nahmen an unseren Testreihen im Sprachlabor meist 18- bis 24-jährige Studierende teil. Durch die Apps erreichen wir jetzt auch ältere Menschen mit unterschiedlichen Berufen, was unsere Ergebnisse repräsentativer macht", so der Forscher über einen weiteren Vorteil des neuen Verfahrens.
Doch nicht allein deswegen ist dieses Projekt für ihn und seine Kolleginnen und Kollegen so spannend. Mindestens genauso interessant wie die sich bietenden neuen Dimensionen findet Peeters die Vergleichsmöglichkeiten zwischen den Sprachen. "Wir können jetzt auch die Testergebnisse verschiedener Sprachen miteinander in Beziehung setzen", erklärt er. Besonders interessant seien dabei Worte, die in verschiedenen Sprachen existieren wie Film oder Taxi. "Ich vermute, dass in Frankreich die Worterkennung dabei schneller abläuft als zum Beispiel in Englisch, weil das Wort Taxi in der französischen Sprache weitaus häufiger vorkommt als im Englischen, wo es immerhin noch das Wort "cab" als Synonym gibt."
Dabei wollen sich die Forscher nicht unbedingt auf die sieben Sprachen des jetzigen Projekts beschränken. So gibt es Überlegungen die Worterkennungs-Apps in weiteren Sprachen anzubieten, die andere Buchstaben und Schreibweisen verwenden als das Lateinische wie etwa Griechisch, Japanisch oder Chinesisch. "Damit wird es endlich möglich, Daten unterschiedlicher Kulturen verlässlich und in großem Maßstab zu erheben, was uns erlaubt, die Universalität kognitiver Theorien zu überprüfen."
BF/HR