Forschungsbericht 2011 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
Inflation und Zyklen im Multiversum
Die Grenzen der Urknalltheorie
Die wichtigste kosmologische Erkenntnis des letzten Jahrhunderts war zweifellos die Entdeckung der Ausdehnung des Weltalls durch Edwin Hubble im Jahr 1929. Kein anderer Durchbruch hat unser Weltbild so grundsätzlich verändert. Zuvor waren die meisten Wissenschaftler davon überzeugt, das Universum verbleibe im groben unverändert und statisch. Die Ausdehnung des Raumes hat dem Universum sozusagen erstmals zu einer Geschichte verholfen.
Diese Ausdehnung hat dramatische Konsequenzen: Verfolgt man nämlich das Universum zurück in der Zeit, so zeigt sich, dass das Universum immer kleiner gewesen sein muss und deshalb auch dichter und heißer. Georges Lemaître [1] war der erste, der diese Idee auf die Spitze trieb, indem er die Hypothese des Urknalls vorschlug. Dementsprechend soll das Universum an einem Punkt mit einer gewaltigen Explosion angefangen haben und dieses kleine, heiße Universum hat sich seither ausgedehnt und abgekühlt.
Kurz nach dem Urknall war die Energiedichte so groß, dass es nicht einmal Atome gab, sondern nur Elementarteilchen, die ständig aufeinander prallten. Auch Photonen (Lichtteilchen) konnten nur über kurze Strecken geradeaus fliegen bis sie wieder mit Elektronen kollidierten. Demzufolge war das Universum zu dieser Zeit völlig lichtundurchlässig. Etwa 380.000 Jahre nach dem Urknall war es dann kalt genug, so dass sich die ersten Atome bilden konnten. Da Photonen mit Atomen viel schwächer wechselwirken, als zum Beispiel mit frei fliegenden Elektronen, wurde das Universum auf einmal durchsichtig und das Licht, das zu diesem Zeitpunkt zum ersten Mal frei fliegen konnte, durchdringt noch immer unseren Kosmos. Diese "kosmische Hintergrundstrahlung" im Mikrowellenbereich wurde 1965 zum ersten Mal gemessen (Abb. 1). Sie vermittelt uns sozusagen ein Säuglingsbild des Universums und zeigt, dass unser Universum überall fast die gleiche Temperatur hatte. Leichte Temperaturschwankungen sind durch die verschiedenen Farben dargestellt. Diese kleinen Temperaturunterschiede haben später die Verteilung von Galaxien bestimmt. In kälteren Regionen war die Materie etwas dichter, und durch den Einfluss der Schwerkraft "verklumpte" in diesen Gegenden die Materie nach und nach und bildete Sterne und Galaxien. Im Gegensatz dazu waren die etwas wärmeren Gegenden auch etwas leerer, und sind mit der Zeit immer leerer geworden, weil nahe gelegene dichtere Regionen die Materie auch noch weiter herausgezogen haben. Auf diese Weise sind die großen Leerräume unseres Weltalls entstanden. Die kosmische Hintergrundstrahlung bietet uns daher einen überzeugenden Beweis, dass das Universum (vor fast 14 Milliarden Jahren) dicht und heiß war.
Die Entdeckung der Hintergrundstrahlung führte zu einer breiten Akzeptanz der Urknallhypothese. Allerdings lässt die Urknalltheorie eine ganze Reihe von Fragen offen. Eine solche Frage ist bekannt unter dem Namen "Horizontproblem". Es ist immer noch unbekannt, wie groß unser Universum ist, aber es dehnt sich über mindestens 14 Milliarden Lichtjahre in jede Richtung aus, denn soweit können wir derzeit sehen. Nimmt man diese Ausdehnung und verfolgt sie mithilfe der Gleichungen der Relativitätstheorie in die Zeit bis kurz nach dem Urknall zurück, so sieht man, wie sich das Universum nicht auf einen Punkt, sondern auf eine große Fläche zusammenzieht. Der Urknall fand also nicht an einem Punkt, sondern auf einer ausgedehnten Fläche statt! Doch diese Fläche besteht aus etlichen Regionen, die bis zu diesem Zeitpunkt keinen Kontakt miteinander haben konnten, da es ja vor dem Urknall nichts gegeben haben soll. Trotzdem soll der Urknall zur gleichen Zeit an all diesen Orten stattgefunden haben! Diese Hypothese ist nicht vertretbar, wenn man an Ursache und Wirkung glaubt, denn wie soll man unzählige Urknalle synchronisieren, wenn es keine Zeit gibt? Es ist daher viel sinnvoller anzunehmen, dass der Urknall nicht der Anfang war, sondern ein Ereignis in der Geschichte unseres Universums. Doch was war vorher? Was konnte den Urknall auslösen?
Inflation oder Zyklus?
Es gibt zur Zeit nur zwei gute Theorien über die Vor-Urknallzeit. Die bekannteste ist die Inflationstheorie [2], nach der es vor dem Urknall eine kurze Phase von äußerst schneller Expansion gab. Solch eine Phase bewirkt, dass auch winzige Regionen extrem auseinandergezogen werden und binnen kurzer Zeit über große Gebiete homogen und isotropisch sind (jegliche "Falten" im Raum werden durch die schnelle Ausdehnung gestrafft). Wenn diese Phase zu Ende geht, wird die Energie der Ausdehnung teilweise in Strahlung und Materie umgewandelt – dies entspricht dem Urknall. Dies passiert dann auch gleichzeitiig über große Gebiete, da dort überall die gleichen Bedingungen herrschen.
Eine zweite Theorie ist die eines zyklischen Universums [3]. Dieser Theorie nach gab es vor dem Urknall eine Phase der Kontraktion. Es stellt sich heraus, dass eine Phase von langsamer Kontraktion ebenfalls bewirken kann, dass das Universum homogen und isotropisch wird. Deshalb ist der Urknall dieser Theorie zufolge auch über große Gebiete synchron. Hier entspricht der Urknall dem Umschwung von der Kontraktionsphase zur Expansionsphase, wobei wiederum Strahlung und Materie erzeugt werden. Dieser Umschwung stellt derzeit den Aspekt der Theorie dar, der noch am wenigsten erforscht ist. Es scheint jedoch plausibel, dass ein solcher Unschwung stattfinden kann. In diesem Fall können sich die Phasen von Kontraktion und Expansion beliebig oft abwechseln, so dass das Universum sich über große Zeiträume hinweg zyklisch verhält.
Welche dieser beiden Theorien trifft nun auf unser Universum zu? Dies stellt sich vielleicht schon im nächsten Jahr heraus. Beide Theorien können zwar die Entstehung der Temperaturschwankungen im Säuglingsbild unseres Universums gleich gut erklären. Was jedoch die Details dieser Temperaturunterschiede angeht, so machen die beiden Theorien verschiedene Vorhersagen. Zum Beispiel kann die Inflationstheorie derzeit nicht erklären, weshalb die Temperaturschwankungen die gemessene Stärke haben. In der Theorie des zyklischen Universums hingegen gibt es Argumente die zeigen, dass die Schwankungen genau so stark sind wie sie es maximal sein können [4].
Der größte Unterschied in den Vorhersagen der beiden Theorien betrifft jedoch die Verteilung der Schwankungen in der kosmischen Hintergrundstrahlung, also das Muster in Abbildung 1. Eine Inflationsphase wird von (noch hypothetischen) Teilchen angetrieben, die Inflatone genannt werden und welche sehr geringe Wechselwirkungen untereinander haben (das bedeutet, dass zwei solche Teilchen fast keine Wirkung aufeinander haben). Diese Teilchen sind also praktisch "frei" und dementsprechend wird auch die statistische Verteilung der Temperaturschwankungen durch eine Gauss‘sche Kurve beschrieben [5]. Das zyklische Modell beruht auch auf der Dynamik ähnlicher Teilchen, diesmal haben jedoch diese starke Wechselwirkungen untereinander. Dies führt zu deutlichen Abweichungen von einer Gauss’schen Kurve, was die Verteilung der Temperaturunterschiede angeht [6].
Leider sind die derzeitigen Messungen der kosmischen Hintergrundstrahlung noch zu grob. Um zu entscheiden, welche der Theorien plausibler ist, brauchen wir ein noch detaillierteres Bild der Hintergrundstrahlung. Doch genau so ein Bild wird momentan vom europäischen PLANCK Satelliten aufgenommen, und die ersten Resultate werden für das Jahr 2012 mit Spannung erwartet!
Das Multiversum
Beide Theorien lassen jedoch immer noch viele Fragen offen, die nur mithilfe einer Quantentheorie der Gravitation geklärt werden können. Obwohl die String-Theorie noch nicht vollständig entwickelt ist, stellt sie trotzdem den besten Ansatz einer solchen vereinheitlichten Theorie dar. Deshalb lohnt es sich herauszufinden, welche Aussagen sie (in ihrem heutigen, unvollendeten Zustand) schon über das Universum liefert. Dabei zeigt sich, dass es nach der String-Theorie sowohl inflationäre als auch zyklische Universen geben kann. Daneben erlaubt die String-Theorie aber auch noch unzählige andere Universen, von denen manche unserem Universum ganz ähnlich sind, die meisten jedoch grundverschieden. Darüber hinaus sind diese verschiedenen Universen kontinuierlich (über die Variation einer ganzen Reihe von Parametern) miteinander verbunden. In diesem sogenannten landscape kann ein neues Universum innerhalb eines schon existierenden Universums entstehen [7]. Dieses neue Universum ist in der Regel verschieden von dem älteren. Auf diese Weise entstehen dann unendlich viele Universen und so werden alle theoretisch möglichen Universen auch real!
Falls dieses "Multiversum" (Abb. 2) der Realität entspricht, wird es die Aufgabe der Kosmologensein, es auch mathematisch zu beschreiben. Dies ist eine schwierige Herausforderung, hauptsächlich wegen den Unendlichkeiten, die im Multiversum vorhanden sind: Zum einen gibt es eine unendliche Anzahl von Universen, zum anderen sind auch noch viele dieser Universen selbst unendlich groß! Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass die verschiedenen Studien des Multiversums bisher zu verschiedenen Resultaten geführt haben. Viele mathematische Beschreibungen des Multiversums führen zu Paradoxen und "irrsinnigen" Vorhersagen. Nur wenige solche Beschreibungen sind zur Zeit bekannt, die sinnvoller erscheinen. Bisher wurden auch zyklische Universen weitgehend bei diesen Untersuchungen ignoriert, weil sie als unwichtig eingeschätzt wurden. Kürzlich haben Rechnungen jedoch ergeben [8], dass es sich eher umgekehrt verhält: Falls kosmische Zyklen sich beliebig oft wiederholen können, ist es tatsächlich viel wahrscheinlicher, dass wir in einem zyklischen Universum leben und nicht in einem inflationären. (Andernfalls, also falls es nur eine begrenzte Anzahl von Zyklen geben kann, hängt die Wahrscheinlichkeit von noch unbekannten Details der String-Theorie ab.) Dies macht es noch spannender, auf die Resultate von PLANCK zu warten. Falls die Ergebnisse auf ein zyklisches Universum hindeuten, erhalten wir gleichzeitig ein Indiz für die Beschreibung des Multiversums. Falls PLANCK jedoch das Bild eines inflationären Universum zeichnet (was die meisten Kosmologen erwarten), wird es ein neues Paradoxon zu lösen geben.