Mutationsmuster verraten Darmkrebs-Typ
Max-Planck-Forscher haben ein Verfahren entwickelt, mit dem sie verschiedene Darmkrebsarten über ihre genetischen Muster schneller bestimmen können
Der Kampf gegen Darmkrebs, mit einer Million Fällen weltweit die dritthäufigste Krebserkrankung, ist immer auch ein Kampf gegen die Zeit. Eine frühe Diagnose und eine exakte Bestimmung des genauen Krebstyps sind entscheidend für die Heilungschancen. In den vergangenen Jahren wurde immer deutlicher, dass die Informationen über den Typ der Krebserkrankung im genetischen Muster der Patienten zu finden sind, denn Darmkrebs entsteht über verschiedene molekulare Wege. Doch die Vielfalt der Veränderungen oder Mutationen im Erbgut ist groß und die Methoden ließen bisher oft nur eine begrenzte Interpretation zu. Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für molekulare Genetik in Berlin haben nun eine effiziente Analysestrategie entwickelt: Über gezielte DNA-Sequenzierung und Bioinformatik können sie in einem Schritt die Mutationsmuster identifizieren, die dem Darmkrebs zugrunde liegen (PLoSONE, 22. Dezember 2010).
Ein charakteristisches Merkmal zur Unterscheidung von verschiedenen Darmkrebsarten ist die Instabilität von sogenannten Mikrosatelliten, kurzen Abschnitten im Erbgut, die sich häufig wiederholen. Diese Mikrosatelliten werden instabil, sobald das DNA-Reparatursystem nicht richtig funktioniert. Es kommt zum Einbau falscher Basen in die neu replizierte DNA, Mutationen häufen sich an und können zu Krebs führen. Viele dieser Mutationen sind von Patient zu Patient verschieden, sie werden deshalb auch als "private" Mutationen bezeichnet. In der derzeitigen Krebsdiagnostik wird zunächst einmal das Genom der Patienten auf instabile Mikrosatelliten untersucht. Wenn sie vorhanden sind, kann man von defekten Reparaturmechanismen ausgehen und man versucht in einem zweiten Schritt, die Reparaturgene zu analysieren und herauszufinden, welche Mutationen die Krankheit auslösen.
"Diese schrittweise Diagnose ist langwierig und teuer und konnte bisher nur begrenzt eingesetzt werden", erklärt Michal-Ruth Schweiger, Studienleiterin am MPI für molekulare Genetik. Ihrem Team ist es gelungen, die Diagnosewerkzeuge der Darmkrebsforschung auf die neuen Sequenziertechnologien zu übertragen und mehrere Schritte der Diagnose zusammenzuführen. Durch eine gezielte Sequenzierung der Bausteine des informativen Tumorgenoms (Exom) kann in einem Schritt bestimmt werden, ob die Mikrosatelliten instabil sind und welche Mutationen die Krankheit begünstigen. Die Wissenschaftler verwenden dabei die neuesten Sequenziermethoden (next generation sequencing) mit höchstem Durchsatz und gleichzeitig Analysemethoden der Bioinformatik. Die Mutationen des Tumors werden dabei mit speziellen Computerprogrammen auf ihre funktionelle Relevanz abgeklopft - die Software nutzt und kombiniert das enorme Wissen über Gene und deren Funktion, das sich in öffentlich zugänglichen Datenbanken befindet. Verwendet wurde eine Kombination zweier Klassifikationsalgorithmen (Polyphen und MutationTaster). Wenn beiden Algorithmen eine Mutation als "gefährlich" einstufen, wird diese in die Kandidatenliste zur finalen Analyse durch Onkologen aufgenommen.
In der aktuell veröffentlichten Studie untersuchten die Berliner Wissenschaftler das Tumorgewebe von Darmkrebspatienten mit unterschiedlichem Mikrosatelliten-Status. Insgesamt sequenzierten sie sechs Genome von Krebstumoren. Dabei konnten zunächst rund 50.000 kleine Nukleotid-Veränderungen für jedes Gewebe identifiziert werden. Eine stringente bioinformatische Analyse ermöglichte es, die funktionell bedeutsamen Mutationen herauszufiltern: 358 Mutationen bei Tumoren mit instabilen Mikrosatelliten und 45 bei solchen mit stabilen Mikrosatelliten. Es zeigte sich also deutlich, dass Mikrosatelliten-instabile Tumoren etwa achtmal mehr funktionell relevante Mutationen aufweisen als Tumoren mit stabilen Mikrosatelliten.
Gleichzeitig konnten die Wissenschaftler mehrere Mutationen in schon bekannten Tumor-relevanten Genen bestimmen, den Genen BRAF und KRAS, inklusive der beschädigten Reparaturgene, sowie TP53, einem Gen, das auch als "Wächter der Gene" bezeichnet wird, da es im Normalfall ein Tumorwachstum verhindern kann. Neben den bekannten Mutationen wurden bei zwei Patienten Veränderungen im Gen BMPR1A nachgewiesen und funktionell charakterisiert. Von diesem Gen weiß man bereits, dass es bei dem sogenannten Juvenilen Polyposis-Syndrom eine Rolle spielt, eine Erkrankung im Jugendalter, die mit starker Polypenbildung im Darm einhergeht und somit eine Vorstufe von Darmkrebs sein kann. Die in der Studie beschriebenen Mutationen des Gens zeigen Auswirkungen auf die Signalweiterleitung innerhalb der Krebszelle.
Die Wissenschaftler sind davon überzeugt, dass mit ihrer neuen Analysestrategie nicht nur Zeit im Kampf gegen den Krebs gewonnen wird, sondern auch ein wichtiger Schritt in Richtung personalisierter Medizin möglich wird. Ihre Analysen gaben unter anderem Hinweise auf Gene, die auf bestimmte Medikamente ansprechen und auf mutierte Zielgene von Medikamenten. "Dadurch, dass wir neben der erhöhten Mutationsrate die molekularen Ursachen ermitteln, legen wir auch die Basis für individuell zugeschnittene Therapien", ist Schweiger überzeugt. "Für eine individuelle Darmkrebstherapie könnte unsere Kombination aus Gensequenzierung und bioinformatischer Analyse in Zukunft zum Goldstandard werden."